«Frauen über 40 Jahren sind am Arbeitsmarkt unsichtbar»

Iris Fontana | 
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Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Frauen über 40 in ihrer Karriereentwicklung zu fördern. Bild: Pexels

In der letzten Zahltag-Ausgabe haben wir uns mit den ökonomischen Argumenten befasst, die für eine stärkere Förderung von Frauen über 45, beziehungsweise Mütter, sprechen. Nun wird’s praktisch. Um herauszufinden, wie sich die Situation im Kanton Schaffhausen präsentiert, haben wir unsere Fragen einigen Mitgliedern der Industrievereinigung Schaffhausen (IVS) zukommen lassen, die Antworten zeigen: Es gibt beträchtliche Unterschiede.

Nicht nur eine amerikanische Forscherin und ein deutscher Führungsexperte, auch kürzlich veröffentlichte Schweizer Studien zeigen Handlungsbedarf beim Thema Frauenförderung im Alter ab 40 auf. Beispielsweise die im März erschienene Umfrage, die von der Hochschule St. Gallen (HSG), Advance, dem führenden Schweizer Wirtschaftsverband für Gleichstellung, und dem Beratungsunternehmen EY in Auftrag gegeben worden war. Für die Studie wurden 1200 Schweizer Frauen zwischen 41 und 45 befragt, die in Grossunternehmen tätig sind. Fazit: Beinahe 50 Prozent sind unzufrieden mit ihrem beruflichen Fortkommen. Über 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen möchten sich beruflich weiterentwickeln und streben eine Führungsposition an. Sind sie jedoch über 40, werden sie häufig übergangen. Viele Firmen investieren nicht in Frauen nach der Familienpause und übersehen damit enormes Potenzial.

Wie sieht die Situation in Schaffhauser Betrieben aus?

Nur eine der sieben befragten Schaffhauser Firmen fährt explizit ein Frauenförderprogramm. Neben Fördermassnahmen werden auch Leadership-Podcasts, in denen vor allem weibliche Führungskräfte zu Wort kommen oder Publikationen von Porträts weiblicher Ingenieure herausgegeben. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verfügen nachvollziehbarerweise meist über weniger Ressourcen für solche Programme, sind dafür aber flexibler. Ein KMU-Vertreter erklärt: «Für uns ist klar, dass engagierte Mitarbeiter mit Potenzial – egal ob Mann oder Frau – auch in einer Teilzeitfunktion Führungsaufgaben übernehmen können. Wichtig ist uns jedoch auch, dass die Mitarbeiter ihre Karriereplanung in die eigene Hand nehmen.» Da die Firma über viele langjährige Mitarbeiterinnen verfüge, habe der erwähnte Ü-40-Gap keine allzu grosse Bedeutung im Betrieb, da das Thema oft schon vor der Mutterschaft besprochen worden sei.

«Für uns ist klar, dass engagierte Mitarbeiter mit Potenzial – egal ob Mann oder Frau – auch in einer Teilzeitfunktion Führungsaufgaben übernehmen können.»

Ein weiteres Unternehmen unterstützt Mütter, indem es eine Teilfinanzierung der hohen Kitakosten übernimmt. «Zudem werden wir zukünftig alle 100 Prozent-Stellen als 80-100 Prozent ausschreiben, um mehr Frauen anzusprechen. Dies tun wir, weil wir uns gegen eine Frauenquote bei Führungsfunktionen ausgesprochen haben», so die Firma. Auf genau so eine Quote setzt dagegen ein weiteres Unternehmen, das in seiner Strategie 2025 festlegte, dass 25 Prozent der neu ernannten Führungskräfte weiblich sein müssen.
Ein weiterer negativer Aspekt, der durch die HSG-EY-Advance Umfrage zutage trat, ist der Fakt, dass die gläserne Decke (siehe Box) in der Schweiz dicker ist als anderswo. Dies bestätigt auch der «Glass Ceiling Index» des britischen Magazins «The Economist», in dessen Ranking die Schweiz seit Jahren auf den hintersten Rängen liegt.

Gläserne Decke

Der Begriff «gläserne Decke» beschreibt unsichtbare Barrieren, die Frauen ohne ersichtlichen Grund daran hindern, in ihrer beruflichen Laufbahn in die höchsten Führungspositionen aufzusteigen. Die Barrieren können sich auf verschiedenste Art zeigen, zum Beispiel durch geschlechtsspezifische Vorurteile, mangelnde Netzwerkmöglichkeiten, ungleiche Zugangschancen zu wichtigen Projekten und Mentoren oder durch eine Unternehmenskultur, die Frauen nicht genügend unterstützt. Die «gläserne Decke» symbolisiert somit die strukturellen und kulturellen Hindernisse, denen Frauen im Berufsleben begegnen.

Teilzeitarbeit als Karrierekiller

Eine Ursache für das schlechte Abschneiden besteht darin, dass in der Schweiz besonders viele Mütter Teilzeit arbeiten. Denn laut einem, ebenfalls von der HSG herausgegebenen Report, werden Mitarbeitende, deren Pensum unter 80 Prozent liegt, bei nur vier Prozent aller Beförderungen berücksichtigt. Weiter negativ zu Buche schlägt gemäss Alexandra Rhiner von Advance, dass sich Förderprogramme oft nur an junge Frauen richten. «Frauen über 40 Jahren sind am Arbeitsmarkt unsichtbar, ein blinder Fleck in der Führungskräfteentwicklung», erklärt Rhiner gegenüber Blick. So erstaunt es auch nicht, dass sich gemäss einer 2023 erschienene Studie, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Auftrag gegeben hatte, 85 Prozent der befragten arbeitstätigen Mütter an ihrem Arbeitsplatz überqualifiziert fühlen.

Mitarbeitende, deren Pensum unter 80 Prozent liegt, werden bei nur vier Prozent aller Beförderungen berücksichtigt.

Mitarbeiterinnen als Teil der Unternehmens-DNA

Auch in Schaffhausen unterscheidet das einzige der acht befragten Unternehmen, das ein Förderprogrammen für Frauen betreibt, nicht nach Altersgruppen. Aber dass es neben institutionalisierten Förderprogrammen auch anders geht, zeigen folgende drei Beispiele: In einem der befragten Unternehmen sind Frauen ein wichtiger Teil der DNA. 62 Prozent der Belegschaft sind Frauen und auch der Anteil an weiblichen Führungskräften liegt mit 47 Prozent überdurchschnittlich hoch, wobei 14 Prozent der Kadermitarbeiterinnen Teilzeit arbeiten. Gemäss Aussage der Personalverantwortlichen kämen auch viele frischgebackene Mütter recht bald nach dem Mutterschaftsurlaub in einem tieferen Pensum wieder in die angestammte Funktion zurück. Ausserdem arbeiteten weibliche Führungskräfte praktisch immer in Teilzeit und zwar zwischen 60 und 90 Prozent. Weiter biete das Unternehmen auch alle Stellen in einem Pensum von 80 Prozent an. Zwei weitere Organisationen setzen auf individuelle Lösungen: «Bei uns wird jeder gefördert, wenn er möchte, unabhängig vom Alter und den Stellenprozenten.» Und: «Grundsätzlich fördern wir mit individuellen Lösungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.»

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Richtiges «Set-up» fürs Job-Sharing entscheidend

Warum aber, fragen wir uns, ist das vielgepriesene Job-Sharing denn nicht erfolgreicher? Als Antworten werden mangelnde Erfahrung, ein hoher Abstimmungsaufwand und die Komplexität der Modelle genannt. Man verpasse damit aber auch eine Chance, da sich bei zwei Führungskräften deren Stärken verdoppelten, meint einer der Befragten selbstkritisch. Die meisten HR-Verantwortlichen erklären zudem, dass für ein erfolgreiches Job-Sharing das «Set-up» stimmen müsse, das heisst eine erfolgreiche Konstellation zweier zusammenpassender Partner. Und dies sei nicht ganz einfach zu finden. Auch hänge der Erfolg sehr stark vom Individuum ab.

Für ein erfolgreiches Job-Sharing muss das «Set-up» stimmen - die Konstellation zweier zusammenpassender Partner.

Eine HR-Managerin erklärt, dass sie sowohl sehr positive Beispiele von Führungskräften erlebt habe, die in tiefen Pensen arbeiteten, aber leider auch andere, in der die Führungsqualität aufgrund des tiefen Pensums – verstärkt noch durch Home Office-Arbeit – stark gelitten hätte. «Job-Sharing kann funktionieren, hängt aber extrem von der Flexibilität, der Zusammenarbeit und der geschickten Aufgabenteilung der zwei Parteien ab», erklärt sie. Auf jeden Fall seien eine gute Abstimmung und der Einsatz von «One Voice to the Customer» (siehe Box) sehr wichtig. Eine andere Personalverantwortliche erklärt, dass ihr eigener Job-Sharing Versuch gescheitert sei – vor allem wegen der ebengenannten fehlenden Abstimmung. Sie und ihr Co-Partner hätten ein 100 Prozent-Pensum im Verhältnis 60 zu 40 Prozent aufgeteilt, was kein Austausch zwischen ihnen zugelassen hätte. Um die sehr wichtige Abstimmung zu ermöglichen, sollten ihrer Ansicht nach deshalb Job-Sharing-Stellen mindestens 120 Prozent umfassen.

«One Voice to the Customer»

Mit dem «One Voice to the Customer»-Ansatz verfolgt ein Unternehmen das Ziel, gegenüber seinen Kunden mit einer einheitlichen Kommunikation aufzutreten. Alle Abteilungen und Mitarbeiter sollen dieselbe Botschaft vermitteln und denselben Service bieten. Damit werden Missverständnisse vermieden und Vertrauen aufgebaut.

Analyse der eigenen Belegschaft

Was ist zu tun? Als möglicher erster Lösungsschritt rät Rhiner Organisationen, ihre eigene Belegschaft nach Geschlecht, Alter und Position zu analysieren.
Bei diesem Punkt schneiden die befragten Schaffhauser Firmen recht gut ab. Die meisten analysieren ihre Belegschaft nach diesen Kriterien. Eine der befragten HR Manager erklärt, dass ihr Unternehmen über ein sehr detailliertes HR-Cockpit verfügt, in dem die Altersstruktur, der Ausbildungsstand, das Geschlecht, die Funktion und weitere Faktoren analysiert würden. In einem anderen Unternehmen werden monatlich die Demografie visualisiert und eine aktive Nachfolgeplanung betrieben. Zudem werde die Quote von Frauen in Führungspositionen monatliche erhoben und rapportiert.

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Lösungsansätze Schaffhauser HR Manager

Und zum Schluss interessiert uns natürlich, worin die Befragten selber Lösungsansätzen für die momentan unbefriedigende Situation sehen. Anbei vier der Antworten in Zitatform:

«Ich würde mir wünschen, dass gesamthaft Offenheit für neue Arbeitsmodelle besteht – geschlechtsunabhängig. Wenn auch die Männer zum Beispiel die Möglichkeit haben, das Arbeitspensum für Familienbetreuung zu reduzieren, haben die Frauen automatisch mehr Möglichkeiten, weiterhin an der Karriere dranzubleiben.»

«Kultur im Unternehmen schaffen, in der Teilzeit akzeptiert wird. Gute, bekannte Rollenmodelle im Unternehmen haben, welche aktiv beweisen, dass es funktioniert. Immer wieder offen sein für Experimente, am Ende hängt es aber immer am Willen der Führungskraft und vor allem auch am Willen und Einsatz der betroffenen Person.»

«Ich denke, dass aufgrund des aktuellen schwierigen Arbeitsmarkts zwangsläufig ein Umdenken passieren muss. Ich bin kein Fan davon, etwas erzwingen zu wollen (Frauenquote), da dies meiner Meinung nach nicht gut für das Klima in den Unternehmen ist.»

«Tagesstrukturangebote für die Kinderbetreuung, familienfreundliche Systeme in den Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten während der Familienzeit.»

Fazit: Schaffhausen kann durchaus noch einen Zacken zulegen in Sachen Frauen-, und insbesondere in Sachen Mütterförderung. Zu attestieren bleibt jedoch, dass sich die Verantwortlichen Gedanken machen und gerade auch bei KMU, Initiative und Flexibilität in dieser wichtigen Thematik ersichtlich sind.

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