«Die Hauptaufgabe der Eltern im Berufswahlprozess ist es, die Jugendlichen immer wieder neu zu motivieren»
Am 9. November lanciert das Berufsinformationszentrum (BIZ) einen «Tag der offenen Tür für Eltern». Wir treffen den Leiter des BIZ, Claudio Pecorino, und möchten von ihm wissen, warum der Anlass geschaffen wurde, wie sich das BIZ, gerade auch durch die Digitalisierung, in den letzten Jahren verändert hat, was für Angebote die Jugendlichen (aber auch Erwachsene) beim BIZ finden und insbesondere, worin er die Rolle der Eltern im ganzen Berufswahlprozess sieht. Und natürlich ganz wichtig: Wann ist der richtige Zeitpunkt, eine Bewerbung für eine Lehrstelle abzuschicken?
Herr Pecorino, warum lanciert das BIZ einen Tag der offenen Tür für Eltern?
Claudio Pecorino: Bis vor einem Jahr fanden die Elternabende zum Thema Berufswahl grösstenteils bei uns im BIZ statt, dieses Jahr haben wir sie ausschliesslich in den Schulen durchgeführt. Die Elterninformation spielt eine wichtige Rolle im ganzen Berufswahlprozess junger Menschen, und dazu gehört auch, das Berufsinformationszentrum kennenzulernen. Da die Eltern nun nicht mehr «automatisch» bei uns sind, fehlt die Möglichkeit, uns zu zeigen, unsere Angebote vor Ort konkret vorzustellen und die Chance, vertiefter mit den Eltern in Kontakt zu kommen. Mit dem Tag der offenen Tür wollen wir genau dies nachholen und Berührungspunkte schaffen. Insbesondere, da wir die Eltern als sehr wichtige Partner im Berufsfindungsprozess ansehen.
Der direkte Kontakt wird vermutlich auch durch die Digitalisierung erschwert, erklären Sie mir warum?
Pecorino: Früher mussten alle unsere Kundinnen und Kunden noch persönlich im BIZ vorbeikommen, um einen Termin auszumachen. Während dieses ersten Gesprächs konnten wir das Anliegen klären, die weiteren Schritte vereinbaren und auch gleich einen ersten Auftrag für das Beratungsgespräch mit nach Hause geben. Heute kommen die meisten Anmeldungen digital rein, und damit hat sich auch der Beratungsprozess verändert. Aufgrund dieser Veränderung haben wir unsere Öffnungszeiten angepasst. Nach wie vor ist aber während unserer Öffnungszeiten am Dienstag-, Mittwoch- und Donnerstagnachmittag immer auch eine Beratungsperson vor Ort, um eine erste Beratung durchzuführen. Dazu ist übrigens keine Anmeldung nötig. Unsere Kundinnen und Kunden können ohne Termin während der Öffnungszeiten zu uns kommen. Ausserdem funktioniert das BIZ auch wie eine Bibliothek, man kann Informationsmaterial ausleihen und mitnehmen.
Am Elternabend der zweiten Oberstufe bekommen die Schüler ein Berufswahltagebuch, als Eltern kriegt man auch ein Büchlein in die Hand gedrückt mit der Aussage, dass auch die Eltern Hausaufgaben bekämen. Was ist Sinn und Zweck dieser beiden Büchlein?
Pecorino: Es geht beispielsweise darum, Stärken und Schwächen des Jugendlichen festzuhalten. Das Elternheft dient primär dazu, die Eltern in diesem Prozess zu unterstützen und mit ins Boot zu holen. Sie sollen von Anfang an miteinbezogen sein. Denn die Eltern bringen eine wichtige zusätzliche Sichtweise ein, da sie ihr Kind ja schlussendlich am besten kennen.
Worin sehen Sie die Hauptaufgabe der Eltern im ganzen Prozess?
Pecorino: Diese sehe ich darin, dass Eltern ihr Kind immer wieder neu motivieren. Denn die Berufswahl steht im Alter, in dem sich die Jugendlichen befinden, nicht immer an erster Stelle ihrer Interessen, und da können Eltern helfen, dranzubleiben, gemeinsam einen nächsten Schritt zu planen, etwas zusammen anzuschauen, und so auch den Blick erweitern. Auch nachfragen, ob Termine schon ausgemacht wurden, wichtig gerade dann, wenn es beispielsweise um Schnupperlehren geht.
Es ist ja zum Teil etwas ein Seiltanz für die Eltern, sich nicht zu viel oder zu wenig einzumischen.
Pecorino: Das grösste Problem finde ich mit Abstand, wenn das Thema den Eltern egal ist. Die Jugendlichen tun in diesem Alter schon erwachsen und gross, aber sie brauchen auch eine Schulter, an die sie sich anlehnen, und einen Ort, an dem sie etwas besprechen können und Unterstützung finden.
Wann empfehlen Sie, mit dem Berufswahlprozess zu beginnen? Wie sieht der richtige Zeitplan aus?
Pecorino: Ich setze mich dafür ein, dass man nicht früher als beim Start der zweiten Oberstufe mit dem ganzen Berufswahlprozess beginnt. Die Kinder werden aufgrund der früheren Einschulung auch immer jünger und haben erst gerade den Wechsel in die Oberstufe hinter sich. Für eine gute Berufswahl ist es wichtig, dass die Jugendlichen über eine gewisse Reife verfügen, um dem Thema auch richtig begegnen und es verstehen zu können. Als Hilfe dient der «Berufswahlfahrplan» mit Empfehlungen von uns, wann was stattfindet und Sinn macht:
Schulen beklagen sich, dass sich Firmen aufgrund des Fachkräftemangels immer früher direkt bei den Schülern melden und sie quasi anwerben möchten. Was ist Ihr Erleben?
Pecorino: Vor rund zwei Jahren wurde auf nationaler Ebene eine Vereinbarung erarbeitet, die von allen grossen Arbeitgeberverbänden unterschrieben wurde. Darin ist festgehalten, dass die Lehrstellen nicht früher als ein Jahr vor Lehrstellenbeginn publiziert werden und auch Lehrverträge frühestens ein Jahr vor Beginn der Ausbildung genehmigt werden dürfen. Da besteht also ein Commitment. Das Problem bei Commitments ist nur, dass sie nicht bindend sind. Daher wird es immer Betriebe geben, die sich nicht an die Vereinbarung halten.
Ganz super finde ich auch das Angebot «Berufe stellen sich vor». Für alle, die noch nie davon gehört haben, wie funktioniert dieses Angebot?
Pecorino: Wir sind die Organisatoren dieses tollen Projekts. Durchgeführt werden die Anlässe von Firmen, Verbänden und Schulen. Klassischerweise stellen in einer Ausbildungsfirma an einem Mittwochnachmittag Fachleute und Lernende einen Beruf während zweier Stunden vor. So bekommen die Jugendlichen einen Eindruck von der Firma, deren Atmosphäre, wie alles funktioniert, worum es genau geht, was wichtig ist im Job. Zudem ist ein Austausch möglich, sie können Fragen stellen. Sinn und Zweck des Anlasses ist es, dass die Teilnehmenden nach diesen zwei Stunden wissen, ob der Beruf etwas für sie sein könnte und ob sie die Idee weiterverfolgen sollen oder nicht.
Und wo findet man Informationen über die Anlässe, und was braucht es, um dabei zu sein?
Pecorino: Das Gute ist, dass das Angebot total niederschwellig ist. Eine Anmeldung reicht. Jährlich finden rund 250 solcher Anlässe statt. Neben dem digitalen Weg publizieren wir eine Broschüre mit dem Angebot, die bei uns erhältlich ist. Wir machen sehr gute Erfahrungen mit diesem Konzept, gerade weil die Hürde so tief ist. Die Jugendlichen können so mit wenig Aufwand einen ersten Berufsüberblick bekommen, und dies nicht nur digital, sondern physisch vor Ort in einer Organisation.
Sie bieten jedoch nicht nur Beratungen für Jugendliche an. Auch Erwachsene sind bei Ihnen willkommen, beispielsweise für Laufbahnberatungen oder die Beratung «viamia», die für Personen über 40 Jahre konzipiert wurde. Wie funktionieren diese Angebote?
Pecorino: Obwohl wir seit vielen Jahren auch Laufbahnberatungen und Angebote für Erwachsene anbieten und dieser Anteil mittlerweile über 50 Prozent unserer Beratertätigkeit ausmacht, wird das BIZ immer noch vor allem mit Jugendlichen assoziiert. Seit rund drei Jahren gibt es ausser der Laufbahnberatung das Projekt «viamia». Das Projekt wurde vom Bund gestartet, ist kostenlos und will die «Arbeitsmarktfähigkeit» Erwachsener erhöhen. Es möchte Anstoss geben, dass sich auch Erwachsene immer wieder fragen: «Wie bin ich eigentlich aufgestellt an meinem Arbeitsort? Was wäre, wenn ich meinen Job wechseln würde? Welche Chancen hätte ich auf dem Arbeitsmarkt?» Hat man sich für das Programm angemeldet, folgt eine Standortbestimmung, für welche mittels Fragebogen eine Einschätzung der Arbeitsmarktfähigkeit für den beruflichen Erfolg eruiert wird. Danach findet ein Gespräch statt, bei dem auch der Lebenslauf zusammen angeschaut wird. Während des Beratungsverlaufs kann auch eine Einschätzung vorgenommen werden, ob beispielsweise noch eine weitere Ausbildung sinnvoll wäre oder was konkret für alternative Möglichkeiten bestehen.
Was ist Ihr Ziel mit dem BIZ, Ihr Wunsch für Jugendliche und Erwachsene?
Pecorino: Mit unseren Dienstleistungen möchten wir unserer Kundschaft auch in Zukunft Perspektiven eröffnen und ein verlässlicher, moderner Partner über die gesamte Berufskarriere hinweg sein. Das mag vielleicht ambitioniert klingen, doch ich bin überzeugt, dass Bildung, Arbeit, Arbeitsmarktfähigkeit und die Gestaltung der eigenen Laufbahn zentrale Themen bleiben werden. Es ist wichtig, dass wir am Ball bleiben und die gesellschaftlichen Veränderungen immer mitberücksichtigen.
Die aktuellen Veränderungen und Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt können sicherlich Ängste hervorrufen. Gleichzeitig sehe ich darin aber auch Chancen. Dank unserer Bildungsmöglichkeiten können wir dazu beitragen, dass auch künftig die meisten Menschen ihren Platz im Arbeitsmarkt finden.