Schuhhaus Walder: Sechs Familiengenerationen und 150 Jahre Erfahrung

Iris Fontana | 
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Sechste Generation des Familienunternehmen Walder: v.l.: Martina Walder, Sandra Furger, Daniel Walder. Bild: ZVG

1874 hielt Caspar Appenzeller das erste Paar in seiner Schuhfabrik «Zur Heimat» gefertigte Brüttiseller Schuhe in Händen. Es war der Beginn einer langen Firmen- und Familiengeschichte: Mittlerweile wird das Unternehmen in sechster Generationen geführt. Mit viel Durchhaltewillen und Unternehmergeist wurde auch schwierigen Zeiten getrotzt: Weltkriegen, Fabrikschliessung, Corona-Pandemie und aktuell dem Wandel im Detailhandel. Ein Treffen mit drei Unternehmer-Geschwistern, die heute zusammen das traditionsreiche Schuhhaus führen, das auch eine Filiale in Schaffhausen betreibt.

Herr Walder, hört man das Wort Detailhandel, assoziieren viele Menschen Begriffe wie Filialschliessungen, Wandlung von physischen Läden in Onlineshops und «Lädelisterben». Sie jedoch sagen, dass es zu jedem Trend einen Gegentrend gibt. Wie sieht dieser Gegentrend bei Walder aus?

Daniel Walder: «Als Familienunternehmen sind wir agil und wendig und haben uns immer weiterentwickelt und dem Markt angepasst. Walder betreibt heute einen professionellen Online-Shop, investiert aber weiterhin auch in den stationären Handel. Entscheidend ist unser grosses Engagement im Bereich Ausbildung und Kundenservice. Für uns ist Online und Handel ein Miteinander, das heisst, wir forcieren das Omni-Channeling (nahtloses, kanalübergreifendes Einkaufserlebnis für den Kunden), haben in E-Commerce und in eine leistungsfähige Logistik investiert und mit ‘Click&Collect’ (Schuhe online bestellen, im Store unter fachkundiger Beratung probieren und abholen) zudem eine optimale Lösung für die Inspiration online und den Kauf offline kreiert.»

Walder-Werbung aus den 1960er-Jahren. Bild: ZVG

In jüngerer Zeit, insbesondere während der Corona-Pandemie, war eine Anpassung an den Markt zentral. Wie Generationen vor ihr, begriff auch die heute aktive Unternehmerfamilie die Herausforderung als Chance und nahm eine tiefgreifende Restrukturierung vor: Zahlreiche Filialen wurden geschlossen, eine effizientere Logistik aufgebaut, das Lager rigoros abgebaut und die Anzahl Modelle wie auch die Lieferantenzahl wurden konzentriert. Weiter sah die neue Strategie einen verstärkten Ausbau des Sortiments durch Accessoires vor, die Umsetzung eines Nachhaltigkeitskonzepts sowie die Profilierung durch in der Schweiz entwickelte oder hergestellte Produkte. Aus welchem Grund die neue Strategie «Swissness» umfasst und wie diese konkret umgesetzt wird, beantwortet mir Martina Walder auf meine Frage wie folgt:

Martina Walder: «Als ehemaliger Schuhfabrikant haben wir bis heute einen starken Bezug zum Schweizer Schuhwerk. Momentan haben wir bei Walder an die 20 Schweizer Marken im Bereich Schuhe und Accessoires im Sortiment und möchten diesem Feld zukünftig noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Dafür haben wir im Sihlcity unser erstes Swiss-Lab geschaffen. Hier dreht sich alles um Schweizer Marken – etablierte und aufstrebende – und um Nachhaltigkeit. Innovative Konzepte werden vorgestellt und Brands erhalten eine Plattform. Der Start ist geglückt, jetzt bauen wir laufend aus und entwickeln das Swiss-Lab weiter.»

Walder-Filiale im Sihlcity. Bild: ZVG

Nachhaltigkeit und Innovation. Diese Eigenschaften scheinen in der Walder-DNA zu liegen, waren sie doch schon für die Firmengründung zentral. Das Unternehmen wurde nämlich ursprünglich nicht aus primär wirtschaftlichen, sondern aus sozialen Absichten heraus gegründet. So wollte Firmengründer Caspar Appenzeller – Seidenindustrieller und Philanthrop – als Pendant zu den von ihm geführten Mädchenheimen in Wangen und Tagelswangen auch eine Knabenanstalt für heimatlose Jungen gründen, die dort bei einer sinnvollen Tätigkeit Zukunftsperspektiven erhalten sollten. Im Gegensatz zu den Mädchenheimen, in denen Seide bearbeitet wurde, empfand Appenzeller die Herstellung von Schuhen als geeignetere Beschäftigung für Knaben. So errichtete er kurzerhand eine Fabrik zu diesem Zweck.

Firmengründer Caspar Appenzeller-Landolt. Bild: ZVG

Herr Walder, Ihr Unternehmen hat eine eindrückliche Entstehungsgeschichte. Sie sagen, die Gründungsgeneration habe die Firmen-DNA geprägt und als sechste Unternehmergeneration versuchten Sie diese bis heute bestmöglich in den Firmenalltag einzubinden. Wie und worin zeigt sich diese soziale Firmen-DNA?

Daniel Walder: «Dem Firmengründer und Menschenfreund Caspar Appenzeller war es immer ein Anliegen, Menschen bei sinnvoller Arbeit glücklich zu machen. Trotz allen Herausforderungen und Entwicklungen steht bei Walder auch heute noch der Mensch im Mittelpunkt – langjährige Mitarbeitende, treue Kundinnen und Kunden, verlässliche Geschäftspartner oder Mieterinnen und Mieter.»

Dass dieses «Sozialprojekt» über anderthalb Jahrhunderte erfolgreich überlebt hat, sich in dieser Zeit zu einem relevanten KMU (Klein-und Mittelunternehmen) entwickelte und sich auch nach sechs Generationen immer noch in Familienhand befindet, ist eine grosse Leistung.

Walder in Schaffhausen

 

Walder Schaffhausen
Walder Store in Schaffhausen. Bild: ZVG


Seit 1992 ist Walder auch mit einem Geschäft in Schaffhausen präsent. Anfang 2023 wurde dieses um eine Etage verkleinert und dem neusten Store-Konzept angepasst. Auf 200 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet Walder heute ein Sortiment an Schuhen und Accessoires für die ganze Familie an. Trotz Reduktion der Ladenfläche sind die Umsätze, gemäss Walder, seit der Neupositionierung angestiegen und entwickeln sich gut.

Frau Furger, Hand aufs Herz, ein Unternehmen mit zwei Geschwistern zu leiten. Wie funktioniert das?

Sandra Furger: «Seit der Gründung haben während sechs Generationen insgesamt zwanzig Familienmitglieder die Leitung von Walder verantwortet. Es muss wohl in der Familie liegen, dass wir es gut miteinander können. Aber natürlich gibt es auch ab und zu einmal Meinungsverschiedenheiten. Diese diskutieren wir aus und konzentrieren uns dann wieder auf unsere Herzensangelegenheit: Schuhe.»

War Ihnen drei schon immer klar, dass sie miteinander das Geschäft weiterführen wollen?

Sandra Furger: «Mir und meinem Bruder war schon früh klar, dass wir ins Schuhgeschäft einsteigen wollen. Meine Schwester fand über Umwege, aber mittlerweile auch bereits schon vor vielen Jahren, den Einstieg ins Familienunternehmen.»  

Dass die Familie wohl wirklich mit dem Schuhvirus infiziert ist, zeigt folgende Anekdote, die in der Jubiläumsschrift zitiert wird. So soll der Firmenvorsitzende Daniel Walder in den alten Freundschaftsbüchern seiner Schulkollegen unter «Traumberuf» jeweils nicht «Astronaut» oder «Pilot», sondern «Schuhdirektor» eingetragen haben.

Geschichte

Walder Areal
Eindrückliche Fabrikgebäude der Walder Schuhfabrik Ende des 19. Jahrhunderts in Brüttisellen. Bild: ZVG

Schuhhaus Walder

Die Firma Walder hatte grossen Einfluss auf die schweizerische Schuhindustrie. Um 1900 fertigten rund 800 Mitarbeiter täglich zirka 2000 Paar Schuhe. 1965 erreicht die Firma mit einer Tagesproduktion von über 3000 Paar Damenschuhen ihren Höhepunkt und avanciert – hinter Bally – zur schweizweit zweitgrössten Damenschuhfabrik. Doch Ende der 1960-er Jahre kam die Wende: Die Schuhimporte stiegen rasant und aufgrund des hohen Lohnniveaus und des Arbeitskräftemangels musste die Schuhproduktion 1971 eingestellt werden.

So kam es in den 1970-er Jahren zur Neugründung der Walder Holding AG mit den Tochtergesellschaften Schuhhaus Walder AG und Walim AG (Walder Immobilien).

Schuhhaus Walder AG

Nach der Einstellung der Schuhproduktion orientierte sich die Tochtergesellschaft neu und nutzte die Möglichkeit, den fabrikeigenen Schuhdetailhandel – auch dank Übernahmen – massiv zu vergrössern und zu einem modernen Schuhanbieter zu entwickeln. Als Nischenanbieter gelang es ihr immer wieder, sich von Mitbewerbern abzusetzen. Unter anderem spezialisiert sich die Firma auf Damen- und Kinderschuhe. Nach einem Abstecher ins Franchisegeschäft erfolgte eine Fokussierung auf eine eigene Filialkette mit gepflegten modischen Schuhfachgeschäften für den Verkauf von Schuhen und Accessoires im oberen Mittelpreisbereich. Mit aktuell 28 Verkaufsgeschäften – drei davon reine «Walder Junior»-Filialen – gelang es Walder zum grössten unabhängigen, rein schweizerischen Schuhhändler aufzusteigen. Das Schuhhaus beschäftigt heute am Hauptsitz und in den Fachgeschäften rund 230 Mitarbeitende und generiert einen Umsatz von rund 38 Millionen Franken.

Schon gewusst?

In der Schweiz wird heute fast jedes dritte Paar Schuhe online bestellt.

Bei Schuhen muss im E-Commerce mit einer hohen Retourenquote gerechnet werden. Zum einen, weil die Schuhgrösse 38 je nach Schnitt nicht immer eine 38 ist. Zum anderen, weil jeder Mensch zwei unterschiedliche Füsse hat. In der Filiale kann darauf reagiert und der Grössenunterschied mit einer Sohle ausgeglichen werden. Online fehlt eine diesbezügliche Beratung.

2023 wurde die Schuhhaus Walder AG mit dem «Retail Award Switzerland» ausgezeichnet. Als Kriterium wurde seine konstante Position als innovativer, moderner Schweizer Schuhhändler mit kompetenter Beratung angegeben.

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