Mit Bernina ins digitale Zeitalter

Nach siebenjähriger Entwicklungszeit stellt Bernina «die grösste und fortschrittlichste Maschine, die je ihr Werk verlassen hat», vor. Den «Zahltag» interessierte, wie das Traditionsunternehmen aus einer mechanischen Präzisionsmaschine ein «Werkzeug» fürs digitale Zeitalter entworfen hat, und weshalb die neue Maschine den Erfolg sichern soll. Ein Besuch in einem Familienunternehmen im Wandel.
Unter dem Motto «Create your Magic» hat Bernina ihre neue Flaggschiff-Nähmaschine Bernina 990 (B 990) präsentiert. Obwohl – die Bezeichnung Nähmaschine, scheint irgendwie nicht zu passen. Vielmehr ähnelt die Maschine auf Bild und Beschreibung einem Nähcomputer. Dass es sich bei aller Technikentwicklung der vergangenen Jahre bei dem neuen Modell um einen grossen Wurf handeln muss, zeigt allein schon die lange Entwicklungszeit. Sieben Jahre lang wurde an der neuen Maschine gearbeitet.
«Die Bernina 990 übertrifft alles, was wir in unserer mehr als 130-jährigen Geschichte an Maschinen konstruiert haben. Und zwar um Längen», sagt Bernina-Inhaber Hanspeter Ueltschi stolz bei der Präsentation des Hightech-Geräts. Aber, ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?

Wir fragen nach bei Henrique Wolter, dem verantwortlichen Produktmanager, was denn genau diese Aussage rechtfertige. Seine Antwort: «Die Bernina 990 setzt sowohl in Bezug auf ihre Dimension als auch ihre Funktionen neue Standards. So bietet keine andere Haushaltnähmaschine mehr Platz rechts der Nadel als die B 990 mit 356 mm. Auch der Stickrahmen, der mit der B 990 mitgeliefert wird, hält den Grössenrekord bei den Haushaltmaschinen. Damit lassen sich selbst grosse Näh-, Stick- und Quiltprojekte mühelos umsetzen.» Doch nicht nur der Platz ist immens, das neue Hightech-Gerät näht mit 1200 Stichen pro Minute auch sehr schnell und ausserordentlich leise. Zudem bietet es 2927 verschiedene Stiche und 879 integrierte Stickmuster an.

Scanner, Kamera und Laser ermöglichen das präzise Platzieren von Motiven direkt auf dem ergonomisch im Zentrum der Maschine eingebauten Display. Wer sich nun vor der Bedienung fürchtet, dem versichert Wolter, dass diese einfacher denn je ist: «Dafür sorgen ein 10-Zoll-Touchscreen und ein integriertes Hilfe-Center, das Schritt-für-Schritt-Unterstützung bietet.» Bei der B 990 wurde also nicht ein einzelner grosser Entwicklungsschritt gemacht, sondern vielmehr eine ganze Reihe bedeutender Neuerungen umgesetzt.
Auf die Frage, warum die Entwicklung so lange gedauert hat, erklärt der Produktmanager, dass ein Flaggschiff-Produkt wie die B 990 die Grundlage für die ganze unternehmerische Zukunft setze, da es die Richtung des gesamten Produktportfolios vorgebe. «Gerade wenn es um digitale Technologien geht, ist es eminent wichtig, das Fundament richtig zu legen. Deshalb haben wir die ganze Maschinenfirmware und Elektronik überarbeitet», so Wolter.
Zudem habe die aussergewöhnliche Maschinengrösse einen Einfluss auf das gesamte Nähsystem, das deswegen neu konzipiert werden musste. Zum Vergleich: Die in der Schweiz beliebte Bernina 535 bietet 215 mm Platz rechts der Nadel. Bei der B 990 sind es rund 140 mm mehr. Sie hätten beim Projekt von Anfang an ein ehrgeiziges Ziel verfolgt, so Wolter weiter: Die beste Haushaltnäh- und Stickmaschine im Premium-Segment zu entwickeln. «Die grösste, aber auch die präziseste. Das erwarten unsere Kunden einfach von Bernina. Ein mechanisches Wunderwerk, das für die digitale Zukunft vorbereitet ist. Es hat länger gedauert als erwartet, aber wir haben das Ziel definitiv erreicht.»

Eine der Herausforderungen sei beispielsweise gewesen, dass sich das Entwicklungsteam Bildverarbeitungs-Know-how aneignen musste. «Als die integrierte Kamera der B 990 dann endlich den Stickrahmen in der von uns erwarteten Präzision und Qualität scannte, war das einfach grossartig».

Per Memorystick kann ein Stickmuster auf die Maschine geladen werden – oder man tut dies direkt über die integrierte WiFi-Funktion. Auch eine Maus lässt sich anschliessen. Bedient wird die Maschine per Touchscreen. Bilder, die mit der Maschine gescannt wurden, können direkt auf dem Screen bearbeitet oder per WiFi an einen Computer geschickt und dort in einer separaten Sticksoftware weiterverwendet werden. Bild: Iris Fontana
Denn natürlich war der Technologiefortschritt in den sieben Jahren Entwicklungszeit riesig. Dies hatte auch Einfluss auf den Prozess, da die Entscheidung über die grundlegenden Technologien bereits zu Projektbeginn getroffen werden musste. «Der technische Fortschritt während der Entwicklung erforderte von uns ein hohes Mass an Flexibilität – bot aber auch neue Chancen.» So sei die Einführung des Integrierten Stichregulators (BISR) noch ein Jahr vor dem Launch nicht vorgesehen gewesen.
«Dank der rasanten Fortschritte in der Sensortechnologie und insbesondere der Miniaturisierung der Bauteilgrösse konnten wir den BISR jedoch in kürzester Zeit zur Marktreife bringen. Dieser ist nun ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der B 990», so Wolter. Der Stichregulator kommt zum Einsatz, wenn ohne automatischen Stofftransport freihand genäht wird. Er erfasst mit einem optischen Sensor die Bewegung des Stoffs, passt die Nähgeschwindigkeit entsprechend an und sorgt so dafür, dass alle Stiche exakt gleich lang werden – egal ob der Stoff schnell oder langsam geführt wird.

Und wie kommt das Produkt bei den Kunden an? «Diese sind von der neuen Maschine ebenso begeistert wie unsere Handelspartner», erklärt Mediensprecher Matthias Fluri. Das zeige auch ein Blick auf die Kommentare in den sozialen Medien. «Die Nachfrage nach der Maschine übersteigt derzeit unsere Fertigungskapazitäten, obwohl wir in Steckborn Überzeit arbeiten. Es kann bei Neubestellungen also zu Wartezeiten kommen.»
Dass dies nicht nur leere Worte sind, beweisen die euphorischen Kommentare der an der Produktvorführung anwesenden Nähbloggerinnen. Neben «oh» und «ahs», und «Nein, das glaub ich jetzt aber nicht», meinte eine der Bloggerinnen gar: «Ich verkaufe mein Pferd für diese Maschine.» Denn natürlich hat der Nähcomputer mit rund 15’000 Franken seinen Preis.

Die Zielgruppe sind gemäss Mediensprecher Fluri denn auch sehr ambitionierte Hobbyanwenderinnen, die das Nähen, Sticken und Quilten mit grosser Leidenschaft betreiben und Wert auf höchste Qualität legen. So verwundert die zuerst erstaunlich anmutende Zahl, dass Bernina rund 75 Prozent ihres Konzernumsatzes in den USA erwirtschaftet, nicht weiter. Denn Patchwork und Quilting sind in den USA ein weitverbreitetes Hobby.
Aus diesem Grund wurde die B 990 auch als Erstes an einem mehrtägigen Event in den USA vorgestellt, zu dem sich 1000 Fachhandelsvertreter einfanden. Ein solches Interesse kommt nicht von ungefähr. So bot Bernina Kunden vor dem Event die Möglichkeit, sich gegen eine Anzahlung in der Höhe von 1000 Dollar eine Maschine zu sichern – notabene ohne Kenntnis der Produktedetails. Laut Aussagen von Mediensprecher Fluri haben 1600 Personen diese Möglichkeit genutzt. Ganz im amerikanischen Stil war die Lancierungs-Show mit grossem Enthüllungseffekt verbunden. Deshalb wurde in der Entwicklungsphase auch grösste Geheimhaltung gewahrt – während Jahren fanden nicht einmal mehr Betriebsbesichtigungen statt. Dies selbstverständlich nicht nur wegen der Show, sondern vor allem deshalb, um Mitkonkurrenten keine Möglichkeit zu bieten, an Insiderwissen zu gelangen.

Zu den Gründen des Erfolgs in den USA meint Fluri: «Bernina geniesst unter Menschen, die das Nähen, Sticken und Quilten als Hobby ausüben, einen ausgezeichneten Ruf. Einen Ruf, den wir durch Innovationen und herausragende Qualität erworben haben.» Swiss Quality und Engineering also.
Dass es diese nicht umsonst gibt, beweist die Tatsache, dass Firmenpatron Hanspeter Ueltschi, um die Entwicklung zu ermöglichen, über die Jahre einen hohen zweistelligen Millionenbetrag investierte. Neben einem Projektleiter waren zehn Teilprojektleiter und zahlreiche weitere Mitarbeiter aus allen Abteilungen ständig in die Entwicklung involviert. Dass die Bernina 990 in der Schweiz entwickelt und hergestellt wird, ist dem Unternehmer wichtig. Ueltschi: «Innovationskraft und Qualität sind für uns matchentscheidend. Trotz starkem Schweizer Franken halten wir am Fertigungsstandort Schweiz fest. Das Steckborner Werk ist inzwischen das einzige Werk für Haushaltnähmaschinen in der westlichen Welt. Um hier erfolgreich zu sein, war ein weiterer Extra-Effort nötig. Doch ich bin sicher, dass sich der Aufwand auszahlen wird.»

Diese Haltung scheint Auswirkungen zu haben, denn auf das Thema Fachkräftemangel angesprochen, meint Produktmanager Wolter, dass dieser natürlich auch vor Bernina nicht haltmache. Dabei sei jedoch das Motto der Firma: «'Wer Produkte von einzigartiger Qualität herstellen will, muss seinen Mitarbeitenden Einzigartiges bieten.' Wir betrachten die Mitarbeitenden als wertvollstes Kapital und bieten ihnen zahlreiche Vorteile. Hinzu kommt, dass wir ein Familienunternehmen sind und ein Produkt herstellen, auf das man stolz sein kann.» Viele Bernina-Mitarbeitende fühlten sich als Teil einer Familie und identifizierten sich stark mit der Marke.
Fazit: Der sich schon jetzt abzeichnende Erfolg der B 990 scheint ein weiteres Beispiel dafür zu sein, wie langfristige Planung und Investition in einem Familienunternehmen Früchte tragen können.