Aktiv zuhören, Vertrauen schenken: Das sind wichtige Skills von guten Chefs
Wohl jeder Chef und jede Chefin stellt sich die Frage, wie sie das Potenzial ihrer Mitarbeitenden voll ausschöpfen, deren Entwicklung und Motivation fördern und die Leistungsfähigkeit des Teams steigern kann. Lukas Schönwetter, Leiter Globale Berufsbildung & Employer Branding bei der Georg Fischer AG (GF) ist Experte auf dem Gebiet und stellt sich unseren Fragen.
Herr Schönwetter, stellen wir uns vor, Sie sind auf einem Elevator-Pitch und haben nur wenige Sekunden Zeit. Welches Konzept im Bereich Mitarbeiterentwicklung müssen Führungspersonen auf jeden Fall kennen?
Lukas Schönwetter: Ich würde mich für «aktives Zuhören» entscheiden, welches ich auch so ausformuliere: «Zuerst verstehen, dann verstanden werden.» Gutes Zuhören und wirkliches Interesse für den Mitarbeitenden zu zeigen, kann sehr viel Vertrauen auslösen.
Das Ziel ist also, Mitarbeitervertrauen aufzubauen, und dazu ist aktives Zuhören essenziell?
Schönwetter: Genau, denn Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit ist die Grundlage, damit sich ein Mitarbeiter wohlfühlen und so auch gute Leistung erbringen, das heisst, sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Er braucht also Unterstützung von seiner Umgebung – seinem Chef und seinem Team, um Bestleistungen erbringen zu können.
Wie sieht die Umsetzung dieses Konzepts konkret in Ihrem Unternehmen, der GF, aus?
Schönwetter: Als Erstes erklären wir unseren Führungskräften, wie Vertrauensbildung funktioniert und wie sie Vertrauen in ihrem Team aufbauen können. Als Zweites widmen wir uns dem Thema: «Warum will ich eigentlich führen?» Wir betrachten mit den Führungskräften die Frage, wie ihre Werte aussehen und was ihnen den Antrieb gibt, mit Menschen zusammenzuarbeiten und zu versuchen, sie zum Erfolg zu führen.
Im Zusammenhang mit dem Thema Vertrauen gibt es auch das Konzept der «Secure Base Leadership». Was hat es damit auf sich?
Schönwetter: Das Konzept zeigt auf, was nötig ist, um das Potenzial bei Menschen zu maximieren und dies über alle Gruppengrössen hinweg. Bei Einzelpersonen, als Team und als gesamte Organisation. Es erklärt, dass Führungskräfte dem Mitarbeiter Schutz bieten müssen, damit er seinen vollen Handlungsspielraum ausleben kann. Denn um in seiner Entwicklung weiterzukommen, muss er auch einmal die eigene Komfortzone verlassen. Es geht also darum, den Mitarbeitenden auch einmal mit Herausforderungen zu konfrontieren. Wichtig ist dabei aber, dass ich ihm dabei klar vermittle, dass ich als Führungsperson bei Problemen zur Stelle bin und ihm den Rücken stärke. Dieses Prinzip löst oft ganz viel Energie und Inspiration aus, weil Mitarbeitende unter solchen Voraussetzungen auch Risiken eingehen und Neues ausprobieren.
In eine ähnliche Richtung zielt auch das Modell der «Psychologischen Sicherheit». Was ist denn der Unterschied zum oben genannten Ansatz?
Schönwetter: Vertrauen, und damit das Konzept der «Secure Base Leadership», ist ein Teilkonzept des grösseren Ansatzes «Psychologische Sicherheit». So zeigten Untersuchungen zu Letzerem, dass wenn sich Teammitglieder – inklusive Chef – getrauen, auch einmal einen Fehler zuzugeben, eine ganz unkonventionelle Idee zur Sprache zu bringen oder gar dem Chef zu widersprechen, ohne dabei Konsequenzen fürchten zu müssen, die Teams eine signifikant bessere Leistung erbringen, als solche, die diese Sicherheit nicht empfinden. «Psychologischen Sicherheit» ist also quasi das grosse Oberthema.
Als GF haben Sie sich die drei Werte «Caring» (Teil des Teams sein), «Learning» (offen für Neues sein) und «Performance» (gute Arbeit, schnelles Handeln) auf die Fahne geschrieben. Wie schaffen Sie es, dass diese drei Begriffe nicht zur blossen Makulatur verkommen?
Schönwetter: Zentral ist, dass wir unsere drei Werte in unserem internen Mitarbeiter- Beurteilungssystem integriert haben. Auch wir Führungskräfte selbst werden anhand dieser drei Werte beurteilt. Sie sind also Teil des Mitarbeitergesprächs und bilden die Basis für unsere Führungsinstrumente. Fast wichtiger ist jedoch unsere Bewegung «Culture Movement», die wir 2022 starteten. Dafür suchten wir weltweit Interessierte, die quasi Wertebotschafter an ihrem Standort oder in ihrem Land sein wollten. Wir bildeten sie aus und schickten sie zurück mit dem Auftrag in ihren Teams vor Ort kleine Experimente in Bezug auf diese drei Werte zu machen und so als Multiplikatoren zu wirken.
Können Sie uns dazu ein Beispiel geben?
Schönwetter: Gern. In unserem Team führte eine meiner Mitarbeiterinnen mit uns ein Experiment zum Thema «Nein sagen» durch. Denn als Team haben wir immer wieder einmal Mühe damit, dass wir viele neue Konzepte supertoll finden, uns dann aber etwas in all den neuen Ideen verlieren. Durch das Experiment lernte jeder und jede Einzelne von uns, was es heisst, für sich selber «Nein» zu sagen, und welche Konzepte dabei helfen können. Als zweiten Schritt definierten wir auf einem grossen Plakat, das nun in unserem Büro hängt, unsere Fokusthemen des Jahres. Kommt eine Anfrage oder Idee rein, brauchen wir nun bloss das Plakat zu konsultieren und uns zu fragen: «Zahlt diese Idee auf eines unserer festgelegten Themen und Ziele ein?» Wenn ja, verfolgen wir sie weiter. Wenn nicht, lassen wir es bleiben.
Ein weiterer Ihrer Leitsätze lautet, dass flexible Führung das Lernen und die Leistung der Mitarbeitenden maximiert. Inwiefern ist dies der Fall?
Schönwetter: Der Ansatz ist immer auf eine Aufgabe oder ein Projekt bezogen. Einfach erklärt, bin ich als Mitarbeiter in gewissen Aufgaben sehr gut, dann habe ich, in der Grafik gesprochen, quasi den Berg bezwungen. Wenn ich jedoch eine neue Aufgabe übernehme, muss ich mich zuerst einarbeiten und brauche Anleitung – in der Grafik entspricht dies dem grünen Männchen. Der Berg symbolisiert die sogenannte «Lernkurve», die schneller oder langsamer absolviert werden kann. Lernwissenschaftler haben herausgefunden, dass es in diesem Zyklus vier Meilensteine gibt und dass Führungskräfte, wollen sie ihrem Team optimale Unterstützung bieten, bei jedem Mitarbeitenden herausfinden müssen, an welchem Punkt er in seiner Aufgabe oder Kompetenz gerade steht.
Und dann?
Schönwetter: Habe ich dies herausgefunden, muss ich als Vorgesetzter meinen Führungsstil so anpassen, dass ich meinen Mitarbeitenden in seiner spezifischen Situation in der Weise unterstütze, dass er auf seiner Lernkurve weiterkommt. Wenn jemand von einer Materie keine Ahnung hat, braucht die Person eine Punkt-für-Punkt-Anleitung, also Meilenstein 1 in der Grafik. Das hilft ihr, sich sicherer zu fühlen. Ist eine Person in einer Aufgabe schon sehr gut und hat Stufe 4 erreicht, hat dabei aber einen Chef, der ihr die ganze Zeit sagt, was sie zu tun hat, und jeden kleinsten Schritt kontrolliert, empfindet sie das höchstwahrscheinlich als Mikro-Management und ist demotiviert. Hier braucht es einen Vorgesetzten, der dem Mitarbeitenden viel Freiheit lässt – aber trotzdem ab und zu nachfragt, wie es geht.
Und was brauchen die Mitarbeitenden auf Stufe 2 und 3?
Schönwetter: Ein Teammitglied auf Stufe 2 kommt vielfach in die Lage, dass er oder sie merkt, dass es viel Arbeit und Fleiss braucht, um die notwendige Kompetenz zu erlangen und möchte oft fast aufgeben. Hier benötigt das Teammitglied vom Vorgesetzten unbedingt Ermutigung und Unterstützung. Auch ein zusätzliches Training kann sicher helfen. Bei Stufe 3 will mein Mitarbeitender nicht dauernd Tipps von mir bekommen. Er hat den Gipfel schon überschritten und schon gewisse Kompetenzen entwickelt. Vielmehr würde ich ihn hier selbst herausfordern und fragen: «Welche Schritte würdest du jetzt vorschlagen oder wie gehst du jetzt vor?» Ich würde also die Lösungen von ihm selbst abholen. Das hilft, dass er sich weiterentwickelt, motiviert bleibt und sein ganzes Potenzial einsetzt.
Klar ist: Es ist eine grosse Kunst als Vorgesetzter bei jedem Teammitglied den richtigen Führungsstil zu finden.