Jetzt sprechen die Jungpolitiker: Diese Impulse möchten sie in der Schaffhauser Politlandschaft setzen
Die Mitglieder des Kantonsrats sind im Schnitt über 50 Jahre alt, da ist es nicht immer einfach, auch auf Anliegen der jungen Generation einzugehen. In einer Diskussionsrunde mit den SN hatten Jungpolitikerinnen und Jungpolitiker Gelegenheit, selbst zu erklären, was sie bewegt – und wie man die Politik mehr in ihrem Sinne gestalten könnte.
Für die Kantonsratswahlen am 22. September kandidieren auch zahlreiche Jungpolitiker und Jungpolitikerinnen. Die SN haben vier von ihnen zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Philipp Schlatter (Jungfreisinnige Schaffhausen), Lara Winzeler (Junge SVP), Gianluca Looser (Junge Grüne) und Leonie Altorfer (Juso) präsentieren ihre Rezepte für ein lebenswertes Schaffhausen und für eine Politik, die auch von Jungen verstanden und mitgetragen wird.
Sollten Sie den Livestream verpasst haben, gibt es den Talk jetzt hier zum nachschauen. Alternativ finden Sie eine schriftliche Form des Talks etwas weiter unten.
Was macht der jungen Generation gerade am meisten Angst?
Leonie Altorfer: Ich habe verschiedenste Sorgen, da wäre die Klimakrise, die den ganzen Planeten bedroht, die Zunahme des Rechtspopulismus, die man gerade in Deutschland beobachtet, und die sexualisierte Gewalt, die im schlimmsten Fall in einem Femizid enden kann.
Gianluca Looser: Leonie hat schon vieles gesagt, das auch mich bewegt. Ich würde zudem den Pflegenotstand erwähnen, die immer schlimmer werdende Klimakrise und die steigenden Prämien, Gesundheitskosten und Mietkosten, die zu Armut führen. All das wird von der Politik momentan nicht angegangen. Das wollen wir ändern. Ich fände es gut, wenn ich meinen Kindern ein schönes, sozial sicheres Schaffhausen und eine schöne Schweiz hinterlassen könnte.
Laut Sorgenbarometer ist das Klima mit Abstand das Hauptanliegen Nummer 1 der jungen Generation, warum wird es von der Jungen SVP nicht aufgenommen?
Lara Winzeler: Ich würde andere Themen einfach stärker gewichten, stehe politisch aber auch auf einer anderen Seite. Prinzipiell würde ich unterscheiden, zwischen kurzfristigen und langfristigen Sorgen. Einwanderung und Finanzpolitik bewegen mich längerfristig stark.
Philipp Schlatter: Mich besorgt am meisten, dass wir in letzter Zeit immer mehr Regeln beschliessen und immer weniger Freiheit haben. Für junge Leute existieren so je länger je weniger Anreize, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Schaffhausen wäre eigentlich ein grossartiger Standort, um Wirtschaft zu betreiben, nur leider sind viele Läden in der Altstadt leer, das macht mir gerade am meisten Sorgen.
Die Klimakrise treibt Sie gar nicht um?
Schlatter: Was Leonie und Gianluca vorher gesagt haben, ist nicht zu verharmlosen. Es muss gegen die Klimakrise etwas gemacht werden. Für noch mehr Regeln will ich mich aber nicht aussprechen. Man sollte – Stichwort Solarinitiative – die Leute nicht dazu zwingen, Solarpannels auf das Dach zu bauen. Ich schaffe lieber Anreize.
Looser: Ich begrüsse es ja, wenn junge Leute Unternehmen gründen möchten. Aber diese Schwerpunktsetzung zeigt mir, wo die FDP steht. Nur ein kleiner Teil unserer Gesellschaft kann überhaupt daran denken, ein Unternehmen zu gründen. Die meisten Leute arbeiten und haben andere Sorgen. Zum Beispiel, dass sie in Zukunft genug verdienen. Schaffhausen sollte in erster Linie etwas für diese Leute machen und nicht einfach extrem attraktiv für zehn oder zwölf junge Leute sein, die hier vielleicht ein Start-up gründen möchten.
Wie schafft man es, dass junge Leute hierbleiben und sich hier engagieren?
Winzeler: Es stellt sich die Frage, wie wir unsere Berufe attraktiver machen können. Hier setzt die Junge SVP einen Fokus. Junge Leute sollten wieder Berufe lernen, eine Lehre machen. Kürzlich war die Berufsmesse: Die Betriebe haben gesagt, es sei schwierig, neue junge Leute zu rekrutieren, weil ihr Interesse nicht mehr da ist. Wir müssen davon wegkommen, allen eine weiterführende Schule zu empfehlen, wie es viele Lehrer machen. Das ist ein falscher Weg, der zu einem Kollaps führt. Irgendwann bleiben keine Leute mehr übrig, die einen handwerklichen Beruf erlernen möchten oder bereit sind, in der Pflege zu arbeiten.
Altorfer: Von mir aus können wir gerne die Lehrberufe attraktiver gestalten, aber ich würde deswegen nicht die Kanti und die weiterführenden Schulen schlechtreden. Wenn man sich mal überlegt, wie der Kantonsrat aufgebaut ist: 19 Leute sind älter als 65 Jahre, mehr als 30 Leute sind 60 Jahre oder älter, es hat nur 14 Frauen. Wenn man sich anschaut, wer diesen Kanton regiert, dann kann ich mich überhaupt nicht damit identifizieren, weil der Kantonsrat mehr oder weniger einfach ein alter Mann ist. Als junge Frau sagt man sich dann schnell einmal, da gehe ich lieber nach Bern oder nach Zürich. Punkt.
Looser: Ich möchte gerne kurz auf Lara reagieren. Wir setzen uns auch dafür ein, dass es gute Lehrstellen gibt und diese auch besetzt werden können, ich stehe klar hinter dem dualen Bildungssystem der Schweiz. Was mich aber manchmal absurd dünkt: Genau die Partei, die am lautesten neue Lehrstellen fordert, wehrt sich gegen einen Lohnanstieg und bessere Arbeitsbedingungen in diesen Jobs.
Oft wird auch der FDP vorgeworfen, sie setze sich nur für die wohlhabenden Leute ein.
Schlatter: Ich selbst habe auch eine Lehre abgeschlossen – als Uhrmacher – und die hat mir sehr gefallen. Was mich eher ein Problem dünkt: Wenn man weiterkommen und mehr verdienen will, braucht man zuerst einmal viele Zertifikate, ein Maturazeugnis, einen Universitätsabschluss und so weiter. Nach der Lehre gibt es in Schaffhausen aber nur ein Weiterbildungssystem, in diesem muss man Vollzeit studieren. Aber welcher Lehrling will studieren und nichts mehr verdienen, nachdem er vier Jahre lang ein Einkommen hatte? Deshalb haben wir eine Volksmotion für eine flexible Berufsmatura lanciert, um den dualen Weg attraktiver zu machen und den Lehrbetrieben zu ermöglichen, dass sie ihre Lehrlinge behalten können.
Zu einer attraktiven Stadt, in denen sich junge Leute gerne aufhalten, gehört auch der Ausgang. Wie sicher fühlen sich die Jungen an den nächtlichen Partys?
Winzeler: Ich bewege mich eher auf dem Land und bin nur selten in der Stadt im Ausgang. Was ich aber sagen muss: Wenn ich nur schon tagsüber am Schaffhauser Bahnhof unterwegs bin und dort vermehrt Sicherheitskontrollen sehe, dann finde ich es schade, dass dieser Aufwand unterdessen auch in Schaffhausen notwendig ist. Viele Junge, die in Schaffhausen in den Ausgang gehen, sagen mir: Was wir hier antreffen und erleben, ist nicht mehr normal. Sie fragen sich, wie das in Zukunft weitergehen soll.
Looser: Was wir nicht vergessen dürfen: Die grosse Mehrheit, die von Gewalt betroffen ist, sind Frauen.
Inwiefern sehen Sie bei solchen Fragen die Politik in der Pflicht?
Altorfer: Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber ich finde sehr wohl, dass die Politik darauf Antworten liefern muss. Ich nehme als Beispiel den Sexualkundeunterricht. Vom Begriff «Konsens» habe ich während meiner Schulzeit so gut wie nichts gehört, auch sexuelle Belästigung – wo diese anfängt und wo sie enden kann – wurde nicht thematisiert. In diesem Bereich könnte man sehr wohl Geld investieren, zum Beispiel könnte dieser Teil des Unterrichts von einer externen Fachperson übernommen werden.
Der Kanton hat rund 800 Millionen Franken auf der hohen Kante. Wie sollen wir dieses Geld – auch für die Jungen – investieren?
Altorfer: Wir wollen ganz klar den Service public ausbauen, aber auch in die Bildung investieren, zum Beispiel in einen Konsens-orientierten Sexualkundeunterricht. Man könnte, wie im Kanton Zug, die Spitalkosten der Bevölkerung übernehmen. Man könnte Wohnraum aufkaufen und an Genossenschaften übergeben. Wenn der Gestaltungswille vorhanden wäre, liesse sich viel bewegen. Ich würde den Bürgerlichen aber vorwerfen, dass sie gerade bei sozialpolitischen Themen nicht sehr investitionsfreudig sind.
Winzeler: Für uns ist das ganz klar eine Milchbüechli-Rechnung: Man kann nur so viel ausgeben, wie man einnimmt. Die Finanzdirektorin hat über 30 Millionen Franken minus für das nächste Jahr budgetiert, da können wir das Geld nicht einfach mit beiden Händen verteilen. Und wenn wir überschüssiges Geld haben, sollten wir es dorthin zurückgeben, wo es hergekommen ist. Investitionen sind auch in Ordnung, aber sie sollten in einem gesunden Mass erfolgen.
Looser: Das Defizit, das jetzt entsteht, hat auch damit zu tun, dass die SVP und FDP die Steuern in den letzten sieben Jahren um über 20 Prozent gesenkt haben. Ich finde Steuersenkungen nicht per se schlecht, die Frage ist aber, wer von ihnen profitiert. Aktuell profitieren die reichsten 13 Prozent der Bevölkerung am meisten davon, der Grossteil profitiert nur wenig und die Ärmsten fast gar nicht. Genaue diese Leute aber sollten vor allem profitieren, wenn der Staat viel Geld hat.
Schlatter: Seit 2019 haben wir jedes Jahr Steuern im zweistelligen Millionenbereich mehr eingenommen, als budgetiert wurde. Für mich ist nicht verständlich, wie man sich derart krass verrechnet. Mit dem Geld, das wir jetzt haben, würde ich vor allem in die Bildung investieren. Und apropos Steuern: Besonders bei jungen Leuten, die auch noch Geld für ein neues Fahrzeug und für die Einrichtung der neuen Wohnung ausgeben müssen, machen sich die Steuern stark bemerkbar.
Wie können wir junge Menschen dazu motivieren in die Politik einzusteigen?
Looser: Jungparteien sind ein niederschwelliger Einstieg in die Politik. In alten Parteien gibt es oft verkrustete Strukturen, die es den Jungen erschweren, Gehör zu finden. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die alten Parteien ihre Jungparteien ernst nehmen – mit ihnen also nicht nur über «junge Themen» reden, sondern über alle Themen.
Schlatter: Der Kantonsrat an sich ist für Junge leider extrem unattraktiv. Die Sitzung beginnt um 8 Uhr und hört um 12 Uhr am Montagmorgen auf. In dieser Zeit könnte man auch Geld verdienen, anstatt im Kantonsrat einer Partei zuzuhören, die einen vielleicht nicht interessiert. Womöglich könnte man diese Sitzung auf später verschieben, dann würden sich wahrscheinlich auch mehr Junge zur Wahl stellen.
Altorfer: Vor ein paar Wochen haben wir über die Stellvertreter-Lösung abgestimmt, die sehr knapp abgelehnt wurde. Das wäre eine Massnahme gewesen, die den Kantonsrat um einiges attraktiver gemacht hätte und zum Beispiel die Vereinigung von Politik und einem Auslandsemester ermöglicht hätte.
Winzeler: Es geht nicht darum, ob man die Sitzung später stattfinden lässt oder auf die Woche verteilt. Wenn man sich für ein Amt zur Verfügung stellt und dieses annimmt, dann sollte man das auch durchziehen. Aber natürlich ist es nicht einfach, sich in der Politik zu engagieren, wenn man als junger Mensch zum Beispiel noch in der Lehre ist oder bereits Vollzeit arbeitet. Ältere Personen haben dagegen mehr Zeit, sich einem Amt zu widmen.
Die Wahlbeteiligung der Jungen ist relativ hoch, aber doch nicht hoch genug?
Altorfer: Grundsätzlich finde ich es sehr begrüssenswert, dass wir regelmässig die grösste Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen haben. Gerade Junge, wurde mir gesagt, legen aber oft leer ein, weil die Unterlagen sehr kompliziert sind, es ist zum Teil sehr viel und sehr unübersichtlich. Deswegen müsste man in die politische Bildung investieren – schon in der Oberstufe. Politische Bildung sollte priorisiert werden, und zwar möglichst früh.
Looser: Ich kann mich anschliessen, es ist wichtig, dass man Politik zugänglicher und verständlicher macht. Das passiert nicht auf allen Stufen gleich. Ich habe sehr viel politisches Kapital von zu Hause mitbekommen, was nicht für alle Leute gesagt werden kann. Es wäre Aufgabe des Kantons, Vorlagen einfacher zu gestalten, bei jedem Abstimmungskuvert ein verständliches Erklärbriefchen dazuzulegen.
Wie können wir sicherstellen, dass auch junge Menschen beispielsweise die BVG-Reform verstehen, die doch auch für Erwachsene sehr komplex ist?
Winzeler: Sehr komplex, das ist so. Das haben wir bei unserer Parolenfassung auch festgestellt. Politische Bildung allgemein hat viel damit zu tun, was wir in der Schule oder Lehrzeit über sie hören. Vieles steht und fällt auch mit dem Elternhaus. Als ich 18 war und zum ersten Mal ein Abstimmungskuvert bekommen habe, sassen wir zusammen am Küchentisch und haben die Vorlage studiert und kontrovers miteinander diskutiert. Auch Jungparteien leisten einen Beitrag, indem sie Diskussionen erlaubten und Pro und Kontra einer Vorlage präsentieren.
Schlatter: Ich habe von vielen Kanti-Schülern gehört, dass politische Bildung und Allgemeinbildung generell als weniger relevant eingestuft werden, weil sie für die Abschlussprüfungen schlicht nicht relevant sind. Wenn man das erste Abstimmungskuvert nach Hause bekommt, werfen es die meisten einfach weg. Danach bekommen sie eine Rechnung, weil sie nicht gewählt haben, und hassen die Politik so schon von Anfang an. Es braucht mehr Aufklärung. Zum Beispiel könnten wir mehr Besuche in den Schulen machen und dort eine Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern suchen.