Kinder verarbeiten Traumas anders – und das muss man erstmal aushalten
In der Mami-Post resp. Papi-Post schreiben Sibylle, Mia, Ralph und Gastautoren über ihre Alltagsthemen, die sie beschäftigen, seit sie Kinder haben. Alle Artikel der Mami-Post sind hier zu finden. Alle weiteren Familien-Artikel findest du im Familien-Dossier.
Ich habe schon mal über den Tod meines Vaters geschrieben. Die Lücke, die er damals hinterliess, ist bis heute zu spüren. Es war schwer, dass sein Stuhl am Tisch ab sofort leer blieb, dass er nicht mehr seinen Mittagsschlaf auf seiner Couch machte, dass er nicht mehr meinen Sohn mit einem lauten «Da ist ja mein Goldschatz!» begrüsste, wenn ich meine Eltern mit Junior besuchte.
Wir alle in meiner Familie litten unter dem Verlust – auch mein Sohn. Allerdings ging er auf eine Art und Weise damit um, die mir befremdlich vorkam. Kurz nach dem Tod meines Vaters wollte er zum Beispiel immer wieder «Beerdigungen» spielen. Ja, genau das, was es ist. Er legte sich steif auf das Bett, ich musste trauern und mich von ihm verabschieden, ähnlich, wie ich es kurze Zeit zuvor auch von meinem Vater gemacht hatte. Es mag makaber klingen, aber für meinen Sohn war das alles nur ein Spiel. Für mich hingegen war es ein Kraftakt, denn es brachte wieder die Erinnerungen an den Verlust hoch – aber ihm half es. Er konnte die Trauer gut verarbeiten und auch eine Art Abschluss finden – vielleicht auch, weil er diese Spiele spielen konnte.
Ein anderes Beispiel: Mein Sohn und ich waren in einen Autounfall verwickelt. Dabei wurde ich verletzt, Junior erlitt einen Schock. Ich hatte damals grosse Sorgen, wie er mit dieser, doch traumatischen Erfahrung, umgehen würde.
Ratet mal, was unser Spiel die nächsten Wochen war: Richtig, Autounfall. Das ging dabei so: Wir rannten mit Kissen vor uns aufeinander zu, stiessen gegeneinander und pressten dann die Kissen in unser Gesicht. Das symbolisierte den Airbag, der damals auch ausgelöst worden war. Immer und immer wieder machten wir das. Sohnemann fand es lustig, ich befremdlich – aber er konnte wieder in ein Auto einsteigen und hatte keine Angst mehr davor, dass so ein schrecklicher Unfall noch mal passieren würde.
Das Gleiche, als ich verlassen wurde. Sohnemann trauerte ebenfalls um die Frau, die jetzt nicht mehr in unserem Leben war – auf seine Weise und musste es verarbeiten. Ja, ihr wisst schon: Wir spielten verlassen werden. «Papa, ich will nicht mehr mit dir zusammen sein – ich trenne mich jetzt von dir.» Es mag komisch klingen, aber wenn man ein frisch gebrochenes Herz hat, erinnert diese Aussage direkt an den echten Herzschmerz, zumindest war es bei mir so.
Ich glaube, dadurch, dass mein Sohn diese, doch ziemlich erschütternden, Ereignisse im sicheren Rahmen nochmal nachspielen konnte, verloren sie auch ein bisschen ihren Schrecken. Er konnte dort sehen, dass es weiterging, konnte sich den Ereignissen auf seine Art und mit seinem Tempo nochmals stellen und sie auch in gewisser Weise verarbeiten.
Für mich war das allerdings nicht so einfach. Jedes Mal, wenn wir eines dieser Spiele spielten, kam der Schmerz, die Angst und all die anderen Emotionen wieder hoch – aber gleichzeitig hatte es einen anderen Effekt, der mir erst später klarwurde: Ich musste mich diesen Emotionen stellen. Wir Erwachsenen tendieren dazu, dass wir schmerzhafte Erinnerungen weit weg schieben, als könnten wir uns so vor diesen schützen. Aber Gefühle verschwinden nicht, weil man sie ignoriert, sie reifen und werden nur grösser.
Auch wenn es komisch war und im ersten Moment wehtat: Es tat gut, diese teils makabren Spiele mit meinem Sohn zu spielen – denn sie halfen mir, zu heilen.
Hier schreibt Ralph:
39 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender