«Viele wohnen im Chläggi, aber leben nicht mehr hier»

Iris Fontana | 
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Das «Bahnhöfli Gleis Drü»-Team: (v.l.): Roman Müller, Mirco Garavello, Michèle Hüttner und Michi Gai. Bild: Iris Fontana

Von vielen als unmöglich verschrien, wagen es drei Chläggauer dennoch, eine Landbeiz zu eröffnen – beziehungsweise eine Institution nach 100 Jahren weiterzuführen. Was motiviert sie? Wie wollen sie das Unmögliche schaffen? Der Zahltag auf Spurensuche.

Von allen Seiten hört man, dass Beizen und Lokale auf dem Land besonders stark vom Überlebenskampf betroffen sind. Euer «Bahnhöfli Gleis Drü» hat nun seit fünf Wochen geöffnet. Was sind eure bisherigen Erfahrungen?

Roman Müller: Wir spüren, dass die Leute wieder mehr raus und in die Gastronomie wollen. Wir hatten eine bombastische Eröffnungsparty, an der ich viele Leute seit langem zum ersten Mal wiedersah.
Mirco Garavello: Seitdem sehen wir auch immer wieder neue Gesichter und was mich besonders freut, in allen Altersgruppen. Genau das hatten wir uns erhofft. Natürlich profitieren wir davon, dass es kaum einen andern Ort im Chläggi mehr gibt, wo man in den Ausgang gehen kann.
Müller: Aber klar, es dürfen gern noch mehr Kunden werden, das kommt aber noch. Wir müssen noch etwas Geduld haben und uns richtig etablieren. Wir haben ja zu normalen Zeiten – ausser jetzt an der EM – nur an drei Tagen offen. Aber vielleicht passen wir die Öffnungszeiten in Zukunft auch noch an.

Das «Bahnhöfli Gleis Drü» soll ein Ort für Jung und Alt sein – auch nach der Europameisterschaft. Bild: Marco Fontana

Das Bahnhöfli Wilchingen hat ja eine bewegte Geschichte hinter sich. Warum habt ihr nochmals einen Neustart gewagt?

Müller: Wir waren vor ein paar Monaten als Gäste im Bahnhöfli, als die Betreiber uns erzählten, dass sie das Restaurant schliessen werden.
Garavello: Wir fanden das «Sünd und schad», dass ein Gastrobetrieb nach 100 Jahren schliessen muss. Die Lokalität wäre ohne unsere Initiative vermutlich einfach in Wohnungen umgebaut worden. Wir hoffen, dass es auch in der Gastronomie eine Trendumkehr gibt und die Leute wieder mehr am sozialen Leben teilhaben wollen. Viele wohnen im Chläggi, aber leben nicht mehr hier. Mit dem «Bahnhöfli Gleis Drü» wollen wir Gegensteuer geben und wieder mehr Leben in die Region bringen. Damit leben wir wohl auch etwas Idealismus.

Wie habt ihr alles auf die Beine gestellt?

Müller: Wir erkundigten uns als erstes nach den finanziellen Bedingungen und danach ging es Schlag auf Schlag. Ganz einfach war das Ganze natürlich nicht. Zuerst klapperten wir Brockenstuben ab auf der Suche nach Mobiliar. Bis mich Gastrolegende Tomislav Babić eines Tages anrief und mir sagte, dass er unser Projekt cool findet und er uns das ganze Inventar des Bahnhofbuffets Schaffhausen zur Verfügung stellen würde. Da waren wir natürlich begeistert, auch von der Idee her – von Bahnhof zu Bahnhof, sozusagen.

Ein cooler Mix zwischen Bahnhofbuffet-Charme und modernen Elementen: Das alte, neue «Bahnhöfli» in Wilchingen. Bild: Iris Fontana

Also von Schaffhausen nach Wilchingen-Hallau quasi.

Müller: Ja, und dies ist wirklich ein guter Standort, weil es ein Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs ist. Hier treffen sich verschiedene Gemeinden, zudem ist es auch supereinfach von überall erreichbar. Von der Stadt ist man in nur 15 Minuten bei uns. Zudem gibt es am Freitag und Samstag einen Nachtbus, der noch um 1.34 Uhr fährt. Da kommt auch noch nach Hause, wenn man einmal einen über den Durst getrunken hat…

Verfolgt ihr ein spezielles Konzept?

Garavello: Wir möchten gerne einen Schwerpunkt auf Live-Acts legen. Unsere Anlage ist ziemlich kräftig – mit der können wir die Mauern zum Vibrieren bringen. In Bezug auf Stilrichtungen sind wir grundsätzlich offen. Müller: Es darf auch ein DJ sein. Junge, ältere Bands… Garavello: Wir haben zudem einen anständigen Fernseher, womit wir Sportanlässe, wie jetzt die EM, miteinander zelebrieren können. Kunterbunt, wir sind offen für alles.

Wie stark hilft die EM dem Geschäft?

Garavello: Wir haben keine Ahnung. Beim Champions-League-Finale war der Laden pumpenvoll, da waren wir sehr überrascht. Wir haben etwas Werbung auf Social Media gemacht, die Leute wissen, dass wir während der EM zusätzliche Aktivitäten durchführen. So haben wir ausnahmsweise jeden Tag geöffnet und einen Grill in Betrieb.

Ein Ort, um zusammen zu zelebrieren wie hier beim Spiel Schweiz gegen Ungarn. Bild: Iris Fontana

Wer ist an der EM euer Lieblingsfussballer?

Müller: Yann Sommer.

Und wer wird Europameister?

Garavello: Ich setzte voll auf die Schweizerkarte, dann wäre es nämlich sehr bald ziemlich voll hier drinnen.

Das «Bahnhöfli Gleis Drü»-Team

Roman Müller ist «im normalen Leben» Versicherungsbroker in Zürich und berät nationale und internationale Firmen ab 100 Mitarbeitende im Medien-, Bau- und Immobilienbereich.

Mirco Garavello ist selbständiger Treuhänder und zudem an einem Personalvermittlungsbüro für Informatiker in Winterthur beteiligt.

Michi Gai hat «einen anständigen Beruf» und ist Maschinenmechaniker und Messtechniker.

Michèle Hüttner wurde von den drei Männern angestellt und mit der Geschäftsleitung betraut. Die junge Mutter verfügt über einen gastronomischen Hintergrund und startet nach ein paar Jahren Mutterschaftspause wieder ins Arbeitsleben.

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