Firma analysiert: In der Stadt Schaffhausen haben noch 19’000 Menschen mehr Platz – wenn wir gut genug verdichten
Schaffhausen platzt aus allen Nähten? Stimmt nicht, sagt eine St. Galler Firma. Mithilfe eines Onlinetools und öffentlich zugänglicher Daten erkennt sie grosses Potenzial in den bestehenden Gebäuden, besonders wenn diese 50 Jahre oder älter sind.
Die Bevölkerung in der Schweiz nimmt stetig zu. Während Ende 1994 noch sieben Millionen Menschen das Land bewohnten, wurde in diesem Jahr – nur 30 Jahre später – bereits die Grenze von neun Millionen durchbrochen. Die Fläche der Schweiz wächst allerdings nicht. Um trotzdem genügend Platz zu haben, spricht man allenthalben von Verdichtung, von «Bauen ohne Land».
Ziel von Verdichtung ist es, bestehende Liegenschaften so zu optimieren, dass mehr Menschen sie bewohnen können, ohne dass Lebensqualität verloren geht. Aber wie erkennt man bei Abertausenden Gebäuden, die unterschiedlichen Vorschriften unterliegen, ob überhaupt Potenzial für eine Verdichtung besteht?
Hier kommt die St. Galler Firma Raumpioniere AG ins Spiel. Das technikgetriebene Architekturunternehmen hat ein Onlinetool entwickelt, das mit wenigen Klicks prüft, ob eine Immobilie für eine Verdichtung geeignet sein könnte. Denn verdichtetes Bauen sei mittlerweile kein «nice to have» mehr, sagt der Raumpionier-CEO, Atilla Färber. «Es ist eine Notwendigkeit. Wir müssen Raum schaffen, wo es sinnvoll und ökonomisch machbar ist.»
Zusätzliche Wohnfläche so gross wie der Europapark
Auch in der Stadt Schaffhausen gibt es Potenzial – das haben die Raumpioniere mithilfe ihres Tools für die SN getestet. Sie haben einen Grossteil der Adressen mit Wohnnutzung analysiert: Dafür nutzen sie alle Daten, die öffentlich zugänglich sind, wie Grundstücksfläche, Gebäudekategorie, Volumen, Parzellenfläche, Baujahr und Baureglementsdaten. Zentrumszonen wie etwa die Schaffhauser Altstadt erachtet Färber im Sinne einer Verdichtung als eher kritisch; darum ist sie aus dieser Analyse ausgeklammert.
«Verdichtetes Bauen ist eine Notwendigkeit. Wir müssen Raum schaffen, wo es sinnvoll und ökonomisch machbar ist.»
Das Ergebnis: Von 7100 Gebäuden haben rund 3800 Potenzial zur Verdichtung. Also mehr als die Hälfte. «Von diesen Gebäuden sind etwa 2500 vor 1974 erbaut worden», so Färber – sie sind am Ende ihres technischen Lebenszyklus angekommen. Würde man diese 2500 Immobilien so weit ausbauen, wie man mit der heutigen Bau- und Zonenordnung darf, hätten in Schaffhausen 19’000 Menschen mehr Platz. Rund 89 Hektare zusätzliche Wohnfläche könnte insgesamt geschaffen werden, also fast so gross wie der Europapark.
Lässt man auch die jüngeren Gebäude in die Kalkulation einfliessen, könnte sogar Platz für 30’000 zusätzliche Bewohnerinnen und Bewohner Schaffhausens sein. «Wir beziffern den Ausbaugrad in der Stadt Schaffhausen mit 63 Prozent. Das heisst, sie hat noch eine Reserve von 37 Prozent», sagt der CEO. Noch am wenigsten ausgenutzt seien sogenannte Dorfkernzonen, etwa Buchthalen und Herblingen, oder gewisse Quartiere wie Gruben. Färber stellt die Hypothese auf, dass werthaltige Verdichtung insbesondere in Agglomerationen passieren wird, zu denen er auch Schaffhausen zählt.
Vor Kurzem hat die Stadt selbst Massnahmen im neuen Zonenplan aufgegleist, um zusätzlichen Wohnraum für 5500 bis 6000 Einwohner bis ins Jahr 2040 zu schaffen. Die Analyse der Raumpioniere zeigt: Es ist sogar noch mehr Potenzial vorhanden.
Mit Veränderung anfreunden
Atilla Färber erlebt oft, dass dem Thema Verdichtung zuerst mit Ablehnung begegnet wird – es werde enger in den Städten und Dörfern, der Komfort nehme ab. «Doch was ist die Alternative? Wir wollen keine grüne Wiese einzonen und neue Flächen zubetonieren», gibt er zu bedenken. «Intelligent gemachte Verdichtung steigert die Lebensqualität, ist nachhaltig und lohnt sich auch ökonomisch», ist der CEO überzeugt. Wenn die Schweiz weiterhin wachse, dann müssen die Menschen im Bestand Platz finden. «Vor 100 Jahren haben wir auch anders gelebt als heute. Es wird Veränderungen geben, man muss sich damit anfreunden.» Das könne auch gute Aspekte beinhalten, etwa wenn die Einkaufsmöglichkeiten nahe liegen und die Wege kurz sind.
«Vor 100 Jahren haben wir auch anders gelebt als heute. Es wird Veränderungen geben, man muss sich damit anfreunden.»
Er nennt ein Beispiel aus der Agglomeration Zürich, einer Liegenschaft aus den 1970er-Jahren mit vier Vollgeschossen. Die Raumpioniere haben sich des Projekts angenommen: Dank zwei zusätzlichen Etagen und Grundrissanpassungen werden aus 46 Wohnungen 81. «An der Primärstruktur haben wir nichts verändert», sagt Färber.
Ein weiteres Beispiel: Das Einfamilienhaus eines älteren Ehepaars mit grossem Garten und insgesamt 1800 Quadratmetern Fläche. «Hier könnten sechs Wohnungen entstehen. Es ist eine Chance, solche Liegenschaften besser auszunutzen.»
Frühzeitig planen
Dazu müsse man die Eigentümer – in der Schweiz zu zwei Drittel Private, oft jene der Generation Babyboomer – aber zuerst überzeugen. Nur wenn sie mitmachen wollen, findet Verdichtung statt, erklärt Färber. Diese könne durchaus im Sinne der Besitzer sein, etwa wenn sie im letzten Lebensabschnitt altersgerecht wohnen wollen. Anstatt also das Eigenheim zu verkaufen und in eine Wohnung zu ziehen, könne man sich auch überlegen, das Haus umzuwandeln in eine Attika mit Wohnungen darunter.
«Vielleicht sitzt man, ohne es zu wissen, auf einem ungeschliffenen Diamanten.»
Die Raumpioniere bieten Eigentümerinnen und Eigentümern hierfür unentgeltliche Erstberatungen an, denn sie wollen Aufklärungsarbeit leisten. «Auch wenn die Raumpioniere nicht Bestandteil der Lösung sind», betont Färber. Er rät Eigentümern deshalb, ihre Liegenschaft prüfen zu lassen – erst vom Onlinetool, danach von Experten. «Vielleicht sitzt man, ohne es zu wissen, auf einem ungeschliffenen Diamanten.» Da ein gewisser Handlungsdruck vorhanden sei, wäre es von Vorteil, frühzeitig eine zukunftsweisende Lösung zu finden. Denn wer erst spät mit Planen beginnt und Druck hat, muss womöglich zu viele Kompromisse eingehen. «Bauen braucht Zeit und Geld. Daher sollte man nichts überstürzen», sagt Färber.