Das Handy muss in die Box: Oberstufe Neunkirch setzt auf bewussten Medienkonsum

Immer mehr Schulen verbieten Handys an Oberstufen. Seit Oktober 2024 auch die Orientierungsschule Neunkirch. Ein Besuch im Unterricht zeigt, wie der Versuch bis anhin klappt.
«Du willst Insta, Snapchat und Youtube einschränken, oder?», fragt Marko Ristic einen seiner 18 Schüler der zweiten Oberstufe. «Ja bitte, Instagram können wir ganz löschen», erwidert ein 14-jähriger Schüler und legt seinem Klassenlehrer nach dem Unterricht sein iPhone auf den Tisch. Hinter ihm stehen die Mitschüler Schlange. Sie alle wollen ihren Social-Media-Konsum einschränken. Denn sie haben sich mit ihrem Klassenlehrer vertieft mit dem Thema Medienkonsum auseinandergesetzt. «Ich limitiere deine Bildschirmzeit auf eine Stunde am Tag. Wenn das zu wenig ist, kommst du einfach wieder», sagt Ristic, der seit fünf Jahren am Schulhaus Randenblick unterrichtet. Der Schüler nickt. Der nächste ist an der Reihe. «Nach den Ferien versuche er mit der Klasse jeweils den Handykonsum zu reflektieren», sagt der Oberstufenlehrer.
«Manche verbringen bis zu acht Stunden am Tag am Bildschirm.»
Ob sie ihre Handyzeit regulieren wollen, ist den Schülern aber selbst überlassen. Da den meisten aber bewusst ist, dass sie zu viel Zeit am Bildschirm verbringen, gehen sie aktiv auf ihren Lehrer zu. «Manche verbringen bis zu acht Stunden am Tag am Bildschirm.»
Nicht freiwillig hingegen ist das Handyverbot, welches Ristic diesen Herbst in der Sekundarschule Neunkirch zusammen mit der Lehrerschaft eingeführt hat. «Bis anhin läuft es gut», sagt der Quereinsteiger, welcher Kommunikationswissenschaften an der Universität Zürich studiert hat. Betreten die Schülerinnen und Schüler den Schulhof, muss das Mobiltelefon unsichtbar bleiben. Wenn sie das Klassenzimmer betreten, ist dort eine Handybox aufgestellt, in welche die Schülerinnen und Schüler ihre Handys legen müssen.
Mit dieser Regelung ist Neunkirch aber nicht alleine. Gemäss Ruth Marxer, Leiterin der Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I des Erziehungsdepartements Kanton Schaffhausen, müssen, so weit bekannt, im Kanton Schaffhausen Handys während des Unterrichts abgegeben werden. Eine kantonale Regelung gibt es bis anhin aber nicht.

Seit Ristic als Lehrer arbeitet, habe sich die Konzentrationsfähigkeit und das Lernverhalten der Schüler aufgrund des hohen Handykonsums verändert. «Sie können sich nicht mehr so gut fokussieren, und das macht es für uns als Lehrkräfte immer schwieriger, einen erfolgreichen Unterricht zu gestalten», begründet Ristic die neue Regel. Sei das Handy hingegen nicht in greifbarer Nähe, sei die Versuchung, es zu benutzen, viel tiefer. Dass Handys nicht in die Schule gehören, unterstreicht auch eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des Berner Generationenhauses. 82 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer haben sich Mitte Dezember 2024 für ein Handyverbot an Schulen ausgesprochen. «Ich hoffe, das wird die Zukunft sein», sagt Ristic.
Es wird wieder Fussball gespielt
Klingelt die Schulglocke die Pause ein, quatschen die Jugendlichen, spielen Fussball oder machen einen Spaziergang ums Schulhaus. Das war nicht immer so. «Vorher haben in der grossen Pause die meisten auf ihr Handy gestarrt.» Die einen hätten kaum miteinander gesprochen, erinnert sich der Lehrer. Gegen einen strengeren Umgang mit dem Handy hätten sich die Kinder nicht gewehrt. «Ich bin froh, haben wir die Regel eingeführt. Wir machen viel mehr miteinander», sagt Schüler Nico Brunner. Die meisten seiner Mitschüler respektieren die Regel. Missbraucht wird sie selten. «Und wenn ich jemanden erwische, dann ziehe ich das Handy für 24 Stunden ein», sagt Ristic und lacht. Sind die Eltern damit nicht einverstanden, dürfen diese das Gerät abholen. «Aber das ist noch nie passiert», so der Klassenlehrer. Im Gegenteil: Manche Kinder geben ihm inzwischen freiwillig über mehrere Wochen das Handy ab. Anstatt die Zeit am Mobilgerät totzuschlagen, hätten sie plötzlich mehr Zeit, sich nach der Schule mit ihren Hobbies zu beschäftigen und ihre Freizeit zu geniessen.«Sie haben keine Ablenkung mehr, was sich auch positiv auf die Noten auswirkt.»
Zu wenig Zeit, um die Kinder zu sensibilisieren
Während Ristic auf dem Visualizer seine eigene Handyzeit zeigt, dürfen die Jugendlichen ihr Handy ausnahmsweise aus der Box holen. «Wer von euch hat während den Ferien auch zu viel Zeit am Handy verbracht?», fragt Ristic zu Beginn der Medien- und Informatiklektion. Viele Hände schnellen in die Luft, nur einige beantworten die Frage. «30 Stunden in der Woche auf TikTok und Instagram», sagt ein Schüler, selbst erschrocken über die hohe Nutzungsdauer. Danach spricht Ristic mit den Kindern über aktuelle TikTok-Trends. Zeit bleibt wenig. Denn für das Fach Medien und Informatik steht den Lehrern wöchentlich nur eine Lektion zur Verfügung. Hinzu kommt aber auch die praktische Anwendung mit Programmen wie Outlook und Excel. «Der Lehrplan ist zu strikt, um die Kinder richtig zu sensibilisieren», sagt Ristic.
«Letztes Jahr haben 55 von 120 Schülern ihr Handy abgegeben.»
Deshalb macht er mit den Schülerinnen und Schülern einmal im Jahr das Selbstexperiment eines «Digital-Detox». Mitmachen muss nur, wer will. «Letztes Jahr haben 55 von 120 Schülern ihr Handy abgegeben», erzählt Ristic erfreut. Ein weiterer grosser Teil liess sich alle Social-Media-Apps für eine Woche sperren. Damit will er bei den Kindern das Bewusstsein für deren Medienkonsum schärfen und für einmal auch das Blatt umdrehen: Ein zentraler Punkt des Experiments sei, dass auch Ristic sein Handy für die ganze Woche abgibt und die Schüler auch neben dem Projekt seine Social-Media-Accounts immer wieder mal sperren dürfen. «Denn wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen beginnen, als Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen.»
Ristic sieht aber nicht nur Lehrer und Eltern in der Pflicht, eine Vorbildfunktion einzunehmen. Auch die Politik und das Gesundheitssystem müssten anfangen, Verantwortung zu übernehmen. «Die Auswirkungen von Social Media gehen weit über die Schule hinaus und haben auch gesundheitliche Folgen, die immer spürbarer werden.» Deshalb sei es wichtig, den Medien- und Handykonsum zu regulieren. «Wir müssen den Schülern helfen, ein gesundes Gleichgewicht zwischen der digitalen und der realen Welt zu finden.»