64-jährige Amerikanerin reist nach Merishausen, um sich das Leben in der Suizidkapsel zu nehmen – mehrere Personen verhaftet
Trotz der Warnung der Schaffhauser Staatsanwaltschaft hat die Organisation hinter der umstrittenen Suizidkapsel Sarco ihre Pläne in die Tat umgesetzt: Eine 64-jährige US-Amerikanerin hat sich im Merishauser Wald das Leben genommen.
Ein Knopfdruck löst ein Strafverfahren aus, wie es die Schweiz noch nie gesehen hat. Die Selbstmordkapsel Sarco wurde zum ersten Mal eingesetzt – und zwar in Merishausen. Dabei kam es zu mehreren Verhaftungen. Bei der Verstorbenen soll es sich um eine 64-jährige US-Amerikanerin handeln.
Der begleitete Suizid hat am Montagnachmittag bei einer Waldhütte stattgefunden. Daraufhin ist die Schaffhauser Polizei mit dem kriminaltechnischen Einsatzdienst und der Staatsanwaltschaft an den Tatort ausgerückt. Zusätzlich wurden Spezialisten des Forensischen Instituts Zürich und des Instituts für Rechtsmedizin Zürich mobilisiert.
Die Beamten haben die Suizidkapsel sichergestellt, schreibt die Schaffhauser Polizei in einer Mitteilung. Die verstorbene Person wurde zur Obduktion ins Institut für Rechtsmedizin nach Zürich gebracht.
Aus den USA nach Merishausen gereist
Mehrere Personen sind im Raum Merishausen verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen hat wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord ein Strafverfahren eröffnet. Zudem prüft man die Verletzung von weiteren Straftatbeständen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Wie die niederländische Zeitung «de Volkskrant» berichtet, sei die US-Amerikanerin für den begleiteten Suizid in die Schweiz gereist. Sarco-Erfinder Philip Nitschke erzählt gegenüber dem niederländischen Medium, dass der Sterbeprozess «gut verlaufen» sei. «Als sie in den Sarco eingestiegen ist, hat sie sofort den Knopf gedrückt. Sie hat nichts gesagt. Sie wollte wirklich sterben», sagt der australische Arzt und Freitodaktivist, der den Tod von Deutschland aus über einen Monitor beobachtet habe. «Es sah genau so aus, wie wir es erwartet haben.»
Die 64-Jährige habe an einer schwerwiegenden Immunschwäche gelitten. Ihren Sterbewunsch, den sie «schon mindestens seit zwei Jahren hegte», habe sie in einer Tonaufnahme festgehalten. Ihre zwei Söhne, die in Merishausen nicht zugegen waren, sollen ihrem Entscheid zugestimmt haben. Vor dem Suizid sei sie von einem Psychiater untersucht worden.
Ein niederländischer Pressefotograf, der das Ableben der Amerikanerin begleitet hat, sei einer der Verhafteten, berichtet «de Volkskrant». Beim Sarco-Einsatz soll auch Florian Willet dabei gewesen sein. Der deutsche Wissenschaftler ist einer der führenden Köpfe der Organisation «The Last Resort», welche den Einsatz der Suizidkapsel in der Schweiz verantwortet. Ob er ebenfalls verhaftet wurde, ist noch unklar. «The Last Resort» sei sich allerdings keinerlei Schuld bewusst. In einer Mitteilung schreibt die Organisation, dass sie «immer gemäss dem rechtlichen Rat ihrer Anwälte» gehandelt habe.
..an idyllic peaceful death in a Swiss forest where The Last Resort @tlrswiss used the Sarco device to help a US woman have the death she wanted..Lees dit artikel op de Volkskrant https://t.co/6DbKfmzYnC
— Philip Nitschke (@philipnitschke) September 24, 2024
Genauer Tatzeitpunkt noch unklar
Gegenüber den SN erklärt Peter Sticher, Erster Staatsanwalt des Kantons Schaffhausen, dass man derzeit keine genauere Angaben zu den Verhafteten mache. Die Tatverdächtigen befanden sich am Dienstagnachmittag noch in Polizeihaft. Das heisst, dass sie im Verlauf des Tages freigekommen sind, insofern die Staatsanwaltschaft kein Gesuch auf Haftverlängerung stellt. Ob man das zu tun gedenke, sagte Sticher nicht.
Derzeit sei der genaue Tatzeitpunkt noch in Abklärung, erklärt Sticher. Die Staatsanwaltschaft wurde um 16.40 Uhr von einer Anwaltskanzlei über den begleiteten Suizid informiert. Welcher Zusammenhang zwischen der Anwaltskanzlei und der Tat respektive den Tatverdächtigen bestehe, wollte Sticher nicht erläutern. Gemäss «The Last Resort» soll die Frau gegen 16.01 Uhr gestorben sein. Auf eine Anfrage der SN hat die Organisation nicht reagiert.
Die Sarco-Kapsel ist in der Schweiz schon lange umstritten. Die Köpfe hinter der Suizidkapsel haben schon mehrfach eine Premiere in der Schweiz angekündigt. «Wir haben die Verantwortlichen bereits im Juli in aller Deutlichkeit schriftlich abgemahnt und klargestellt, dass strafrechtliche Konsequenzen drohen», sagt Sticher.
Anders als bei herkömmlichen Suizidmethoden drückt die sterbewillige Person bei Sarco einen Knopf, der Stickstoff in die Todeskapsel strömen lässt. Daraufhin soll innert Minuten der Tod durch Ersticken eintreten. Aus der Wissenschaft gibt es grosse Bedenken, dass diese Suizidform bedenkenlos funktioniere.
Nationalrätin will Verbot prüfen
Gerade erst am Montag hat die Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider festgehalten: «Die Suizidkapsel Sarco ist in zweierlei Hinsicht nicht rechtskonform.» Einerseits erfülle sie die Anforderungen des Produktesicherheitsrechts nicht. «Sie darf daher nicht in Verkehr gebracht werden.» Andererseits verstosse das Verwenden des Stickstoffs in der Suizidkapsel gegen das Chemikaliengesetz.
Anlass für das klare Statement der SP-Magistratin war eine Frage der Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel. Dass die Sarco-Macher ihr Gerät nun so schnell in Betrieb genommen haben, habe sie mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, sagt Fehr Düsel gegenüber den SN. «Ich habe den Eindruck, man versucht sich über die strafrechtlichen Konsequenzen hinwegzusetzen. Möglicherweise hoffen die Verantwortlichen nun auf ein juristisches Schlupfloch.» Nun befürchtet sie, dass der Sterbetourismus in der Schweiz «ein ganz neues Ausmass» annehmen können.
Dagegen will Fehr Düsel etwas unternehmen, damit es nicht zu einem erneuten Einsatz wie in Merishausen kommt. «Ich möchte einen Vorstoss einreichen, um ein Verbot zu prüfen. Ich könnte mir vorstellen, dass man den Einsatz von Stickstoff im Zusammenhang mit Suizid verbietet.»