Räbeliechtli, wo gohsch hii?
Draussen wird es wieder früh dunkel. Das ist die Zeit, in der Räbeliechtli leuchten und Kinderaugen funkeln. Die SN waren beim Räbenschnitzen und dem Umzug des Kindergarten Riet dabei.
Es wird früh dunkel, die Nächte sind kalt, wieder ist es November, und November ist Räbeliechtli-Zeit. Einige Kindergartenkinder haben ihre Räben bereits mit auf den Umzug genommen, an anderen Orten sind die Vorbereitungen noch im vollen Gang. Würstchen werden gekauft, Lieder geübt, und die Kleinen zählen die Nächte, die sie noch schlafen müssen bis zum grossen Tag. «Für die Kinder ist es ein Erlebnis, wenn sie am Abend nochmals in den Kindergarten kommen dürfen, zusammen mit Mama und Papa, es ist dunkel, und die schön geschnitzten Räben leuchten», erklärt Susanne Keller, Kindergärtnerin im Kindergarten Riet auf der Breite. Ein wichtiger Teil der Vorbereitungen sind das Aushöhlen und das Verzieren der Räben. Diese Aufgabe fällt bereits seit vielen Jahren in die Zuständigkeit der Väter, die meist am Abend nach der Arbeit in den Kindergarten gehen, um das lila Herbstgemüse für ihre Kinder zu verzieren. «Es bedeutet den Kindern viel, dass der Papa für sie eine Räbe schnitzt», sagt Keller, «und natürlich ist es überhaupt kein Problem, wenn stattdessen die Mama kommt – Hauptsache, alle haben am Umzug eine Räbe.» Persönlich gefalle ihr am Räbeliechtli-Brauch besonders das Engagement der Eltern für etwas, das bereits eine Woche später wieder kaputt ist. «Das ist selten in der heutigen Zeit», so Keller.
Alexandre de Spindler ist bereits seit mehreren Jahren beim Schnitzen dabei. Er ist Vater von vier Kindern und deshalb ein regelrechter Räbeliechtli-Routinier. Während er ein Flammenmuster in die Schale einer Räbe zeichnet, sagt er: «Manchmal bekommt man einen klaren Auftrag, sehr konkrete Angaben, wie zum Beispiel ein Krokodil, das einen Delfin frisst.» Er lacht. «Einmal musste ich auch ein Poulet schnitzen, aber dieses Mal wird mir freie Hand gelassen.» Er komme jeweils sehr gerne fürs jährliche Schnitzen in den Kindergarten. «Es ist schön, etwas mit den Händen zu tun, wenn man den ganzen Tag im Büro war», sagt de Spindler, «und wenn der Sohn sich freut, lohnt sich der Aufwand ohnehin um ein Vielfaches.»
Ein Jahr nach dem Streik
Zehn fröhlich schnitzende Väter und eine Mutter, eine zufriedene Kindergärtnerin, fröhliche Kinder: Diese Bilder könnten sich kaum stärker unterscheiden von der Szenerie vor einem Jahr. Viele Eltern waren wütend, viele Kinder traurig. Im Herbst 2017 streikten die städtischen Kindergärtnerinnen und Kindergärtner für eine Entlastungslektion und sagten die Räbeliechtli-Umzüge ab (siehe Text unten).
«Es war wichtig», sagt Susanne Keller mit Überzeugung. Im Unterschied zur Schule sei man im Kindergarten nicht in ein Lehrerteam eingebunden, wodurch kein automatischer täglicher Austausch stattfinde. Es sei jeweils schwierig, wenn einen etwas störe, wisse man oft nicht genau, was die Berufkolleginnen aus anderen Quartieren dazu denken, so Keller. Man müsse deshalb viel mehr Eigeninitiative zeigen als ein Lehrer an einer Primarschule. «Wir Kindergärtnerinnen sind Einzelkämpferinnen», erklärt Keller, «deswegen war diese Solidarität untereinander besonders wichtig, wir haben alle am gleichen Strick gezogen.» Wie auch in einigen anderen Quartieren hat im Kindergarten Riet letztes Jahr schliesslich eine Gruppe engagierter Eltern den Räbeliechtli-Umzug durchgeführt. «Das hat mich nicht gestört», sagt Keller, «ich fand es schön für die Kinder.» An diesem privat organisierten Umzug hat 2017 auch Roman Staude mit seinen Kindern teilgenommen. «Es war schön, aber nicht das Gleiche, mit Susanne Keller ist es einfach noch besser», sagt er. Andrea Rosenast gestaltet gerade kleine Herzen auf ihrem Räbeliechtli und fügt etwas nachdenklich an: «Vielleicht hat es den Eltern auch mal gutgetan, selbst mitzuerleben, wie viel Aufwand hinter einem Räbeliechtli-Umzug stecken kann.»
Einen Tag Gratisarbeit
Ein grosser Aufwand sei es tatsächlich, bestätigt Susanne Keller. Zähle man die Vorbereitungszeit, das Schnitzen, den Umzug und das anschliessende Aufräumen zusammen, komme man schnell auf einen ganzen Arbeitstag. Einen Arbeitstag, Gratisarbeit notabene. «Grundsätzlich macht mir das aber nichts aus, im Gegenteil. Es klingt vielleicht kitschig, aber die leuchtenden Kinderaugen sind es mir wert», sagt Keller begeistert, und mit Nachdruck fügt sie an, es sei doch genau deswegen so wichtig gewesen, die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren.
«Wir würden es wieder machen»
Weil ihrer Forderung nach einer Entlastungslektion wiederholt nicht nachgekommen wurde, traten die Kindergartenlehrpersonen der Stadt Schaffhausen im Herbst 2017 in Streik. Aufsehen bis in die nationalen Medien erregte dabei die Art und Weise des Streiks: Die Räbeliechtli-Umzüge wurden abgesagt. Traurige Kinder und viel Empörung waren das viel diskutierte Resultat. «Wir würden es wieder machen», sagt Cordula Schneckenburger, Co-Präsidentin des Lehrerverbands Schaffhausen. «Letzten Mai an einer Sitzung mit allen Kindergartenlehrpersonen des Kantons war eine klare Mehrheit der Meinung, dass der Streik sinnvoll gewesen ist.» Es sei jedoch wichtig, dass man solche Aktionen nicht inflationär nutze.
Vergangenen März, im Frühjahr nach dem Streik, kam schliesslich Bewegung in die Sache, und der Kantonsrat entschied die Einführung der Entlastungsstunde ab August 2019. Dies mehr als sechs Jahre nach der ursprünglichen Forderung. «Ich glaube nicht, dass der Streik matchentscheidend war», sagt Schneckenburger. Sie ist überzeugt, dass es unterschiedliche Gründe dafür gab, dass die Entscheidung schliesslich doch noch für die Entlastungslektion fiel. Dennoch habe sich der Streik gelohnt. «Der Beruf der Kindergärtnerin hat sich gewandelt, er ist viel anspruchsvoller geworden. Dafür konnten wir das Bewusstsein der Bevölkerung wecken», so Schneckenburger. Laut der «Schaffhauser AZ» vom 11. Oktober beantragte der Schaffhauser Lehrerverein beim Erziehungsdepartement jüngst die Neubeurteilung der Löhne für Kindergartenlehrpersonen. Es gehe darum, dass Lehrpersonen des Kindergartens beim Lohn den Primarlehrpersonen gleichgestellt würden, sagt Schneckenburger gegenüber den SN. «Dieser Schritt ist logisch, weil eine Kindergärtnerin 2018 faktisch die gleiche Ausbildung absolviert und die gleichen Aufgaben hat wie eine Primarlehrerin.» Deswegen gebe es jetzt aber noch keinen neuen Räbeliechtli-Streik. Zuerst müsse man die Antwort des Erziehungsdepartements abwarten. (jhe)