«Gnadenlose Transparenz» oder doch lieber «mit Augenmass»? Das grosse SN-Streitgespräch zur Schaffhauser Abstimmung
Der Weg zur zweiten Abstimmung über ein Schaffhauser Transparenzgesetz war steinig. Wie soll es nun aussehen? Der FDP-Mann, der den Gegenvorschlag ins Spiel gebracht hat, plädiert für weniger Regulierungen. Sein SP-Kontrahent hingegen sieht gerade darin den Mehrwert. Ein Streitgespräch.
Wie viel Transparenz braucht die Schaffhauser Politik? Mit dieser Frage muss sich die Stimmbevölkerung des Kantons erneut auseinandersetzen, wenn sie am 24. November an die Urne gebeten wird. Zur Auswahl steht die Umsetzungsinitiative und ein Gegenvorschlag. Während Matthias Frick (SP) auf «gnadenlose Transparenz» pocht, will Christian Heydecker (FDP) den Volkswillen «mit Augenmass» umsetzen.
Herr Frick, wie viel kostet ihre Abstimmungskampagne zur Umsetzungsinitiative und wer gibt Ihnen das Geld?
Matthias Frick: Rund 19’000 Franken sind budgetiert. Das Geld kommt von Privatpersonen, die kleine Beträge von jeweils 50 bis 100 Franken gespendet haben. Die grösste Einzelspende beträgt 500 Franken.
Wie sieht es auf der Gegenseite aus?
Christian Heydecker: Wir haben 11’000 Franken zur Verfügung. Die Kampagne für den Gegenvorschlag wird durch die Schaffhauser Wirtschaftsverbände und die bürgerlichen Parteien finanziert. Der grösste Betrag, den wir bekommen haben, ist 4000 Franken.
Sie haben offensichtlich kein Problem damit, Zahlen offenzulegen. Warum bekämpfen Sie trotzdem die Umsetzung der Initiative, die das Volk vor knapp fünf Jahren angenommen hat?
Heydecker: Transparenz ist kein Selbstzweck. Es ist ein Mittel zum Zweck. Bei der Politikfinanzierung dient Transparenz der freien und unverfälschten Willensbildung. Damit soll sichergestellt werden, dass niemand unerkannt mit viel Geld die öffentliche Meinung manipuliert. Um das Ziel zu erreichen, gehen sowohl die ursprüngliche wie auch die neue Initiative viel zu weit.
Aber das Volk hat das so gewollt. War Ihre Motion, mit der Sie den neuen Verfassungsartikel abändern wollten, ein legitimer Eingriff?
Heydecker: Man darf Bestehendes immer verbessern. Das machen notabene auch die Initianten mit ihrer Umsetzungsinitiative. Dort versuchen sie auch, die gröbsten Böcke der ursprünglichen Initiative zu verbessern – und das ist legitim. Wir sind nun mal auch der Meinung, dass man es besser machen kann, und deshalb wünschen wir uns vom Volk den Auftrag, dass wir auf Gesetzesstufe eine Regelung ausarbeiten können, die vernünftig und auf die Schaffhauser Verhältnisse zugeschnitten ist.
Dabei lief allerdings nicht alles glatt. Das Bundesgericht hat die Ratsmehrheit, die den Gegenvorschlag nicht der Umsetzungsinitiative gegenüberstellen wollte, zurückgepfiffen. War das ein Fehler?
Heydecker: Rückblickend muss ich sagen: Ja, das war ein Fehler. Aber im Nachhinein bin ich doch froh um das Urteil, denn nun können wir im Abstimmungskampf aufzeigen, welche Absurditäten die zweite Initiative mit sich bringt.
Wie beurteilen Sie die Vorgeschichte, Herr Frick?
Frick: Als absolutes Trauerspiel. Angefangen bei der ersten Initiative, als das Parlament die Idee der SP, dem Volk einen Gegenvorschlag zu machen, abgeschmettert hat. Christian Heydecker hat am Rednerpult dagegen angekämpft. Nach der Annahme der Initiative war dann sowohl bei der bürgerlichen Mehrheit im Kantonsrat wie auch in der Regierung kein Wille da, die Transparenzbestimmungen umzusetzen. Nicht einmal ein Gesetzesentwurf kam ins Parlament. Mit seiner Motion hat Christian schliesslich versucht, die Transparenzinitiative auszuhöhlen. Wenn er nun sagt, er sei für Transparenz, ist das nicht glaubwürdig.
Heydecker: Dass die Regierung keine Vorlage ins Parlament gebracht hat, dafür kann ich nichts. Als Kantonsrat kann ich nur arbeiten, wenn ich Futter auf dem Tisch habe. Bei der Transparenzinitiative hatten wir ein grosses Problem.
«Ab einem gewissen Punkt geht es nur noch um Neugier, und dafür brauchen wir kein Gesetz.»
Welches?
Heydecker: Der Gesetzesentwurf, den die Regierung in die Vernehmlassung geschickt hatte, war zum Teil verfassungswidrig, weil der Verfassungsartikel extrem streng und ohne Handlungsspielraum formuliert war. Dasselbe bei den Reaktionen der Vernehmlassungsteilnehmer: Alle Vorschläge waren verfassungswidrig. Deshalb wollte ich mit meiner Motion die Verfassung ändern, damit wir die Verbesserungsvorschläge auf Gesetzesstufe umsetzen können. Selbst du, Matthias, hast im Kantonsrat einen verfassungswidrigen Vorschlag gemacht, als du die Gemeinden mit weniger als 3000 Einwohnern ausklammern wolltest. Der Verfassungsartikel sieht aber vor, dass in allen Gemeinden die Transparenzregeln angewendet werden. Und nun wirfst ausgerechnet du mir vor, den Volkswillen zu missachten. Was gibt es Demokratischeres, als das Volk zu befragen?
Frick: Ich stehe zu meinem Vorschlag. Mir ist es um eine möglichst schnelle Umsetzung gegangen, und dafür hätte man die Verfassungsbestimmung entsprechend dehnen können.
Heydecker: Sie wäre nicht gedehnt, sondern verletzt worden.
Frick: Als wir vor über fünf Jahren die Gelegenheit hatten, die Initiative zu korrigieren, wollten die Bürgerlichen und die Regierung nichts davon wissen.
So viel zur Vorgeschichte, zurück zur Abstimmung. Warum braucht Schaffhausen das strengste Transparenzgesetz der Schweiz?
Frick: Nur die Umsetzungsinitiative führt zu einer möglichst vollständigen Transparenz. Jede andere Form schwächt das Anliegen ab. Ich bin für «gnadenlose Transparenz», um eine Wendung von Walter Hotz zu zitieren.
Heydecker: Und ich bin für Transparenz mit Augenmass. Es gibt durchaus Informationen, die für die Öffentlichkeit wichtig sind, aber ab einem gewissen Punkt geht es nur noch um Neugier, und dafür brauchen wir kein Gesetz, das allen Beteiligten einen massiven Mehraufwand verursacht.
Die Initiative macht glasklare Vorgaben, wie ein Transparenzgesetz auszusehen hat, der Gegenvorschlag nicht. Wie sieht denn eine Transparenz «mit Augenmass» konkret aus?
Heydecker: Ich finde die Vorschläge der Regierung in der Vorlage zu meiner Motion vertretbar. Ein Kampagnenbudget soll ab 10’000 Franken offengelegt werden, Einzelspenden von Privatpersonen wie auch von Firmen ab 3000 Franken, und um ein unnötiges Anmeldeverfahren für Majorzwahlen zu vermeiden, sollen die Interessenbindungen von Kandidierenden erst bei Amtsantritt offengelegt werden.
Ist das indiskutabel, Herr Frick?
Frick: Wenn wir bei null anfangen würden, wäre das eine Diskussionsgrundlage. Aber gerade im Hinblick darauf, dass die Umsetzung der Transparenzinitiative von der bürgerlichen Mehrheit im Kantonsrat und der Regierung über fünf Jahre lang verhindert und boykottiert wurde, habe ich kein Vertrauen in Christian Heydecker und seine Entourage, dass Schaffhausen bei einer Annahme des Gegenvorschlags ein vernünftiges Transparenzgesetz bekommt.
Werfen wir einen Blick darauf, wie sich Ihre Vorstellungen von Transparenz unterscheiden. Die Initiative will, dass Spenden von Privatpersonen und Firmen unterschiedlich behandelt werden. Warum?
Frick: Für Firmen gilt das Recht auf Privatsphäre meines Erachtens nach nicht im selben Umfang wie für Privatpersonen. Wenn eine Firma Geld in eine Abstimmung investiert, dann müsste das mit dem Geschäftszweck zusammenhängen, um als Aufwand geltend gemacht werden zu können, der steuerlich abziehbar ist. Wenn sich Firmen, Organisationen oder Verbände politisch einschalten, sollen sie das offenlegen. Wenn ich als Kunde eine Schreinerei beauftrage, will ich doch nicht mit dem Gewinn, den sie aus meinem Geld erwirtschaftet, indirekt die SVP oder FDP unterstützen.
Heydecker: Das zeigt mir nur, dass es euch um Stigmatisierung geht. Das ist gefährlich, wenn man bedenkt, wie schnell es auf sozialen Medien heutzutage zu einem Shitstorm kommt. Wenn Firmen keinen Rappen spenden dürfen, ohne ihn offenzulegen, führt das dazu, dass die finanzielle Unterstützung aus der Privatwirtschaft an die Parteien unterbunden wird. Genau das ist das Ziel der Initiative.
Frick: Das ist absurd. Wir würden an unserem eigenen Ast sägen, würden wir dafür sorgen wollen, dass Parteien weniger Spenden bekommen.
Heydecker: Aber warum müsste eine Schreinerei 200 Franken offenlegen? Damit übt man doch keinen Einfluss aus.
Frick: Mit der Umsetzungsinitiative haben wir zwar Korrekturen an der ersten Juso-Initiative vorgenommen. Eine Freigrenze für Firmen hätte das ursprüngliche Anliegen aber zu stark torpediert. Die 200 Franken könnten ja auch privat gespendet werden.
«Ich glaube schon, dass Sachen herauskommen, mit denen man nicht gerechnet hat.»
Was Sie aber abgeändert haben, sind die Strafen. Statt einer Busse sollen Spenden, die gegen das Transparenzgesetz verstossen, nicht von den Steuern abzugsfähig sein. Warum?
Frick: Das ist das einzige Mittel, um sicherzustellen, dass die Regeln eingehalten werden. Selbst eine hohe Busse von bis zu 10’000 Franken könnte man einfach ins Kampagnenbudget einrechnen und die Offenlegungspflicht umgehen.
Heydecker: Das ist eine Absurdität. Ein privater Spender wird bestraft, weil die Partei, der er Geld gespendet hat, den Fehler gemacht hat? Der Spender hat doch nichts falsch gemacht. Das ist fast wie in einer Bananenrepublik.
Frick: Das ist aber die Konsequenz, wenn man einer Partei Geld spendet, die nicht fähig respektive willens ist, den Regeln nachzukommen. Für die Parteien wäre es ganz einfach: Um die Spendenbestätigungen auszustellen, hat man die Adressen und Beträge sowieso schon irgendwo hinterlegt. Es ist alles schon da.
Damit wären wir beim Aufwand.
Heydecker: So einfach, wie es Matthias Frick darstellt, ist es nicht. Dieses Jahr hatten wir diverse Wahlen und Sachabstimmungen, die in den Parteien über verschiedene Konten abgewickelt werden. Die ganzen Beträge minutiös auf jede Kampagne aufzuteilen, verursacht einen unverhältnismässigen Aufwand. Und dann kommt noch der erhebliche Aufwand bei den Behörden hinzu. Für die Umsetzung gemäss eurer Initiative wäre bei der Finanzkontrolle eine Personalaufstockung nötig.
Frick: Das kommt ganz darauf an, wie man die Kontrollen gestaltet. Die Behörden prüfen auch nicht jede Steuererklärung minutiös. Auch beim Transparenzgesetz kann ich mir stichprobenartige Kontrollen vorstellen.
Die Behörden müssten auch ein Anmeldeverfahren für Wahlen, wo das bisher nicht notwendig war, einführen, damit die Interessenbindungen vorab geklärt werden. Dazu zählen etwa Gemeinderats- oder Regierungsratswahlen. Damit wären keine «wilden Kandidaturen» mehr möglich. Reut Sie das nicht, Herr Frick?
Frick: Nein, ganz und gar nicht. Wir kennen das Anmeldeverfahren schon von Proporzwahlen wie den Kantonsratswahlen. Die Anmeldung ist nicht besonders schwierig. Damit verhindern wir Kandidierende, die sich aus Jux aufstellen. Und die kleinen Gemeinden mit weniger als 3000 Einwohnern sind von dieser Bestimmung ausgenommen.
Heydecker: Schaffhauser Wahltraditionen sind Matthias Frick egal. Ich sehe ein, dass es etwa in Bundesbern Sinn ergibt, die Interessenbindungen vorab offenzulegen, aber doch nicht in Beringen, wo man weiss, wer sich wo engagiert.
Frick: Um sich ein Gesamtbild zu machen, ist es durchaus wichtig zu wissen, wenn jemand Mitglied bei einem Wirtschaftsverband oder einem Serviceclub ist. Gerade für Neuzugezogene können das durchaus unbekannte Fakten sein. Eine Offenlegung von Interessenbindungen nach der Wahl ist nicht wirksam. Nur vor der Wahl hat es einen Mehrwert.
Wird eigentlich Überraschendes zutage treten, wenn wir Ihre Initiative annehmen?
Frick: Das kann ich nicht abschätzen. Ich glaube schon, dass Sachen herauskommen, mit denen man nicht gerechnet hat, aber ich habe keine konkrete Vermutung.
Herr Frick, angenommen, der Gegenvorschlag gewinnt an der Urne. Was müssen Parlament und Regierung bei einer Umsetzung unbedingt beachten?
Frick: Eine möglichst weitgehende inhaltliche Überführung der Transparenzregeln, wie sie heute in der Verfassung stehen, ins neue Gesetz. Alles andere wäre nicht angemessen und wir würden das bekämpfen – allenfalls mit einem Referendum.
Herr Heydecker, angenommen die Umsetzungsinitiative obsiegt. Was können Parlament und Regierung dann noch tun?
Heydecker: Wir haben keinen Handlungsspielraum. Null.
Frick: Wenig, nicht null.
Heydecker: Nein, gar keinen. Genau das ist das Problem.
Frick: Für dich ist es das Problem, für mich ist es der Wert der Initiative.