Zieht das Parlament dem Sarco den Stecker? Forderung nach Verbot wird laut – Tatverdächtige immer noch in Haft
Der erstmalige Einsatz der Suizidkapsel Sarco hat hohe Wellen geschlagen. Nicht nur die Schaffhauser Justiz muss sich mit dem Fall befassen, sondern auch der Nationalrat. Wie stehen die Chancen für ein Verbot? Indes befinden sich die Tatverdächtigen im Fall Merishausen immer noch hinter Gittern.
von Fabian Babic und Robin Blanck
Plötzlich hat die ganze Welt nach Merishausen geschaut: Zum ersten Mal überhaupt ist eine Person durch den Einsatz der Suizidkapsel Sarco gestorben. Ort des Geschehens war ein Waldstück in Merishausen, die Sterbewillige eine 64-jährige US-Amerikanerin, die aus dem Mittleren Westen der USA in den Kanton Schaffhausen gereist ist.
Die Verantwortlichen für die tödliche Premiere haben nun ein Strafverfahren am Hals. Bereits im Juli hat die Schaffhauser Staatsanwaltschaft die Sarco-Macher vor einem Einsatz gewarnt. Das hat die Köpfe hinter der Organisation «The Last Resort», die den Sarco-Einsatz in der Schweiz verantworten, kaum abgeschreckt. In einem Communiqué am Dienstag liessen sie verlauten, dass sie sich keinerlei Schuld bewusst seien. Man habe das Schweizer Recht nicht gebrochen.
Ob dem so ist, wird nun ein Gericht entscheiden. Klar ist: Die Beihilfe zum Suizid ist strafbar, wenn ein Suizidhelfer aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt. Laut Bundesamt für Justiz droht eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.
U-Haft wird geprüft
Weiterhin befinden sich aktuell mehrere Personen in Gewahrsam der Schaffhauser Polizei, wie die Staatsanwaltschaft am Mittwochmorgen gegenüber den SN bestätigt. Gemäss Sarco-Erfinder Philip Nitschke sollen vier Personen verhaftet worden sein: Florian Willet, der Co-Direktor der Sterbehilfeorganisation «The Last Resort», zwei Anwälte und ein niederländischer Pressefotograf, der das Ableben der Frau dokumentiert hat. Konkrete Angaben zu den Verhafteten macht Sticher gegenüber den SN nicht.
Als nächstes muss die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft stellt oder nicht, erklärt Sticher. Dieser Antrag muss vom Zwangsmassnahmengericht überprüft werden, bevor er rechtskräftig wird.
Für die U-Haft muss nicht nur ein «dringender Tatverdacht» – also die Wahrscheinlichkeit eines schwerwiegenden Gesetzesverstosses – vorliegen, sondern auch Fluchtgefahr, Kollusionsgefahr, das sich also die Beteiligten absprechen oder Widerholungsgefahr. Angeordnet werden darf die U-Haft nur, wenn kein milderes Mittel – zum Beispiel Fussfesseln – die gleiche Wirkung erzielen.
«Das Ganze ist surreal»
Wie die Justizbehörden im Fall Sarco vorgehen werden, wird sich nun zeigen. Für die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel, die den Suizid in Merishausen mit Entsetzen zur Kenntnis genommen hat, besteht nun dringender Handlungsbedarf. Gegenüber den SN hat sie angekündigt, einen Vorstoss im Parlament einreichen zu wollen. Damit möchte sie prüfen, inwiefern man die Selbstmordkapsel verbieten könne. «Ich könnte mir vorstellen, dass man den Einsatz von Stickstoff im Zusammenhang mit Suizid verbietet.»
Hat ihre Forderung Chancen? Eine Umfrage des «Tages-Anzeigers» bei den Mitgliedern der nationalrätlichen Rechtskommission ergibt ein gemischtes Bild.
Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy aus dem Kanton Wallis meint: «Es fragt sich, ob man etwas, das nicht erlaubt ist, noch verbieten muss. Aber vielleicht würde es zur Klarheit beitragen.» Deshalb plädiert er dafür, das Ergebnis des Schaffhauser Verfahrens abzuwarten. Falls es nun keine Konsequenzen gebe, «braucht es eindeutig eine Verschärfung».
Dahingegen hält die Basler Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne) ein Verbot für falsch. «Wir können nicht die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen wie Exit erlauben und den Sarco verbieten.» Sie wünsche sich eine strenge Regelung, damit klar sei, wann der Sarco zum Einsatz kommen dürfe.
Patricia von Falkenstein, Basler LDP-Nationalrätin, möchte, dass die Suizidkapsel einen Zulassungsprozess durchlaufen soll. Dieser könne ebenfalls zu einem faktischen Verbot führen, sofern die Kapsel nicht sicher sei. Von Falkenstein meint auch: «Das Ganze ist etwas surreal.» Jeder Staubsauger müsse Produktprüfungen durchlaufen, bevor er zum Einsatz kommen könne. Die Sarco-Kapsel hingegen wurde ohne Testlauf in Betrieb genommen.
Die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti will das Gerichtsverfahren in Schaffhausen abwarten. «Wenn die Gerichte zum Schluss kommen, dass die Gesetzesgrundlage nicht ausreichend ist, werden wir handeln müssen.» Was sie vor allem störe: dass die Sterbehilfe als dubioses Geschäftsmodell genutzt werden könnte. «Daher gilt es primär, zu klären, ob die Notlage einer verzweifelten Person ausgenutzt wurde.»