Das letzte Mal bei Kindern

Ralph Denzel | 
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Symbolbild (Pexels)

Ich habe erst neulich ein Reel auf Instagram gesehen, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Dort wurde ein Vater gefragt, was das Schönste am Kinderhaben sei.

Die kurze Videosequenz auf der Social-Media-Plattform hat mich letzthin wirklich ins Grübeln gebracht. In dem Instagram-Reel wurde ein Vater gefragt, was das Schönste am Kinderhaben sei – seine Antwort: «Sie aufwachsen zu sehen.» Zweite Frage: Was ist das Schlimmste am Kinderhaben? Die Antwort, dieses Mal sehr traurig: «Sie aufwachsen zu sehen.»

Hand aufs Herz: Jeder Elternteil schaut gerne die Bilder von seinem Nachwuchs an, als er oder sie noch ein kleines Häufchen Mensch war, nicht mehr als schreien, schlafen, trinken und Nahrung wieder ausscheiden konnte, manchmal auch drei Dinge davon gleichzeitig. Als man dieses kleine Würmchen auf seinen Arm legen konnte, es dort in der Kuhle zwischen Körper und Unterarm fast versank. Dann gingen irgendwann die Augen auf, es gab das erste Lächeln, bei dem man sofort dahinschmolz (es war zumindest bei mir so), die Kinder begannen zu brabbeln, sich hochzuziehen, die ersten zaghaften Schritte, die ersten Worte – und irgendwann passten sie nicht mehr in die Kuhle zwischen Arm und Körper. Irgendwann gab es keinen Schoppi mehr, den man aufwärmen musste. Eines Tages gab es auch nicht mehr den Mittagsschlaf, den das Kind früher dringend brauchte, wollte man nicht einen kleinen Terroristen – wobei man mit denen wenigstens manchmal verhandeln kann – in seiner Wohnung haben. Plötzlich braucht das Kind nicht mehr Mama oder Papa, um einzuschlafen, die Schmusedecke wird auch obsolet, genauso wie die Lieder, die man jahrelang jeden Abend vor dem Einschlafen sang, in der Hoffnung, dass die vertraute Melodie dem Nachwuchs schneller ins Land der Träume hilft.

Natürlich ist jedes dieser Dinge ein Schritt in die richtige Richtung, denn es zeigt, dass man irgendwas richtig gemacht hat und das eigene Kind sich entwickelt, selbstständiger wird und auch mehr und mehr lernt – aber trotzdem tut jeder Schritt irgendwo auch weh. Als mein Sohn nicht mehr sein «Gute Nacht»-Lied hören wollte, blutete mein Vaterherz. Als er ohne mich an seiner Seite einschlafen konnte und durchschlief, war ich natürlich irgendwo froh, aber fehlte mir die Zeit, in der ich einfach an seinem Bettchen sass und ihm über den Kopf streichelte.

Mit jedem Tag werden die eigenen Kinder grösser, selbstständiger, gehen weiter ihren Weg zu dem Menschen, der sie irgendwann sein werden. Wir Eltern stehen nebendran und schauen zu und müssen uns so oft von so vielen geliebten Momenten und früheren Gewohnheiten verabschieden.

Seit mir das klar geworden ist, versuche ich jeden Tag zu geniessen, was ich noch an «Kindlichem» in meinem Sohn finde. Jede Umarmung, jede Nähe, alles, was mich noch an das «Würmchen» von damals erinnern kann, versuche ich aufzusaugen wie ein Schwamm, ehe auch das irgendwann zum letzten Mal geschehen wird.

Ich bin auf jeden Schritt meines Sohnes stolz, auf jede Errungenschaft und auf jede neue Selbstständigkeit auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Aber manchmal wünschte ich mir, er würde diesen Weg nicht so schnell gehen. Denn auch wenn er bereit ist, jeden Tag einen weiteren Schritt seiner Entwicklung zu machen, ist es für seinen Papa umso schwerer, zu sehen, dass sein kleiner Mann immer grösser wird.

Hier schreibt Ralph:

 

39 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender

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