Oldies but Goldies für die nächste Generation

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner über verlorenes Liedgut und bemerkenswerte Verse.

Eine befreundete Berufskollegin stellte kürzlich eine gewagte These auf: Die heutigen Kinder kennen keine Lieder mehr. Zur Überprüfung musste mein Nachwuchs als Versuchskaninchen herhalten. Ich werfe Liedzeilen in die Runde: «Schuehmächerli…?» Ratloses Schulterzucken. «Bunt sind schon die…?» Keine Regung. «Chumm, mir wänd go…?» «Blüemli schüttle?» Ich merke selbst, dass der Ausdruck «Frühtau» wohl eher nicht zu ihrem aktiven Wortschatz gehört, und bin froh, als immerhin bei «Es schneielet…» ein zögerliches «es beielet» folgt. Um das Genre der Weihnachtslieder ist es ein bisschen weniger dürftig bestellt.

Die grossen Klassiker scheinen zu meiner Erleichterung doch einigermassen zu sitzen.

Inspirierend oder diskriminierend

«Wo liegt das Problem?», mag der unmusikalische Pragmatiker einwenden. «Alte Zöpfe gehören abgeschnitten!» Nun, wenn dermassen viel abgeschnitten wird, dass am Ende nur eine Glatze übrig bleibt, scheint mir das doch bedauerlich. Ich blicke zurück auf meine Kindheit. Die Schlieremer Kinder mit ihren Zooliedern oder «Ade bin i loschtig gsi» – wir sangen viel und inbrünstig. Zum Beginn der Schulstunden, als Auflockerung, manchmal auch mit zitternden Knien solo vor der ganzen Klasse.

Unser Repertoire war gross, das Liedgut meist schweizerisch oder zumindest deutsch und zum Teil Jahrzehnte alt. Nicht wenige Texte, die damals nicht hinterfragt wurden, würden heute wohl als politisch unkorrekt oder geschlechterdiskriminierend durchfallen. Warum bekommen die Mädchen Handschuhe, wenns schneielet, und die Buben müssen gschwind laufen?

«Nicht wenige Texte, die damals nicht hinterfragt wurden, würden heute wohl als politisch unkorrekt oder geschlechterdiskriminierend durchfallen.»

«Drei Chinesen mit dem Kontrabass», meinetwegen, aber andere Titel, fröhlich im Pfadilager am Feuer geschmettert, wage ich hier gar nicht mehr niederzuschreiben. Ich erinnere mich, wie wir in der Mittelstufe ein Lied einübten, welches, helvetischer Schlachten gedenkend, von «Blutdampf und Schlachtstaub» handelte. Worauf mein pazifistischer Vater das Gespräch mit dem Lehrer suchte und ich dies unglaublich peinlich fand. Heute feiere ich ihn dafür.

Wenn Schülerinnen und Schüler 2024 im Musikunterricht die neusten Hits von Sido oder Lo&Leduc lernen, mag das auf den ersten Blick attraktiv wirken. Es ist letztlich aber in etwa so, als würden im Deutschunterricht nur Gregs Tagebuch oder Colleen Hoovers Liebesromane gelesen. Was der Bauer kennt, frisst er. Aber das Menü bleibt einseitig.

Ich sehe den Auftrag der Schule auch darin, den Kindern den Horizont zu erweitern. Aufzuzeigen, was es auf dieser Welt zu entdecken gibt. Das darf gerne auch einmal irritieren, sperrig sein oder herausfordern. Lieder transportieren aber auch, womit sich Menschen in unserer Gegend früher beschäftigt haben. Wie die Natur den Alltag prägte, wie das Handwerk präsent war, wofür gedankt und worüber gestaunt wurde.

Weil Matter noch heute bewegt

Nie fühle ich mich schaffhauserischer, als wenn irgendwo «Bloss e chlini Stadt» ertönt. Das Randenlied gehört zum Zelgli, «Luegid vo Bärg u Tal» lässt mir das Alpenglühen noch tiefer zu Herzen gehen, und keiner konnte in drei Minuten die Welt so liebevoll-scharfsinnig aufs Korn nehmen wie Mani Matter. Das soll ihm Sido erstmal nachmachen.

Damit traditionelles Liedgut, wie es in Ski- oder Pfadilagern gepflegt wird, nicht vergessen geht, gibt es ein überarbeitetes «Kantonales Lagerliederbüchlein Schaffhausen». Durchblättern mit Ohrwurm-Garantie! Singen stiftet Gemeinschaft über Generationen weg. Was soll die Grossmutter beim Wandern mit ihren Enkeln anstimmen? «Atemlos durch die Nacht»? Es darf ruhig mit dem Besen den allzu verstaubten Liedern der Garaus gemacht werden. Postkutschen oder säende Bauern lassen die Herzen Zehnjähriger nicht höherschlagen.

Aber ein erfahrener Kollege übte mit jeder seiner Klassen «Der Mond ist aufgegangen». Darin sei eine Wahrheit enthalten, die alle seine Schützlinge erfahren sollen. Gewisse Melodien und Texte überdauern zu Recht Jahrhunderte. Wer ihnen Sorge trägt und sie gemeinsam mit anderen singend am Leben hält, spürt deren Wert.

Von allen Seiten werden Forderungen an Lehrpersonen gestellt. In diesen Chor möchte ich nicht einstimmen, denn: Hauptsache, es wird gesungen! In einer grossen Gruppe lautstark «Das alte Haus von Rocky Tocky» zu schmettern, ist ein Erlebnis, das ich auch künftigen Generationen gönnen würde.

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