Anthroposophie im Supermarkt – ein Widerspruch?

Migros setzt auf Tiefpreise, doch gleichzeitig finden sich Premium-Produkte wie Demeter im Sortiment. Wie passt das zusammen?
Dass viele aus Schaffhausen Woche für Woche ennet der Landesgrenze einkaufen, ist nichts Neues. Um gegen Discounter und ausländische Supermärkte in Grenznähe zu bestehen, hat zum Beispiel die Migros angefangen, ihre Preise zu senken. Bis Ende 2025 sollen über 1000 «beliebte Alltagsprodukte» dauerhaft günstiger werden.
Teures Nischenprodukt
Während eine Konsumentengruppe nach tieferen Preisen verlangt, legt eine andere Wert auf hochwertige, nachhaltig produzierte Lebensmittel, die über den EU-Bio-Standard hinausgehen. Diese Kunden schätzen das Angebot kleinerer Bio- oder Hofläden der Region – oder suchen in den hiesigen Lebensmittelgeschäften gezielt nach zertifizierten Qualitätsprodukten, wie dem Demeter-Label.
Wer sucht, findet das älteste Biolabel auch in der Migros im Herblingermarkt oder in der Filiale an der Vorstadt. «Es handelt sich eher um ein Nischensortiment – bei einem Grossteil der Migros-Kundschaft sind Demeter-Produkte nicht bekannt», sagt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Leiterin der Medienstelle des Mirgros-Genossenschaftsbundes. «Wir haben jedoch eine spezifische Kundengruppe, die gezielt nach diesen Artikeln sucht.»
Demeter steht für besonders strenge Richtlinien, was für viele ein Kaufargument ist.»
Ein Widerspruch
Doch während einige Konsumenten das Angebot begrüssen, sehen es nicht alle Demeter-Produzenten positiv. Besonders jene, die auf kleinstrukturierte, nachhaltige Landwirtschaft setzen, kritisieren die Zusammenarbeit mit Grossverteilern.
Für Urs Stutz, der mit seiner Frau den Randenhof in Siblingen nach biodynamischen Demeter-Standards bewirtschaftet, ist eine Belieferung von Grossmärkten ein Widerspruch in sich. Den Entscheid des Demeter-Verbands Schweiz, Einzelhändler wie Coop und Migros zu beliefern, lehnt er entschieden ab: «Das war sicherlich kein demokratischer Entscheid, sondern der Entschluss einiger weniger.»
«Die Produktion nach Demeter-Standard inklusive der Herstellung unserer eigenen Präparate ist zeitintensiv und aufwendig. Natürliches Wachstum erlaubt es nicht, die Menge zu produzieren, die ein Supermarkt verlangt», so Stutz. Stattdessen setzt der Betrieb auf Direktvermarktung: direkter Verkauf ab Hof, an kleine Bioläden der Region, Restaurants sowie an anthroposophisch geführte Heime. Diese Vermarktungsform sichert ihnen eine bessere Marge und Unabhängigkeit vom Grosshandel.
Natürliches Wachstum erlaubt es nicht, die Menge zu produzieren, die ein Supermarkt verlangt.»
Doch nicht nur die Mengenanforderungen von Supermärkten sind ein Problem – auch die Kostenstruktur spielt eine Rolle, denn eine aufwendige Herstellung schlägt sich im Preis nieder.
Teure Herstellung
Laut eigenen Angaben legt die Migros Wert darauf, faire Preise für ihre Produzenten zu garantieren; diese variieren jedoch nach Produktkategorie, Marktbedingungen und individuellen Verträgen. Im Demeter-Bereich gibt es keine einheitlichen Richtpreise, die Preisverhandlung ist den beteiligten Parteien überlassen. «Die Verarbeitung der Produkte erfolgt sehr schonend, es sind nur wenige Hilfs- oder Zusatzstoffe erlaubt, die Herstellung von Demeter-Produkten ist aufwendiger, zeit- und kostenintensiver als die Herstellung konventioneller Produkte», sagt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, lässt aber offen, welcher Anteil des Preises letztlich bei den Produzenten ankommt.
Für Produzenten wie Urs Stutz ist jedoch nicht nur der Preis entscheidend – sondern auch, unter welchen Bedingungen produziert wird. Indem er nachhaltige Kreisläufe schafft und unabhängig von externen Zukäufen bleibt, kann er langfristig wirtschaftlicher arbeiten.
Nachhaltige Kreisläufe statt Massenproduktion
Urs Stutz kam früh mit der Demeter-Landwirtschaft in Berührung – bereits seine Lehre absolvierte er auf einem Demeter-Hof. Die Übernahme des Randenhofs von der Familie Shipholt war für ihn daher ein logischer Schritt. «Wir begegnen den Tieren mit Verständnis, und durch geschlossene Kreisläufe verringert sich die Abhängigkeit von externen Ressourcen. Das bedeutet, dass wir kein Kraftfutter zukaufen – die Rinder fressen, was auf dem Hof natürlich wächst», sagt Stutz.

Die Eigenproduktion des Futters ohne wachstumsfördernde Proteine verlangsamt zwar die Produktion, doch darin sieht Stutz keinen Nachteil: «Der Fokus liegt auf Qualität, nicht auf Quantität. Unsere Tiere und Pflanzen sind gesund – und auch meine Familie, da sie sich zum Grossteil von unseren eigenen Produkten ernährt», sagt der Landwirt.
Anthroposophie – eine persönliche Entscheidung
Obwohl Demeter auf anthroposophischen Prinzipien basiert, stehen in der Praxis strenge ökologische Richtlinien im Vordergrund – wie Bodenfruchtbarkeit und geschlossene Kreisläufe. Viele Kunden achten mehr auf die Qualität als auf den spirituellen Hintergrund. «Demeter steht für besonders strenge Richtlinien, was für viele ein Kaufargument ist», so Prisca Huguenin-dit-Lenoir.
Für Urs Stutz spielt die Lehre von Rudolf Steiner jedoch eine bedeutende Rolle: «Sie gibt mir Sinn und hilft mir bei Lebensfragen.» Gleichzeitig betont er, dass die anthroposophische Weltanschauung keine Voraussetzung für die Demeter-Landwirtschaft ist. «Viele Höfe konzentrieren sich ausschliesslich auf den biodynamischen Aspekt.»