Pflanzenschutz der etwas anderen Art
In Bern wird aufgrund eines Vernehmlassungsverfahrens aktuell darüber diskutiert, wie und bis zu welchem Grad künftig Patente für Pflanzen und deren Zuchtmethoden vergeben werden sollen. Was bedeutet das für Bauern und Saatgutpreise – und kann man bald auch hiesige Trauben patentrechtlich schützen? Dr. Dominik Hierling ist neuer CEO der G&A IP AG, der in Neuhausen ansässigen Kanzlei für Patent-, Marken- und Designrecht und Nachfolger von Dr. Manfred Irsch (siehe Box). Zusammen mit seinem Kollegen Erik Brück stellte er sich unseren Fragen.
Patente für Pflanzen, das irritiert irgendwie. Können Pflanzen patentrechtlich geschützt werden?
Dominik Hierling: Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Pflanzen und Pflanzensorten (siehe Box). Pflanzen können unter bestimmten Bedingungen patentiert werden, beispielsweise wenn es sich um ein neues technisches Zuchtverfahren oder um gentechnisch veränderte Pflanzen handelt. Eine Pflanzensorte andererseits wird in Europa durch den Sortenschutz und nicht durch Patente abgesichert. Der Sortenschutz gewährt exklusiven Schutz für eine spezifische neue Pflanzensorte und ermöglicht dem Inhaber, deren Nutzung zu kontrollieren.
Unter bestimmten Bedingungen – das heisst, es sind nicht alle Pflanzen patentierbar?
Hierling: Nein, nicht alle Pflanzen sind patentierbar. Pflanzen, die durch ausschliesslich biologische Verfahren wie Kreuzung und Selektion erzeugt wurden, sind seit 2017 von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Werden wir praktisch und nehmen als Beispiel eine Rebschule wie jene der Familie Auer in Hallau. Deren Traubensorten sind in dem Fall nicht patentierbar?
Erik Brück: In aller Regel fallen Traubensorten unter den Sortenschutz und sind nicht patentierbar. Eine Ausnahme wäre, wenn Herr Auer ein neuartiges Züchtungsverfahren entwickelt, das patentierbar ist, oder wenn er eine Rebe gentechnisch modifizieren würde. Um sicherzustellen, dass sich Patente auf «technisch erzeugte Pflanzen» und nicht auf mittels biologischer Verfahren (wie Kreuzungen) gezüchtete Pflanzen erstrecken, verlangt das Europäische Patentamt das Einfügen eines sogenannten «Disclaimers» in das Patent, in welchem auf biologischem Wege erzeugte Pflanzen explizit vom Schutzumfang ausgeschlossen werden.
Und wenn nun Züchter Auer eine neue bahnbrechende technische Züchtungsmethode von Reben erfinden würde und diese patentieren liesse. Was würde ihm das nützen?
Brück: Durch die Anmeldung eines Patents auf die neuentwickelte technische Züchtungsmethode bekäme er die Möglichkeit, Dritten die Nutzung dieser Züchtungsmethode zu verbieten. Er hätte im Idealfall somit 20 Jahre lang ein Alleinstellungsmerkmal und könnte durch den Verkauf seiner mit Hilfe der neuen Züchtungsmethode hergestellten Reben die Kosten für seine Entwicklung amortisieren.
Und falls er kein Interesse an einem Patentschutz hat?
Brück: Möchte er kein Patent anmelden aber dennoch an einer geschützten Sorte forschen, kann er in der Schweiz auf das sogenannte Züchterprivileg zurückgreifen, welches ihm weitere Züchtungen erlaubt. Ausserdem gibt es in der Schweiz das «Landwirteprivileg». Dieses gestattet es einem Landwirt im eigenen Betrieb Saatgut und Pflanzenmaterial bestimmter geschützter Sorten weiter zu vermehren, ohne Lizenzgebühren an den Sortenschutzinhaber zahlen zu müssen.
Landwirte müssen sich also keine Sorgen machen, durch den ausgebauten Patentschutz Nachteile zu erleiden?
Hierling: Nein. Hinzu kommt, dass biologische Prozesse, wie zufällige Einkreuzungen durch Wind oder Insekten, vom Patentschutz ausgenommen sind.
Ein Argument der Befürworter ist, dass der Patentschutz wichtig für Innovationen in der Landwirtschaft ist. Inwiefern trifft das zu?
Hierling: Die Züchtung von Pflanzen mit positiven Eigenschaften, wie zum Beispiel höherer Resistenz gegen Schädlinge oder Wettereinflüsse, ist entscheidend für eine nachhaltige Landwirtschaft und die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung. Eine solche Pflanze zu züchten bringt jedoch meist viel Aufwand und hohe Kosten mit sich und ist deshalb mit einem hohen Risiko für den Züchter oder die Forscher verbunden. Damit dennoch ein Anreiz zur Forschung besteht, wurde der Patentschutz für Pflanzen entwickelt. Da Patentanmeldungen veröffentlicht werden müssen, haben andere Züchter oder Forscher die Möglichkeit, die neuen Erkenntnisse zu nutzen und weiterzuforschen.
Weshalb ist der Patentschutz auf Pflanzen denn so umstritten?
Brück: Ein Argument der Kritiker ist, dass der Patentschutz den Zugang zu Saatgut beeinflussen und dadurch die Vielfalt in der Landwirtschaft gefährden könnte. Sie befürchten, dass vor allem grosse Unternehmen von der Patentierung profitieren und kleinere Landwirte benachteiligt werden. Patente würden die Kosten für Landwirte erhöhen, da Lizenzgebühren oder höhere Saatgutpreise anfallen könnten.
Und was erwidern die Befürworter darauf?
Brück: Sie vertreten den Standpunkt, dass durch die Möglichkeit einer Patentierung der Zugang zu hochwertigem Saatgut mit höheren Erträgen ermöglicht wird, was auch kleineren Betrieben zugutekommen kann. Ohne Patentschutz würden Unternehmen ihre Innovationen geheim halten, was der Öffentlichkeit schaden würde, da dann eine Weiterentwicklung auf Basis der neusten Forschungsergebnisse verunmöglicht würde.
Was genau ist denn der Kernpunkt der geplanten Revision?
Brück: Die Revision zielt darauf ab, mehr Transparenz und Rechtssicherheit im Bereich der Pflanzenzucht zu schaffen, indem einerseits ein fairer Zugang zu Innovationen gewährleistet, gleichzeitig aber auch die Interessen der Landwirte geschützt werden. Damit Landwirte leichter herausfinden können, ob sie mit patentiertem Saatgut arbeiten und welche Rechte damit verbunden sind, soll eine Clearingstelle eingerichtet werden, die Züchtern helfen soll, neue Sorten zu melden und zu prüfen, ob sie von bestehenden Patenten tangiert werden. Patentinhaber ihrerseits müssen angeben, ob die gemeldete Sorte von einem Patent betroffen ist.
Gerade diese Clearingstelle steht in der Kritik. Warum?
Hierling: Für Züchter, insbesondere kleinere Akteure, bringt die Revision mehr Sicherheit und Transparenz. Patentinhaber hingegen könnten durch die Clearingstelle einen erheblichen Mehraufwand und Rechtsunsicherheit erfahren, indem es quasi zu einer Umkehr der Beweislast kommt: Im Gegensatz zu heute müssen nach der Revision Patentinhaber ihre Schutzrechte aktiv verteidigen. Dies führt für forschende Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups, zu einem unverhältnismässig hohen Aufwand. Vor allem, wenn sie die Sorten von Konkurrenzunternehmen nicht kennen. Ausserdem erachten wir insbesondere die Auskunftspflicht über fremde Sorten und die knappe Frist von 90 Tagen zur Durchsetzung von Lizenzansprüchen als problematisch.
Gäbe es denn bessere Lösungen als die geplante Clearingstelle?
Hierling: Möglich wären offizielle Nachschlagewerke, in denen in der Schweiz erteilte Patente zu Pflanzen automatisch registriert werden und welche Züchter nützen könnten, bevor sie sich an die Arbeit machen. So sehen sie schnell und unkompliziert, was auf ihrem Gebiet aktuell patentiert ist. In den USA gibt es vergleichbare Datenbanken für Medikamente beziehungsweise deren Inhaltsstoffe.