«Es ist sicher richtig, Verkehr aus der Stadt herauszunehmen»

Iris Fontana | 
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Sieht so die Stadt der Zukunft aus? Der Direktorin Stadtentwicklung der Stadt Zürich würde hier wohl der Veloverkehr zu wenig berücksichtigt. Illustration: pixabay.com

Städte platzen aus allen Nähten, gleichzeitig werden mehr Grünräume gefordert. Dann sollen die Ballungszentren attraktiv für Junge und Familien sein, während die Gesellschaft gleichzeitig überaltert. Solche Herausforderungen anzugehen, gehört zum täglichen Brot von Stadtentwicklern. Am Immobilien-Event der Schaffhauser Kantonalbank referierte Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung der Stadt Zürich. Der Zahltag traf sie vorab zum Interview und entlockte ihr einige interessante Antworten: Ist es richtig, in der Altstadt Parkplätze abzubauen? Sind Wohn- und Wirtschaftsräume unüberwindliche Gegensätze? Und kann man die Munot- und die Limmatstadt überhaupt vergleichen?

Wohnungsknappheit, Zuwanderung, demografischer Wandel, Energiemangellage, Klimakrise, rechtliche und politische Anforderungen. Herausforderungen bei der Stadtplanung gibt es viele. Welche davon bereitet Ihnen als Stadtentwicklerin am meisten Bauchschmerzen?

Anna Schindler (lacht): Bauchschmerzen wären nicht gut. Aber Sie haben recht, es ist schon sehr herausfordernd im Moment. Dabei würde ich keinem Thema den Vorrang geben. Die Komplexität kommt aus der Kombination aller genannten Faktoren.

Sie sind in der grössten Stadt der Schweiz für die Stadtentwicklung zuständig. Welche Strategie verfolgt Zürich?

Schindler: Die Stadt Zürich verfolgt eine Wachstums- und Entwicklungsstrategie. Alle Ziele in diesem Bereich müssen sich dabei jedoch der Prämisse der Nachhaltigkeit und des Klimawandels unterordnen, denn unser oberstes Ziel ist Netto Null bis 2040. Dies ist natürlich eine Herausforderung. Dabei hilft die momentan herrschende weltweite Unsicherheit nicht gerade.

Ist das in Schaffhausen auch so?

Schindler: Natürlich sind die Grundlagen ganz unterschiedlich. Sei dies der geschichtliche Hintergrund, die wirtschaftliche Entwicklung, die Lage. Schaffhausen als eine Grenzstadt beeinflussen andere Kräfte als Zürich. Auch die politische Komponente hat einen grossen Einfluss, sprich die politischen Kräfte, welche die Regierungsführung bestimmen. Der entscheidendste Faktor ist jedoch sicher die Grösse. In einer Stadt mit der Grösse von Zürich potenzieren sich die Herausforderungen und die Komplexität ist höher. Auf der anderen Seite haben grosse Städte meist auch mehr Spielraum. Zudem sind wir in der Stadtverwaltung sehr professionell aufgestellt und haben Ressourcen, die kleinen Städten nicht zur Verfügung stehen.

Anna Schindler

Anna Schindler

Anna Schindler ist Wirtschaftsgeografin und seit November 2011 Direktorin Stadtentwicklung der Stadt Zürich. Zuvor war sie als Architektur- und Kunstjournalistin für verschiedene deutsch- und englischsprachige Verlage, als Kommunikationsberaterin und als Dozentin an der Uni Zürich und der ZHAW tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Zürich.

Sie sagen: Zürich ist grösser, hat mehr Ressourcen zur Verfügung, eine andere Lage – komplett anders als Schaffhausen. Lassen sich die beiden Städte überhaupt vergleichen?

Schindler: Ja, ich würde sagen, dass trotz unterschiedlicher Grundlagen alle Schweizer Städte mit den gleichen oder ähnlichen Problemlagen konfrontiert sind. Das heisst, Schaffhausen hat die gleichen Themen wie Zürich, nur in kleinerem Format: Sie strebt eine nachhaltige Entwicklung an, in der Themen wie Wohnen, Mobilität, Energie, Demografie und wirtschaftliche Entwicklung im Brennpunkt stehen.

Welche innovativen Technologien erachten Sie für die Stadtentwicklung als zukunftsversprechend?

Schindler: Grundsätzlich wissen wir es nicht. Klar ist jedoch, dass die Künstliche Intelligenz (KI) vieles verändern wird. Die Frage ist, wo sie überall Einzug halten wird. KI kann vieles stark erleichtern, in unserem Bereich beispielsweise in der Digitalisierung von Baugesuchen bis zum digitalen Zwilling (virtuelle Repräsentation der Realität) oder in der Mobilität. Schwierig ist jedoch, abzuschätzen, was wie schnell kommen wird.

Wie gehen Sie in Zürich mit dem Thema Verdichtung um?

Schindler: Momentan sind wir daran, die planerischen Möglichkeiten und Regulierungen zu schaffen, um überhaupt verdichten zu können. Vor rund drei Jahren wurde der kommunale Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen verabschiedet, der Gebiete ausweist, in denen verdichtetes Bauen über die bislang geltende Bau- und Zonenordnung (BZO) hinaus möglich sein soll. Basierend auf diesem neuen Richtplan sind wir nun daran, die BZO zu überarbeiten, was etwa bis 2028 dauern wird. Grundsätzlich bauen wir als Stadt wenig selber, da sich rund 70 Prozent der Grundstücke im Besitz von privaten Investoren befinden.

Wie wägen Sie ab, wie der knappe Platz genutzt werden soll? In der Schaffhauser Innenstadt werden etwa Parkplätze abgebaut, weil sie zu viel Platz benötigen.

Schindler: Klar, um den vorhandenen Raum herrscht eine starke Konkurrenzsituation. Es ist immer ein grosses Ringen um die richtige Strategie. Dabei spielen fachliche Überlegungen eine Rolle, am Ende ist es jedoch ein politischer Entscheid. Beim Thema Mobilität hat Zürich ganz klare Vorstellungen, wie sie sich entwickeln möchte: So viel Öffentlicher Verkehr wie möglich sowie Platz für Fussgänger und Veloverkehr. Dafür soll der Anteil des Autoverkehrs gesenkt werden. Letztes Jahr wurden im Zuge dieser Strategie ja bereits zehn Prozent der Parkplätze in der Zürcher Innenstadt gestrichen, um Veloschnellrouten bauen zu können. Es ist sicher richtig, Verkehr aus der Stadt herauszunehmen, gleichzeitig muss natürlich trotzdem die Logistik sichergestellt sein.

Immobilien-Event der Schaffhauser Kantonalbank

Am Donnerstag fand im Stadttheater Schaffhausen der Immobilien-Event statt, ein Fachanlass für die Immobilienbranche, veranstaltet von der Schaffhauser Kantonalbank. Unter dem Motto «Die Zukunft des Wohnens» referierten Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich, Urs Ledermann, Verwaltungsratspräsident Ledermann Holding AG, und Prof. Dr. Donato Scognamiglio, CEO IAZI AG, über die brennenden Themen: Knapper Wohnraum, Herausforderungen in der Immobilienentwicklung und Wohn(t)räume der Zukunft.

Wohn- und Wirtschaftsraum werden oft als Gegensätze bezeichnet. Stimmt das Ihrer Auffassung nach? Und wie bringt die Stadtentwicklung alle verschiedenen Anliegen und Anforderungen unter einen Hut?

Schindler: Alle Anliegen unter einen Hut zu bringen, ist unmöglich. Aber genau aus diesem Grund gibt es ja eine Bau- und Zonenordnung, in der beispielsweise die Industriezone festgelegt ist. Letztere ist in Zürich in den vergangenen Jahrzehnten extrem geschmolzen. Ausserdem werden im regionalen wie auch im kantonalen Richtplan Arbeitsplatzgebiete ausgeschieden. Es wird also festgelegt, wo in der Stadt noch Arbeitsplätze sein können und sollen. Diese Gebiete sind für einen Investor natürlich viel weniger wertschöpfungsintensiv als Wohnzonen.

Also doch ein unüberbrückbarer Gegensatz?

Schindler: Grundsätzlich sind Arbeit und Wohnen keine Gegensätze. Aufgrund der ganzen Lärm- und Emissionsvorschriften sind sie heute jedoch fast nicht kompatibel. Es gibt Beispiele von Mischformen, wo auf städtischen Arealen versucht wird, Gewerbe- und Wohnraum zu mischen. Das Problem ist, dass Zürich schlicht nicht mehr über Bauland verfügt, um irgendetwas zu entwickeln. Ein weiterer Ansatz, den wir verfolgen, ist, die urbane Produktion anzukurbeln und Unternehmer zu unterstützen, die wieder in der Stadt produzieren. Denn dies ist aufgrund der kurzen Wege für die Stadtentwicklung ebenso wie für eine kreislauforientierte Wirtschaft sehr interessant.

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