Sie kämpft seit 20 Jahren für die Medienfreiheit in Russland – nun lebt sie in Schaffhausen
![Journalistin Ekaterina Glikman zeigt die Frontseite der ersten «Nowaja Gaseta»-Ausgabe nach Kriegsausbruch. Dort steht: «Russland bombardiert die Ukraine.» Bild: Melanie Duchene](https://data.shn.ch/styles/np8_full/s3/media/2022/03/10/10_tt_katia1.jpg?itok=AJE-WrcA)
Ihr Leben lang kämpfe sie gegen Putins Machtapparat, der die Medienfreiheit zusehends eingeschränkt habe, sagt Ekaterina Glikman. Sie schreibt seit 20 Jahren für die regierungskritische russische Zeitung «Nowaja Gaseta», lebt aber seit drei Jahren in Schaffhausen.
Tag 15 des Kriegs in der Ukraine. Über zwei Millionen Menschen sind bereits geflohen. Ein Ende des Tötens ist nicht absehbar. Derweil schnürt der russische Präsident Wladimir Putin auch die Medien in seinem Land immer weiter ein.
Letzten Freitag trat ein Gesetz in Kraft, wonach mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft wird, wer in den Augen der Regierung Falschinformationen über die russische Armee veröffentlicht. Die britische BBC und der US-Nachrichtensender CNN, die deutschen Sender ARD und ZDF sowie das Schweizer Radio und Fernsehen haben sich daraufhin aus Russland zurückgezogen.
Andere sind geblieben. So etwa die Journalistinnen und Journalisten von «Nowaja Gaseta». Für diese Zeitung hat einst auch Anna Politkowskaja gearbeitet. Sie wurde 2006 erschossen, nachdem sie über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und Korruption im russischen Verteidigungsministerium geschrieben hatte.
Eine ehemalige Arbeitskollegin Politkowskajas lebt heute in Schaffhausen: Ekaterina Glikman stiess 2002 zu «Nowaja Gaseta». Mittlerweile berichtet sie als Spezialkorrespondentin für das dreimal wöchentlich erscheinende Blatt. Zum Gespräch mit den SN hat die Russin zwei Notizzettel mitgebracht. Sie wolle, bevor das Interview starte, ein paar persönliche Worte loswerden: «Meine Grossmutter kam vor der Russischen Revolution in Kiew zur Welt und starb auch dort. Mein Vater musste im Zweiten Weltkrieg als Kind vor Hitlers Armee aus Kiew flüchten.» Jetzt herrsche dort wieder Krieg und wieder müssten Menschen flüchten. «Dabei wären die Russen und Ukrainer doch sehr eng miteinander verbunden – über die Geschichte und Verwandtschaften, wie das auch bei mir der Fall ist. Dieser Krieg trifft uns alle. Es ist sehr schmerzhaft.»
Ihr ganzes Leben habe sie im Kampf gegen die russische Regierung – gegen Putin – verbracht, sagt Glikman. Als sie 21 war, schloss der russische Präsident die Zeitung, für die sie berichtete. «So waren wir schon damals am Demonstrieren.» In den letzten 20 Jahren habe Putin die Meinungsfreiheit und mit ihr auch die Medien mehr und mehr eingeschränkt. «Mein Chef Juri Schekochihin wurde 2003 vergiftet und getötet. Er hatte zu Korruption recherchiert – grosse Geschichten hatte er geschrieben.»
Anna Politkowskaja verfasste 2004 ein Buch über Wladimir Putin. In Russland konnte es nicht gedruckt werden. Glikman besorgte es sich über einen Freund in London. «Das Buch zeigte bereits damals auf, wie Putin wirklich ist. Leider hat das kaum ein westlicher Politiker zur Kenntnis genommen.» Zu profitabel sei das Geschäft mit Russland gewesen. Und das sei noch immer so: «Nord Stream 1 geht weiter, und die Gazprombank ist von den westlichen Sanktion bislang ausgeschlossen.» Hingegen wurde Nord Stream 2 bis auf Weiteres gestoppt.
Staatspropaganda habe die freien Medien abgelöst. Im Westen wahrgenommen wurde beispielsweise «Russia Today» (RT). Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» bezeichnete RT kurz vor Kriegsausbruch als «Putins Propagandasender». Glikman vermeidet das Wort Gehirnwäsche. Sie sagt: «Die russische Bevölkerung wurde jahrzehntelang vergiftet.» Die «Nowaja Gaseta» habe versucht, dagegen zu halten. Geändert habe sich trotzdem nichts. «Das schaut jetzt so aus, als wäre unsere Arbeit umsonst gewesen. Aber das war sie nicht.» Die Zeitung habe den regierungskritischen Leserinnen und Lesern zeigen können, dass sie nicht verrückt und mit ihrer Meinung nicht allein seien. Zudem habe sie Beweise für einen allfälligen späteren Strafprozess gegen Putin und seinen Staatsapparat dokumentieren können.