Der Gaza-Deal liegt angeblich auf dem Tisch – was wir wissen in 7 Punkten
Nach über 16 Monaten Krieg ist ein Deal zwischen der Hamas und Israel zur Beilegung der blutigen Auseinandersetzung dem Vernehmen nach zum Greifen nah. Was wir dazu wissen.
1. Darum geht es
Ein Friedensabkommen für den Krieg zwischen Israel und der Hamas soll unmittelbar vor dem Abschluss stehen. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit kann US-Präsident Joe Biden unter Umständen nochmals einen Erfolg verbuchen – den er womöglich aber auch teilweise bereits seinem Nachfolger Donald Trump zu verdanken hat (siehe Punkt 5).
«Wir stehen kurz vor einer Einigung und sie kann noch diese Woche zustande kommen», sagte der Sicherheitsberater des am kommenden Montag aus dem Amt scheidenden Biden, Jake Sullivan. Dem US-Sender CNN zufolge sollen heute in Katars Hauptstadt Doha letzte noch offene Fragen geklärt werden, ehe der Deal offiziell gemacht wird.
2. Was der Deal beinhalten soll
Laut israelischen Medien wurde in Doha ein Drei-Stufen-Plan für eine Waffenruhe ausgearbeitet. Noch wurde nichts verkündet, die Einigung könnte den Berichten zufolge aber heute bekanntgegeben werden. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht.
Laut dem israelischen TV-Sender Channel 13 sieht der Plan in einer ersten Phase eine Kampfpause von 42 Tagen vor. In der Zeit sollen 33 Geiseln freigelassen werden, von denen die meisten noch am Leben seien, während es bei den anderen um die Übergabe der Leichen gehe, hiess es.
Die israelische Seite werde bis zur Freilassung nicht wissen, welche der Geiseln lebend zurückkommen. Es handele sich um Frauen, darunter Soldatinnen, zwei Kinder, Menschen über 50 sowie Verletzte und Kranke.
Im Gegenzug sollen 1000 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden, hiess es. Israels Armee werde sich ausserdem nach und nach aus bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen und schliesslich auch aus dem Philadelphi-Korridor entlang der Grenze zu Ägypten.
Ferner sollen demnach die in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens geflohenen Einwohner unter internationaler Aufsicht in ihre Wohngebiete im Norden zurückkehren dürfen. Laut US-Medienberichten wird Israel zunächst Pufferzonen entlang seiner östlichen und nördlichen Grenze zum Gazastreifen aufrechterhalten.
3. USA wollen Nachkriegsplan vorlegen
Nebst dem Plan zur Beendigung des Kriegs wollen die USA einem Bericht der Nachrichtenseite «Axios» zufolge auch einen Plan für danach vorlegen, um Stabilität in der Region zu gewährleisten. US-Aussenminister Antony Blinken soll das Vorhaben demzufolge im Verlaufe des Dienstags vorstellen.
Blinkens Plan sieht laut «Axios» einen Regierungsmechanismus unter Beteiligung der internationalen Gemeinschaft und arabischer Länder vor. Diese könnten auch Truppen nach Gaza entsenden, um die Sicherheitslage zu stabilisieren und humanitäre Hilfe zu leisten, hiess es. Ausserdem müsse die im Westjordanland regierende und von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) an einer künftigen Regierung beteiligt werden. Die PA solle nach dem Willen der USA zuvor reformiert werden.
Israel hatte sich bisher geweigert, die PA an einer Regierung zu beteiligen. Womöglich ist Ministerpräsident Netanjahu nun also von dieser Position abgerückt.
4. Die Reaktionen aus Israel
Die jüngsten Berichte haben bei den Angehörigen der Geiseln grosse Hoffnungen ausgelöst. «Die Berichte, die auf eine mögliche Einigung über die Freilassung unserer Angehörigen hindeuten, sind ein Hoffnungsschimmer, aber wir bleiben vorsichtig», erklärte das Forum der Geiselfamilien.
Die US-Vermittler bestätigten ebenfalls, dass es zu früh für Euphorie sei: «Ich mache keine Versprechungen oder Vorhersagen, aber es ist zum Greifen nahe, und wir werden daran arbeiten, dass es klappt», so Sullivan. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu will örtlichen Medien zufolge heute Angehörige der Geiseln treffen.
Keine Freude am möglichen Deal haben die ultranationalistischen Teile der israelischen Regierung. So sagte der radikale Finanzminister Bezalel Smotrich, der sich anbahnende Deal sei «eine Katastrophe für die nationale Sicherheit Israels», wie die «Jerusalem Post» schreibt.
Smotrich kritisierte das Verhältnis zwischen der Anzahl Geiseln und palästinensischer Gefangener, die ausgetauscht werden sollen. Es sei zudem nicht die Zeit für einen Deal, sondern Israel müsse im Gegenteil «mit voller Kraft weitermachen» und den ganzen Gazastreifen erobern.
5. Hamas erhält angeblich Garantie für Verhandlung über Kriegsende
Smotrich dürfte deshalb insbesondere über die geplante zweite und dritte Phase des Vorschlags erbost sein. In der zweiten Phase soll der Krieg endgültig beendet werden.
Die Verhandlungen über die zweite Phase würden am 16. Tag der Umsetzung des Abkommens beginnen, berichtete CNN. Die Hamas habe ein wichtiges Zugeständnis gemacht, indem sie mündliche Garantien der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei akzeptiert, dass Israel die Verhandlungen darüber fortsetzt, erfuhr das «Wall Street Journal» aus Vermittlerkreisen.
Dabei soll es laut israelischen Medien auch um den Abzug der Armee aus ganz Gaza gehen. Die dritte Phase soll schliesslich einen Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Gazastreifens und eine alternative Regierung ohne Beteiligung der Hamas vorsehen.
6. Einfluss der US-Präsidenten
Hoffnungen auf eine abschliessende Einigung über eine Waffenruhe haben sich bei den zähen Verhandlungen bisher immer wieder zerschlagen. Doch nun zeige der «Trump-Effekt» Wirkung, zitierte das «Wall Street Journal» einen israelischen Beamten.
Der designierte US-Präsident hatte in der vergangenen Woche gesagt, wenn die Geiseln nicht bis zu seiner Amtseinführung am 20. Januar frei seien, werde im Nahen Osten «die Hölle losbrechen, und das wird nicht gut für die Hamas sein, und es wird – offen gesagt – für niemanden gut sein».
Bidens Sicherheitsberater Sullivan stellte die Verdienste seines Chefs in den Vordergrund. Er erklärte, über die Hamas breche faktisch schon «seit 14 Monaten» die Hölle herein. Er warf die Frage auf, was es konkret bedeute, den militärischen Druck auf die Hamas noch weiter zu erhöhen. «Die Israelis haben ihre militärischen Strukturen zerschlagen, ihre oberste Führung ausgeschaltet und ihre militärischen Fähigkeiten in erheblichem Umfang zerstört», sagte Sullivan.
7. Hamas baut sich angeblich bereits wieder auf
Nach Informationen des «Wall Street Journal» soll jedoch Mohammed al-Sinwar bereits dabei sein, die Hamas in Gaza wieder aufzubauen. Er ist der jüngere Bruder des am 16. Oktober von Israels Armee getöteten Hamas-Chefs in Gaza, Jihia al-Sinwar.
Der Krieg habe eine neue Generation von willigen Kämpfern hervorgebracht und den Gazastreifen mit nicht explodierten Sprengkörpern übersät, die zu improvisierten Bomben umgebaut werden könnten, hiess es in dem Bericht.
Die Hamas stelle sich unter Führung Mohammed Sinwars schneller wieder auf, als Israels Armee sie Stück für Stück auslösche, sagte Amir Avivi, ein pensionierter israelischer Brigadegeneral, der US-Zeitung. «Wir arbeiten hart daran, ihn zu finden», wurde ein ranghoher Vertreter des israelischen Einsatzkommandos in Gaza zitiert.