Die «Hündeler» laufen Sturm: Rottweiler-Verbot im Kanton Zürich wird zur Gerichtssache
Seit dem 1. Januar dürfen im Kanton Zürich keine Rottweiler mehr angeschafft oder verkauft werden. Auslöser waren zwei schwerere Hundeangriffe auf Kinder. Hundefreunde können mit der neuen Regelung nichts anfangen; die Massnahme sei masslos übertrieben, es brauche andere Ansätze.
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Ende Oktober 2024 wurden in Adlikon bei Regensdorf ein Geschwisterpaar, ein fünfjähriger Bube und ein siebenjähriges Mädchen, von einem einjährigen, entwichenen Rottweiler schwer, sowie drei Erwachsene, darunter eine Polizistin, leicht verletzt; das importierte Tier, erst seit einem Tag in der Schweiz, wurde daraufhin, mit Einwilligung der Halterin, eingeschläfert. Wenige Wochen später, Anfang Dezember, trug ein Fünfjähriger schwere Kopfverletzungen davon, als er im Winterthurer Quartier Reutlingen von einem 18 Monate alten, an der Leine geführten Rottweiler-Rüden angegriffen wurde.
Veterinäramt verlangt Antrag auf Haltebewilligung
Die Behördenreaktion folgte auf dem Fusse: Seit Jahresbeginn gilt im Kanton Zürich ein Anschaffungsverbot für Rottweiler. Der Zürcher Regierungsrat hatte den Beschluss am 18. Dezember 2024, also kurz nach den beiden Rottweiler-Angriffen, getroffen. Zürcherinnen und Zürcher, die sich noch vor dem Jahreswechsel einen Rottweiler beziehungsweise einen Hund mit einem Rottweiler-Mischlingsanteil von 10 Prozent aufwärts beschafft haben oder seit Längerem ein solches Tier halten, sind mit Inkrafttreten der neuen Regelung verpflichtet, beim Veterinäramt eine Haltebewilligung zu beantragen und ihren Hund innerhalb von sechs Monaten einer Wesensprüfung zu unterziehen, um das Gefährdungspotenzial abschätzen zu können.
Je nach Fall werden bei einer Haltebewilligung Auflagen fällig: Der Kanton nennt als Beispiele den Einsatz eines Maulkorbs, eine Leinenpflicht oder weiterführende Ausbildungskurse. Für auswärtige Hundehalter, die mit ihrem Rottweiler den Kanton Zürich betreten, gilt seit dem 1. Januar eine generelle Leinen- und Maulkorbpflicht.
Zehn Beschwerden in zehn Tagen
Die neue Regelung stösst bei Hundefreunden auf Widerstand: Gemäss Medienberichten, darunter auf dem Portal «Watson», waren bis Ende 2024 beim Zürcher Verwaltungsgericht, das den Beschluss des Regierungsrats aufheben könnte, bereits mehrere Klagen gegen das Rottweiler-Neuanschaffungsverbot eingegangen; auf Anfrage nennt das Verwaltungsgericht zehn Beschwerden innert der verkürzten Frist von zehn Tagen. Die Replik des Regierungsrats steht noch aus.
Eine erfahrene Rottweiler- und Hundehalterin aus dem Zürcher Norden, die nicht namentlich genannt werden möchte, führt aus: «Das Problem wird aufgebauscht. In der Schweiz wurden zuletzt gegen 20'000 Personen im Strassenverkehr verletzt, jährlich werden gegen 7000 Reitunfälle verzeichnet. Kein Mensch schreit nach einem Verbot von Autos oder Pferden.» Rottweiler seien sehr loyal und freundlich. «Das neue Verbot ist eine Frechheit. Alle meine Hunde, die ich bislang hatte, mussten bereits eine Wesensprüfung durchlaufen, auch die Rottweiler.»
Rolf Zimmerli aus Flaach hält seit 30 Jahren Rottweiler, aktuell ein Exemplar. «Jeder Angriff eines Hundes auf Menschen ist eine Katastrophe.» Zimmerli stört sich an der medialen Diskussion zum Thema: «Die Kommentarspalten sind haarsträubend. Vernünftige oder neutrale Beiträge sind sehr selten.» Schlechtes Hundeverhalten sei keine Frage der Grösse, sondern der Erziehung und des sozialen Umfelds. Das Vorgehen des Regierungsrats hält Zimmerli für «Pfläschterlipolitik». «Im Kanton Zürich gilt ein Welpen-Erziehungskurs, bei schwereren Hunden ein Junghundekurs. Das soll jetzt wieder abgeschafft werden. Gleichzeitig Hunde auf eine Liste zu setzen, erscheint mir unsinnig. Es bräuchte Kurse, bevor sich Menschen Hunde anschaffen. Schliesslich ist das eine Verpflichtung für zehn Jahre und länger.»
«Viele Hundehalter treibt die Frage um, ob sie ihren Hund behalten dürfen, abgeben oder gar einschläfern müssen.»
Wie Jutta Lang, die Kommunikationsverantwortliche des Veterinäramts, anführt, seien auch die Reaktionen beim Kanton in den ersten Tagen nach Bekanntgabe der neuen Regelung «intensiv» ausgefallen. «Viele Hundehalter treibt die Frage um, ob sie ihren Hund behalten dürfen, abgeben oder gar einschläfern müssen.»
Petition mit über 13'500 Unterschriften übergeben
Bereits am 19. Dezember, am Tag der öffentlichen Mitteilung zum Regierungsratsbeschluss, startete das Oetwiler Hundezentrum Ammann von Stefanie Ammann die Petition «Für die Aufhebung des pauschalen Rottweiler-Verbots im Kanton Zürich», die mittlerweile beendet ist und sich für strengere Halterbewilligungen und obligatorische Hundeerziehungskurse einsetzt (aktuell sind kleinere Hunde von den Kursen befreit – im Verlauf dieses Jahres soll diese Vorgabe im Kanton wieder für alle Hunderassen gelten). Etwas über 13'500 Unterschriften sind dabei zusammengekommen. Am 9. Januar wurden die Unterschriften von Ammann und der Gruppe Rottweiler Zürich einem Regierungssprecher übergeben. Auch das Petitionsteam hat Beschwerde eingelegt.
«Die beiden Vorfälle im vergangenen Jahr können nicht schöngeredet werden. Gleichwohl kann es nicht sein, eine einzelne Rasse zu stigmatisieren.»
«Es geht nicht an, ein pauschales Verbot auszusprechen», sagt Ammann, die auch Hundehalter ausbildet. «Die beiden Vorfälle im vergangenen Jahr können nicht schöngeredet werden. Gleichwohl kann es nicht sein, eine einzelne Rasse zu stigmatisieren.»
Bis 2016 galt das Absolvieren des Sachkundenachweises (SKN) für Hundehalter als obligatorisch. «Eine artgerechte Haltung, Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung sind das A und O bei jedem Hund», fügt Ammann an. Sie hält acht gerettete Hunde aus zweiter oder dritter Hand, darunter einen Rottweiler-Mischling. «Ich frage mich auch», sagt Ammann, «wie man bei solchen Tieren den Rottweiler-Anteil nachweisen will. Gentests sind zwar erlaubt, aber nicht offiziell anerkannt.»
Ammann plädiert für mehr Recherche. Insbesondere während der Pandemie sei die Nachfrage nach Hunden enorm gestiegen, welche die Schweizer Züchter nicht mehr befriedigen konnten. «So bestellt man sich schnell einmal einen Hund im Ausland. Gerade nach Corona sind sehr viele Hunde in Tierheimen gelandet, trotzdem sind Hunde aus Bulgarien oder Rumänien weiterhin stark im Trend.»
Nebst der Aufhebung der Rassenliste fordert Ammann ein einheitliches Konzept für und regelmässigere Kontrollen von Hundeschulen. «Es braucht ein schweizweites Hundegesetz, und nicht einzelne für jeden Kanton.»
«Ein Verbot der Rasse löst das Problem nicht»
Der Eglisauer Walter Horn, Präsident des Schweizer Rottweilerhunde-Clubs SRC, gab gegenüber «Watson» zu Protokoll, der Zürcher Entscheid basiere auf keiner wissenschaftlichen Grundlage; er verweist auf den St. Galler Kantonstierarzt Albert Fritsche, welcher dem SRF erklärte: «Es gibt keinen klaren Nachweis, dass die Rasse nachweislich für die Gefährlichkeit entscheidend ist.» Zudem sei der Aufwand gross und in Kantonen mit entsprechenden Bestimmungen, sprich Verboten (nebst Zürich noch Freiburg, Genf und Wallis), die Statistik nicht besser.
«Es gibt keinen klaren Nachweis, dass die Rasse nachweislich für die Gefährlichkeit entscheidend ist.»
Das spiegelt die nationale Einschätzung wieder. In einem SRF-Beitrag am Tage des tödlichen Pitbullangriffs von Oberglatt 2005 liess sich der damalige und heutige Direktor des Bundesamts für Veterinärwesen, Hans Wyss, ähnlich zitieren: «Ein Verbot der Rasse löst das Problem nicht. Das Problem ist primär der Besitzer, der mit solchen Tieren einfach völlig unverantwortlich umgeht.»
Horn, aufgewachsen in Schaffhausen, gehört zu den Beschwerdeführern, sowohl privat als auch im Namen des Vereins, Letzteres zusammen mit dem Zürcher Hundeverband: «Mittlerweile bin ich bei meinem zehnten Rottweiler angelangt, ich halte immer zwei gleichzeitig. Das ist ein faszinierendes, sehr soziales Tier, ein Kulturgut. Meine Hunde sind oder waren im Haushalt regelmässig mit meinen drei Kindern und acht Enkelkindern zusammen. Bislang gab es noch kein einziges Problem, keine Gefährdung. Sowohl Mensch wie auch Hund müssen wissen, wie man miteinander umgeht. Dann klappt das auch.»
«Wer sich im Ausland einen Hund besorgt, muss dessen Vorgeschichte kennen.»
Rottweiler seien nicht gefährlicher als andere Gebrauchshunde, selbst die Polizei vertraue auf Rottweiler. Italien und die Niederlande hätten Hundelisten bereits wieder abgeschafft, ebenso drei deutsche Bundesländer. «Diese Listen wurden einst für die sogenannten ‹Kampfhunde›, Hunde, die für den Kampf gezüchtet wurden, erstellt. Der Rottweiler ist ein Herdenhund und gehörte noch nie in diese Kategorie.»
Der Vorfall in Adlikon sei ein besonderes Negativbeispiel, sagt Horn: «Die Leute waren sich einfach nicht bewusst, was sie sich da angeschafft hatten. Wer sich im Ausland, wie hier in Deutschland, einen Hund besorgt, muss dessen Vorgeschichte kennen. Es würde auch mich sehr interessieren, woher genau jener Rottweiler kam und wie er gehalten wurde.» Über den Fall in Winterthur wisse man heute noch zu wenig, da zwischen den Parteien angeblich Stillschweigen vereinbart worden sei.
Angst vor Hundeverlust unbegründet
Die SRC-Mitglieder trieben nun gleich mehrere Fragen um, sagt Horn, das Verbot bringe einen Freiheitsverlust mit sich, viele rechtliche Folgen seien noch unklar: «Zum Beispiel ist es im Kanton Zürich verboten, in Mietwohnungen Listenhunde zu halten. Wird Rottweiler-Haltern nun das Mietverhältnis gekündigt?» Eine zukünftige Haltebewilligung koste schnell einmal 1000 Franken und mehr. Zudem dürfen Züchter im Kanton seit Jahresbeginn vorerst keine Welpen mehr verkaufen. «Pro Jahr sind das 40 Jungtiere. Zuletzt wurden 150 neue Rottweiler angemeldet. Der grösste Teil der Zürcher Rottweiler stammt nicht aus dem Kanton, sondern aus dem Ausland.»
Mit der Wesensbeurteilung kann ich leben. Es geht im Endeffekt darum, ob es eine Maulkorb- und/oder Leinenpflicht braucht.»
Hingegen sei die Angst, das Amt nehme einem den Hund weg, unbegründet; weder die Regierung noch der Kantonstierarzt hätten sich dementsprechend geäussert. «Mit der Wesensbeurteilung kann ich leben», fügt Horn an, «es geht im Endeffekt darum, ob es eine Maulkorb- und/oder Leinenpflicht braucht.»
Sollte das Verbot Bestand haben, plant Stefanie Ammann in der Arbeitsgruppe «Gemeinsam sind wir stark», mit Hundeschulen, Verhaltensforschern, Tierärzten, Wesensrichtern und Ausbildnern, kostenlose Vorbereitungskurse für Rottweiler-Halter anzubieten.
Die derzeit geltende Lösung passe nicht zum Problem, beanstandet Walter Horn, auch die Diensthundebehörden seien über die neue Regelung nicht erfreut. «Andere Kantone, wie der Aargau, Basel-Landschaft oder das Tessin, machen das besser. Dort werden Halter zum Besuch von Orientierungskursen verpflichtet.»
Die Stellungnahme der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG) sei klar: Es brauche wissenschaftlich abgesicherte Massnahmen, um das Risiko von Beissunfällen zu reduzieren, unabhängig von der Hundereasse. Das entspreche der Haltung aller tierärztlichen Organisationen. «Wir wünschen uns mehr Dialog und eine nationale Lösung, wie einst mit dem SKN. Der heute bestehende kantonale Flickenteppich ist nicht zielführend.»