Sie hat ein zersägtes Bänkli zu Hause: «Ich wünschte mir, es kämen auch Leute, die das komplett daneben finden»

Fabienne Jacomet | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Zu Besuch zu Hause bei Katharina Manz Schulthess die eines der zersᅢᄂgten Bᅢᄂnkli bei sich im Wohnzimmer hat und Besuch empfᅢᄂngt, im Bild links Anita Meier im Gesprᅢᄂch mit Katharina Manz Schulthess, am Mittwoch, 2
Katharina Manz Schulthess (l) mit Anita Meier. Bild: Melanie Duchene

Gefühlt die ganze Stadt empört sich über die zersägten Bänkli der Brüder Riklin. Aber es gibt auch positive Stimmen. Eine davon ist Katharina Manz Schulthess. Sie hat ein Bänkli in ihrem Wohnzimmer. Ein Besuch.

«Ich lade sehr gern alli Mötzlis ii», sagt Katharina Manz Schulthess. «Die wos guet finded, die wos blöd finded – es sind alli herzlich willkomme.» Willkommen, auf dem zersägten gelben Bänkli, das seit zwei Wochen in ihrer Wohnung steht, Platz zu nehmen und zu plaudern. Kaffee gibt es auch. Als die SN vorbeischauen, ist das Bänkli aber schon voll. So voll, dass Manz Schulthess passend gelbe Gartenstühle dazustellen muss. Roland Weber und Käthi Weber Strub sitzen auf der Bank, Anita Meier hat sich auf einen der Stühle gesetzt.

Das «Soziale Kunstprojekt» der Riklin-Brüder hat in der Stadt einiges ausgelöst, vor allem negative Reaktionen. Finanzreferent Daniel Preisig sagte nach den Kantonsratswahlen – bei denen er auffällig oft von der SVP-Liste gestrichen wurde –, das Bänkli-Zersägen habe ihm wohl nicht geholfen.

Sitztest bestanden

Flächendeckende Empörung? Nicht ganz. Manz Schulthess war von Anfang an überzeugt. «Ich finde Aktionskunst immer spannend und manchmal ist sie auch befreit von jedem Sinn und Zweck, das find ich genau auch gut.» Beim «Sozialen Kunstprojekt» handle es sich aber um eine super Idee, Gesprächsmöglichkeiten zu schaffen. Also bestellte sie sich ein Bänkli, das die beiden Riklin-Brüder persönlich zu Fuss mit einem Leiterwagen vorbeibrachten – die Breite hoch bis an die Randenstrasse 176B. «Am Schluss sassen sie dann selbst darauf und haben ein Bier getrunken.»

Sie habe anfangs etwas Mühe damit gehabt, dass man Bänkli einfach kaputtmache, sagt Käthi Weber Strub. Sie blickt zu ihrem Mann. «Aber die Idee begeistert uns, seit wir hier sitzen.» Beide lachen. Dass sie überhaupt hier sind, liegt an einem Leserbrief, den Manz Schulthess verfasst hat. Darin erklärt sie die Vorzüge des Projekts. «Ich habe online nachgeschaut, wo Katharina wohnt und festgestellt, das ist gleich vis à vis. Dann hab ich angerufen und gefragt, ob wir vorbeischauen können», so Weber Strub. Und ist es bequem? «Ja, ich staune, ich bin sonst eigentlich eher empfindlich.» Aber sie müsse dann noch Probesitzen auf dem Walther-Bringolf-Platz, um den Eindruck zu bestätigen.

«Das Projekt ist doch ein voller Erfolg. Die ganze Stadt regt sich auf, das bringt viel Publizität und die Idee ist so gut.»

Anita Meier

Auch Anita Meier war begeistert von Manz Schulthess’ Leserbrief. Die beiden kannten sich bereits aus dem Pilates. Meier sah das Bänkli als eine Gelegenheit, sich wieder mal zu treffen. Aber Sie würde auch noch weiteren Leuten einen Besuch abstatten. «Das Projekt ist doch ein voller Erfolg. Die ganze Stadt regt sich auf, das bringt viel Publizität und die Idee ist so gut», so Meier. Schliesslich gebe es immer mehr einsame Menschen. «Es ist unglaublich wichtig, dass man miteinander in Kontakt kommt. Diese Bänkli können ein Anstoss sein, auch wenn es etwas Überwindung braucht, einfach irgendwo zu klingeln.»

Der Leserbrief hat also massgeblich dazu beigetragen, dass heute so viele Leute da sitzen. Und hier kommt der einzige Kritikpunkt, den Manz Schulthess am Projekt anzubringen hat: «Der Weg zu den Leuten, die ein solches Bänkli bei sich haben, ist relativ schwierig. Gerade für Menschen, die noch analog unterwegs sind.» Auf dem Walther-Bringolf-Platz gibt es QR-Codes, die zur entsprechenden Website führen.

So finden Sie die Bänkli

Die Liste der Orte, an denen die Bänkli stehen, finden Sie hier. Stand 30. September sind drei Standorte gelistet:

Katharina Manz Schulthess
Randenstrasse 176B
Zeitfenster: 16.9–2.10.2024​
Montag, Dienstag, Mittwoch,jeweils von 9–11 Uhr 

Irina Zehnder
Ringkengässchen 11
Zeitfenster: 25.9.–9.10.2024​
Mittwoch, jeweils von 13–15 Uhr

Andreas Flubacher
Rheinweg 27
Zeitfenster: 27.9.–30.10.24​
Dienstag, jeweils von 19.30–23 Uhr

Meier hatte sich kurzfristig überlegt, selbst ein Bänkli zu bestellen, traute sich aber nicht wegen der anderen Leute im selben Haus. «Also ich habe niemanden gefragt, das käme mir nicht im Traum in den Sinn», antwortet Manz Schulthess und lacht. Ihre Vermieter seien sogar selbst schon vorbeigekommen und hätten auf dem Bänkli Platz genommen.

Zu Besuch zu Hause bei Katharina Manz Schulthess die eines der zersᅢᄂgten Bᅢᄂnkli bei sich im Wohnzimmer hat und Besuch empfᅢᄂngt, im Bild Roland Weber und Kᅢᄂthi Weber Strub zu Besuch, am Mittwoch, 25. September 20
Roland Weber und Käthi Weber Strub waren am Anfang skeptisch, mittlerweile sind sie von der Idee der Bänkli überzeugt. Bild: Melanie Duchene

Mit allen Gästen habe sie gute Gespräche gehabt. Auch heute unterhält man sich über diverse Themen. Von Museumsausflügen mit einem Alzheimergrüppchen bis hin zur Aktionskunst von Roman Signer in Andelfingen – einem Gummihandschuh in einem Bach – und der Frage: Ist das … Kunst? Braucht es das? «Ohne sich wiederum überhaupt diese Frage zu stellen, hat man in Schaffhausen die Halle für neue Kunst aufgegeben, einfach weils zu teuer war», sagt Manz Schulthess. «Katastrophe, das regt mich heute noch auf», erwidert Meier. Kunst verbindet alle Anwesenden.

Die Jungen fehlen noch

Meier kam 1965 nach Schaffhausen, lernte ihren Mann kennen, der die Fassgenossenschaft gegründet hat. Sie fand schnell Anschluss, erlebte, wie sich ein Förderverein für die Kammgarn einsetzen musste. «Also, wenn ich an früher zurückdenke – entschuldigung, jetzt werde ich wieder politisch. Schaffhausen ist ein konservativer Kanton geworden, geprägt vom Land. Früher waren wir offener», so Meier verärgert. «Aber dank diesen Bänkli habe ich wieder Leute aus meiner Generation kennengelernt, die so denken wie ich. Und ich wünsche mir, die Menschen würden wieder offener.»

«Ich konnte Menschen kennenlernen, die ich auch zukünftig wiedersehen werde.»

Katharina Manz Schulthess hat ein Bänkli bei sich in der Wohnung

Auch offener gegenüber solchen Projekten. Manz Schulthess: «Ich würde mir wünschen, dass auch Leute kommen, die das Bänkli-Projekt komplett daneben finden.» Sie könnten gern Platz nehmen und «ihren Chropf leere und weiss de Gugger was über diä Bänkli säge». Ebenfalls fehle es noch an jüngeren Leuten. Es liege wohl daran, dass diese sich anders informieren und gar nicht wüssten, dass es die Aktion gibt. Aber auch Jüngere wären sehr willkommen, sagt sie. Zudem hofft Manz Schulthess, dass auch der ein oder andere Stadtrat noch auf den Bänkli Platz nimmt. «Das muss auch nicht unbedingt bei mir zu Hause sein, aber es wäre ein Zeichen.»

Ein persönlicher Erfolg

Noch bis am Mittwoch steht das Bänkli bei Manz Schulthess und für sie hat es sich gelohnt. «Es hat sicher keine nachhaltige Wirkung auf die gesamte Stadt, aber für mich. Ich konnte Menschen kennenlernen, die ich auch zukünftig wiedersehen werde. Euch komme ich sicher mal besuchen, ich muss eure Bilder anschauen», sagt sie zu Roland und Käthi Weber Strub. Die beiden nicken. Und würden sie noch jemand anders besuchen?

«Ja, aber jetzt müssen wir erst mal nach Hause zu unserem Hund», sagt Weber Strub. Beendet man so also das Bänkli-Gespräch? Man könne es auch folgendermassen machen, sagt ihr Ehemann: «Gibt es noch Fragen? Der Redner muss auf den Zug.» Und schon sind sie weg und das Bänkli ist bereit für die nächsten Gäste.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren