Hier sind Konflikte vorprogrammiert
Am Schaffhauser Rheinquai müssen sich Velofahrer und Fussgänger dieselbe enge Verkehrsfläche teilen. Heikle Situationen lassen sich dabei kaum vermeiden. Das Beispiel zeigt, wie die Ansprüche der Verkehrsteilnehmer immer weiter auseinanderklaffen.
Judith Rüeger findet es «sehr unglücklich gelöst», dass die Radfahrer beim Güterhof entlang des Rheins fahren müssen. «Sie könnten auch auf der Strasse fahren, das mache ich auch», sagt sie. Die Ausweichstrecke sei nur rund 200 Meter lang.
Andreas Mutterer ist mit seiner Familie (auf dem Bild mit Tochter Ronja) am Rheinquai ohne Probleme vorwärtsgekommen. «Man nimmt Rücksicht aufeinander», sagt er. Generell befänden sich die Velowege hierzulande in gutem Zustand. «Es ist alles vorbildlich ausgeschildert», findet Mutterer.
Karin Christinat hat entlang der Schifflände schon die eine oder andere unangenehme Situation mit Fahrrädern erlebt. «Das ist ein Erholungsgebiet, da müssen die Velofahrer nicht auch noch durchfahren», sagt sie. «Und wer dennoch den Rhein entlang möchte, soll sein Rad schieben.»
Senioren klammern sich an ihre Rollatoren. Ganz geheuer wird ihnen die Situation nicht sein. An ihnen zischen drei ältere Personen auf E-Bikes vorbei. Ein Rennradfahrer macht noch schnell ein Handyfoto. Dabei wackelt er etwas, hält sich aber in seinen Klickpedalen. Junge Erwachsene, die meisten mit einem Eis oder einer Pizzaschachtel in der Hand, schlendern zwischen Rollatoren und Velos. Ein sonniger Tag an der Schifflände beim Güterhof.
Hier kommen Leute aus ganz Europa zusammen. Jährlich spült die Rheinroute von Schweizmobil rund 120 000 Fahrradtouristen durch Schaffhausen – und damit auch durch das Nadelöhr vor dem Güterhof. Und ein paar Meter flussabwärts, beim Freien Platz, beginnt die wohl beliebteste Flaniermeile entlang des Rheins. Die vielen Pizzakartons zeugen davon.
Unter Passanten werden denn auch immer wieder Stimmen laut, die überhaupt nicht zufrieden sind mit der Situation an der Schifflände und vor dem Güterhof. Die Verkehrsführung sei so chaotisch wie unverständlich, wird geklagt. Die Lohnemerin Karin Christinat etwa, die dort regelmässig spazieren geht, klagt: «Das ist ein Erholungsgebiet, da müssen die Velofahrer nicht auch noch durchfahren.»
«Es bleibt beim Erschrecken»
Dennoch ist für Peter Eberlin, Abteilungsleiter Planung und Verkehr des kantonalen Tiefbauamts, der Engpass beim Güterhof kein Problem: Zu Unfällen komme es dort eigentlich nie, beteuert er. «Man muss zwischen subjektiver und der objektiver Gefährdung unterscheiden», sagt er. «Es gibt bestimmt die eine oder andere Situation, in der sich ein Fussgänger erschreckt, wenn ein Fahrrad vorbeifährt. Es bleibt dann aber auch beim Erschrecken.» Und für einen Touristen sei es ohnehin kein Problem, dort durchzufahren: «Im Gegensatz zum Pendler sucht er nicht die direkte Linie, sondern schöne Eindrücke.»
Auf der Fischerhäuserstrasse, die hinter dem Güterhof verläuft, finden sich keine Fotosujets für Touristen. Die Kantonsstrasse ist dort ziemlich eng. Als Velofahrer meidet man sie lieber. Damit zeigt sich, was das Hauptproblem der Verkehrsplanung in der Stadt ist: Die Platzverhältnisse sind beschränkt, und es treffen die Interessen mehrerer Nutzergruppen aufeinander. Beim Güterhof sind es allein bei den Velofahrern deren drei: Touristenfahrer, Alltagsfahrer und Sportler. «Und alle drei haben unterschiedliche Ansprüche», sagt Eberlin.
«Man muss zwischen subjektiver und objektiver Gefährdung unterscheiden.»
Peter Eberlin, Abteilungsleiter Planung und Verkehr
«Die Situation spitzt sich zu»
Amtlich wird Veloverkehr unter dem Begriff Langsamverkehr zusammengefasst. In diese Kategorie fallen auch Fussgänger. Das bewegt Klaus Zweibrücken, Professor für Raumplanung an der Hochschule für Technik Rapperswil, zu folgender Aussage: «Der Langsamverkehr ist ein misslungener Begriff. Radfahrer und Fussgänger kann man nicht mischen.» Der Eindruck des Experten: «Es gibt zu viele solcher Mischflächen. Die Situation spitzt sich zu.»
Dort, wo die Belastung der Infrastruktur am grössten sei, tobe der Kampf um die Verkehrsflächen am stärksten, sagt Zweibrücken. Das seien etwa Bahnhofsareale. Das trifft auch auf Schaffhausen zu, wo sich im Auftrag des städtischen Tiefbauamts ein externes Ingenieurbüro dieser Problematik annimmt. Tina Nodari, Stabsleiterin des Baureferats der Stadt Schaffhausen, sagt: «Die Frage ist, ob es Möglichkeiten gibt, die Bahnhofstrasse besser zu organisieren und aufzuwerten.» Die beschränkte Fläche wird von Taxifahrern, privaten Autos, Anlieferungen, dem ÖV, Fahrrädern und Fussgängern genutzt. «Diese einzelnen Nutzungsansprüche gilt es zu klären», so Nodari. Bereits auch eine Rolle spielen die Ladestationen der neuen Elektrostadtbusse, die angeschafft werden sollen.
Amtsleiter Eberlin sagt: «Der ÖV ist ein anspruchsvoller Verkehrsteilnehmer.» Die Verkehrsbetriebe würden auch in jede Baustellenplanung miteinbezogen. Der Hauptanspruch des ÖV sei dabei, den Fahrplan einzuhalten.
«Das Auto wird bevorzugt»
Die Mobilitätsstatistik des Bundes hat denn auch gezeigt, dass der ÖV weiter zunimmt und gegenüber dem Auto aufholt. Und für Zweibrücken ist das Auto in der Stadt kein optimales Verkehrsmittel: «Dafür, dass statistisch gesehen gerade etwa eine Person pro Fahrzeug transportiert wird, braucht es zu viel Platz.» Dennoch bevorzuge die Flächenaufteilung im Verkehr das Auto klar. Darum liege die Herausforderung verkehrsplanerisch aktuell darin, die Flächen gerechter zu verteilen.
Diese Umverteilung hat man im Kanton bei der Beringer Ortsdurchfahrt auf eine neue Weise gelöst: Die Strasse wurde verengt und der Radstreifen entfernt. Was auf den ersten Blick paradox erscheine, mache Sinn, so Eberlin. «Zu breite Strassen führen dazu, dass zu schnell gefahren wird.» Dabei sei Geschwindigkeit ein wichtiger Sicherheitsfaktor. «Wenn man langsamer unterwegs ist, steigt die Sicherheit: Die Reaktions- und die Bremswege sind kürzer.» Zweibrücken sagt, gemeinhin würden Umverteilungen zulasten des motorisierten Individualverkehrs gehen. «Damit das gelingt, braucht es aber einen politischen Willen», betont er.
«Der politische Wille fehlt»
Dass die Frage der Gewichtung eine politische ist, bestätigt Stadtplaner Jens Andersen. «Planerisch kann an und für sich alles gelöst werden», sagt er. Politisch gibt es derweil bereits Bekenntnisse: Im Agglomerationsprogramm ist die Förderung des Langsamverkehrs als Ziel festgehalten.
Laut ProVelo Schaffhausen hapert es aber an der Umsetzung. Geschäftsführer Simon Furter sagt: «Zurzeit fehlt der politische Wille, das Velo zu stärken.» Furter fordert, dass das Velo als gleichberechtigter Verkehrsträger zu Auto und Bus behandelt wird. «Wenn man im Verkehr einen Paradigmenwechsel will, muss man diese Gleichberechtigung von der ersten Minute der Planung an sicherstellen», betont er.
Das war beim Radweg entlang des Rheins wohl nicht der Fall. Gleichwohl sagt Furter: «Das ist ein touristischer Radweg. Die Fischerhäuserstrasse ist keine Alternative.» Als vernünftiger Velofahrer könne man sich gut mit den Fussgängern arrangieren. Nur wenn es sehr viele Leute am Rheinquai habe, fahre auch er zur Not halt mal die Fischerhäuserstrasse entlang. Passiert sei noch nie etwas. «Sehr gefährlich ist es dort ja nicht, nur eng», sagt Furter.