«Der Kampf David gegen Goliath ist vorbei»

Alfred Wüger | 
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Das «dolder2», die KultUhrBeiz im Zentrum von Feuerthalen, schliesst am letzten Tag des Jahres. Der Chef, Tom Albatros Luley, zieht Bilanz und blickt in die Zukunft.

Die Tage der KultUhrBeiz «dolder2» in Feuerthalen sind gezählt. Es gibt zwar noch Veranstaltungen, und am 31. Dezember wird auch noch einmal eine Silvesterparty gefeiert, aber dann, am 3. Januar 2017 um 16 Uhr muss der legendäre Betreiber des «dolder2», Tom Albatros Luley, dem Besitzer der Liegenschaft den Schlüssel übergeben.

Mit der Schliessung des «dolder2» geht eine Ära zu Ende, denn knapp 20 Jahre lang hat Tom Luley seine Kulturnische betrieben und dafür 2010 sogar den Contempo-Förderpreis erhalten. Gut in Erinnerung geblieben sind die Worte, die der damalige Stadtpräsident von Schaffhausen, Thomas Feurer, in seiner Laudatio äusserte: «Du betreibst auf der anderen Seite des Rheins ein Kulturzen­trum wie die Kammgarn in Schaffhausen, einfach zehnmal kleiner.»

Tom Albatros Luley sagt denn auch auf die Frage, wie er sich jetzt fühle: «Es ist ein Wechselbad zwischen tiefstem Herzschmerz, Wehmut und dem ‹Juhuu, alles wird neu›.» Im Lokal selbst ist die Abbruch- oder Aufbruchstimmung mit den Händen zu greifen. Überall stehen Kisten herum, Bilder sind schon abgehängt, und auf der Bühne steht das Klavier mit abgenommenem Deckel – nichts lässt darauf schliessen, dass am Abend noch einmal ein Konzert, eines der letzten, stattfindet, und Tom Luley saust herum, trägt in Windeseile Kartons hinaus, ehe er dann ruhiger wird, sich die Zeit fürs Gespräch nimmt und sich vor das im Cheminée lodernde Feuer setzt.

Nein, er habe keine konkreten Pläne für die Zukunft, sagt er. «Es ist noch alles offen. Es kann sein, dass ich mich ganz neu orientiere oder dass ich ein neues Lokal finde, sei es in Schaffhausen oder anderswo auf der Welt.» Jedenfalls hat er einen Lagerraum gemietet, um für einen allfälligen Neustart die unverzichtbaren, ja die geradezu identitätsstiftenden Teile des sehr speziellen, sammelsuriumartig zusammengewürfelten Interieurs des «dolder2» über die Zeit zu retten und zwischenzulagern. «Ich nehme nur das mit», sagt Tom und nippt am Bier, «was mir besonders lieb ist.» Die Uhr, mit Flügeln auf jeder Seite, die seit je die gesamte Wand hinter der Bühne einnimmt und dank der jedes Konzertbild aus dem «dolder2», das je in der Zeitung erschien, mit Nuancen, versteht sich, gleich aussah, gehört selbstverständlich zum Unverzichtbaren. «Das ist die weltgrösste Beizenuhr», sagt Tom Luley. «Dafür müsste mir jemand schon sehr viel Geld anbieten, dass ich da über meinen Schatten springen könnte», sagt der KultUhrBeizer. Woher dieses Ungetüm denn stamme? Es gebe zwei Überlieferungen – dass es Tom Luley nicht genau weiss, liegt daran, dass die Uhr schon da war, als er die Beiz übernahm –, einmal die, dass die Uhr aus dem Pariser Bahnhof Gare du Nord nach Feuerthalen gekommen sei. «Die zweite Geschichte ist, dass sie einst im alten Kontrollturm des Flughafens Kloten hing.» Wie auch immer: Es handle sich dabei um ein praktisch unverwüstliches Türler-Werk. «Es ist eine sehr zuverlässige Uhr, ein Symbol für die Zeitlosigkeit. Der Zeiger springt im Minutentakt, aber ich kann ihn auch im Sekundentakt springen lassen, etwa um die Uhr von der Winter- auf die Sommerzeit umzustellen.»

Dass Tom Luley letzten Endes nicht freiwillig das Feld räumt, ist bekannt und soll hier lediglich der Vollständigkeit halber noch einmal erwähnt werden. Der Besitzer der Liegenschaft will eine neue Überbauung errichten und die alten Häuser im Rank an der Zürcherstrasse 26 und 28, in denen Luley eingemietet ist, abreissen lassen. «Wir haben vieles versucht, um die Beiz zu erhalten, es war aber einfach zu wenig Rückhalt und Unterstützung da. Es bildete sich keine starke Sympathiebewegung, aus der man eine Aktionsgruppe hätte formen können.» Zwar gibt es «eine Genossenschaft in Gründung», die versuchte eine gute Million Franken aufzubringen, um die Liegenschaften zu kaufen. Zusammengekommen sind dann 200 000 Franken, immerhin, aber gereicht für eine Bankgarantie hat das nicht. «Der Kampf David gegen Goliath ist zu Ende.» Tom Luley kann eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlen. «Aber», sagt er, «es ist nun einmal so. Wir leben nicht mehr in den Zeiten von ‹Züri brännt›. Ich stelle eine gewisse Resignation fest.» Luley verweist auf einen Leserbrief im «Feuerthaler Anzeiger», der das, was er fühle, auf den Punkt bringe: «Schade um ein hübsches altes Haus, schade um einen lauschigen Garten mit uralten Bäumen, schade um eine coole Beiz mit alternativem Programm, schade, dass wieder einmal das Geld die Welt regiert.»

Vielleicht mit dem Velo um die Welt

Aber auch wenn Tom Luley das nötige Geld für den Kauf der Liegenschaft zusammengebracht hätte, wäre nicht alles so geblieben, wie es ist: «Wir hätten das Haus renoviert und hätten im Garten, der ein eigener Bauplatz ist, alters- und familiengerechte Wohnungen erstellt.» Denn mit dem Konzept, das 20 Jahre lang funktioniert habe, hätte es nicht weitergehen können. «Rein wirtschaftlich hat es zum Schluss nicht mehr rentiert.» Zu einschneidend seien die Senkung der Promillegrenze auf 0,5 sowie das Rauchverbot gewesen. «Heute wird einfach nicht mehr so viel ‹ggüügelet› wie früher.» Vor allem habe sich auch das Ausgehverhalten der Jugend völlig geändert. Kurz: «Ich höre zu einer guten Zeit auf. Es ist für mich wie damals, als ich 18 war. Alles ist offen. Vielleicht fahre ich mit dem Velo um die Welt. Rüstig bin ich ja. Ich bin erst 50.»

Konzert-Highlights Mungo Jerry, Tito and Tarantula, Tish Hinojosa und immer wieder Andy Egert

«Wir sehen uns im ‹dolder2›, in eurem zweiten Dihei.» Dieser Satz war immer wieder in den Mails zu lesen, die Tom Luley, der KultUhrBeizer, verschickte. Und dort, im «dolder2», gab es in den letzten beiden Jahrzehnten tatsächlich jede Menge Konzerte. Wer hier denn schon alles aufgetreten sei? Im Antwortmail auf diese Frage folgte postwendend eine «Auswahl», aus der hier jetzt noch einmal eine Auswahl getroffen wird: Bob Stroger, Larry Burton, Möhla und Stahli, Keith Thompson, All Because the Lady Loves, Stip und Michèle Thommen, Rudy Rotta, Mungo Jerry, Henrik Freischlader, Hendrix/Ackle, Hanery Amman, Gigi Moto, Bastian Baker, Tom Krailing, Yvonne Moore, Steve Young, Harald Haerter, Tito and Tarantula und, und, und …

Dass diese Vielfalt möglich war – und daneben gab es, früher, muss man sagen, auch Lesungen, etwa mit dem Schaffhauser Donogood-Theater –, das ist den Netzwerkerfähigkeiten von Tom Albatros Luley zu verdanken, der übrigens ausgebildeter SBB-Betriebsdisponent ist und sehr genau weiss, wie ein Unternehmen zu führen ist. «Aber es war nicht nur das», sagt er, «sondern es gab eine enorme Mundpropaganda. Die Bands wollten bei mir spielen. Oft hiess es in ihrem Tourplan: Konzert in Lausanne, Bern und Feuerthalen.»

Einige kamen nur einmal und lieferten einen unvergesslichen Auftritt ab. So etwa Mungo Jerry, der trotz grobschlächtigen Begleitmusikern alle im bis auf den letzten Platz besetzten Lokal mitriss, oder Tito and Tarantula, die derart laut spielten, dass es fast schon wehtat.

Andere kamen immer wieder, einige von ihnen mit leisen Tönen: Tish Hinojosa zum Beispiel oder das Duo Daisycutters aus dem Umland von New York. Andere wie Bob Stroger liessen einen vergessen, dass man in Feuerthalen war, man wähnte sich in einer Kaschemme in New Orleans. Und dann war da der Schweizer Blueser Andy Egert. «Er war 16-mal bei mir und wollte unbedingt auch jetzt noch einmal auftreten, bevor ich schliessen muss.»

Beliebt war ausserdem die offene Bühne, auf der jeden Donnerstag Krethi und Plethi auftreten konnte, allein oder zum Jammen mit andern, und hier haben Lokalmatadoren wie der Gitarrist Urs Vögeli, der inzwischen in die Jazzwelt ausgeflogen ist, oder der Schaffhauser Liedermacher Marco Clerc ihre Sporen abverdient.

Und wenn es bei den Konzerten mit den Bluesern und den Rockern, die sich im «dolder2» die Klinke in die Hand gaben, den Tom selbst mit der Bluesharp auf die Bühne zog, dann hatte man die Garantie, dass es wieder einmal ganz speziell gut fegte, denn den Schritt ans Mikrofon tat er beileibe nicht jedes Mal. Und einige Male hat er einer Band mit seinem Auftritt den abverheiten Gig gerettet. Viele Höhepunkte bleiben in Erinnerung, und es bleibt in Erinnerung ein Lokal, das in der Region einzigartig war.

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