Warum deutsche Unternehmen in die Schweiz flüchten – auch nach Schaffhausen
Der Singener Werkzeughersteller Wefa baut sein Werk in Thayngen aus und will seine Produktion in der Schweiz verdoppeln. Auch andere Konzerne setzen lieber auf die Schweiz als auf Deutschland. Aber Deutschland kann auch für Schweizer Unternehmen interessant sein. Ein Ortsbesuch an der Grenze.
Die Betonplatte ist gegossen, die ersten Wände sind hochgezogen, das Medieninteresse an der im Bau befindlichen Produktionshalle des deutschen Werkzeugherstellers Wefa in Thayngen ist gross. «Goodbye, Deutschland» titelt die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit», von einem «alarmierenden Trend» spricht ein deutsches TV-Wirtschaftsmagazin. Es geht um die Sorge, dass immer mehr Unternehmen aus Deutschland abwandern.
Die Sorge ist berechtigt: Deutschland landet in puncto Standortattraktivität nur noch im Mittelfeld, wie jüngst eine Umfrage des Münchner Wirtschaftsinstituts «ifo» zeigt. Äusserst attraktiv hingegen ist die Schweiz. Ihr bescheinigt auch die Chefin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Hochrhein, Katrin Klodt-Bußmann, eine zunehmende Attraktivität für deutsche Unternehmen. Aktuellstes Beispiel: Der Grosskonzern Syntegon, weltweiter Anbieter von Prozess- und Verpackungstechnik, will im kommenden Jahr seinen Firmensitz aus Baden-Württemberg nach Beringen verlagern.
Zurück nach Thayngen, versucht Joachim Maier, der zusammen mit seinem Bruder das aus Singen stammende und dort ansässige familiengeführte Unternehmen Wefa leitet, zu beschwichtigen: «Wir wandern nicht ab.» Der seit 20 Jahren bestehende Standort in Thayngen werde lediglich ausgebaut. Langfristig soll sich die Produktion dort aber verdoppeln.
Die 1972 aus der Alusuisse ausgegründete Wefa ist heute weltweit führend bei der Herstellung von sogenannten Strangpresswerkzeugen. «Solche Werkzeuge sind grob vergleichbar mit einer Kartoffelpresse, durch die anstatt Kartoffeln heisses Aluminium gepresst wird», erklärt Maier. Das so speziell geformte Aluminium wird unter anderem für die Herstellung von Wärmetauschern benötigt, die in Klimaanlagen oder in Elektroautos zur Kühlung der Batterie verbaut werden.
«Die Grenze nehme ich schon lange nicht mehr wahr.»
Mit dem Aufwind der Elektromobilität hätten Wefas Kunden, die unter anderem auch in China produzieren, vor zwei Jahren mehr Bedarf signalisiert, so Maier. Um diesen zu decken und zu vermeiden, dass chinesische Werkzeughersteller sich die Aufträge schnappen, solle nun die Produktion erweitert werden. «Auch wenn es aktuell nicht so aussieht, als ob es für die Autobranche und die E-Mobilität steil nach oben geht», räumt der Wefa-Chef ein, dennoch ist er optimistisch, dass man «auf dem richtigen Pfad» sei. Die Fertigstellung der neuen 1500 Quadratmeter grossen Produktionshalle ist im Frühjahr 2025 geplant.
Schweiz hat mehr Freihandelsabkommen als EU
Dass ausgerechnet der Schweizer Standort von Wefa in Thayngen, übrigens einer von mehreren weltweiten Standorten der Firma, ausgebaut wird, hat einen einfachen Grund: Die Schweiz hat im Gegensatz zur EU ein Handelsabkommen mit China. «Das ist ein grosser Vorteil, so sparen sich unsere Kunden die Zölle, und wir bleiben mit unseren Produkten wettbewerbsfähig.» Von Thayngen aus werde vor allem der asiatische Markt beliefert, erklärt Maier. Der Jahresumsatz des mittelständischen Unternehmens liegt bei 50 Millionen Euro, umgerechnet rund 47 Millionen Franken.
Die zunehmende Attraktivität der Schweiz für deutsche Firmen erklärt sich IHK-Chefin Klodt-Bußmann nicht nur mit den Steuererleichterungen für Unternehmen – wofür besonders der Kanton Schaffhausen bekannt ist. Sondern auch damit, dass die Schweiz 41 bilaterale Freihandelsabkommen habe und damit mehr als die EU. Zudem gelte die Verwaltung in der Schweiz als äusserst effizient und sehr viel weiter digitalisiert als in Deutschland. «Für deutsche Unternehmen bedeutet dies, dass bürokratische Prozesse, wie Unternehmensgründungen oder Genehmigungsverfahren, schnell und reibungslos ablaufen können», so Klodt-Bußmann.
Kostenunterschiede zwischen beiden Ländern geringer
Ein weiterer Punkt, der sich zugunsten der Schweiz verschoben hat, sind die Kosten: «Die Schweiz wird seit jeher als hoch entwickelter und innovativer Standort wahrgenommen, der jedoch teuer ist», sagt Oliver Rahn von der Wirtschaftsförderung in Singen. Früher seien die Kostenunterschiede allerdings grösser gewesen: Durch die in Deutschland und der EU höhere Inflation habe sich dies in den letzten Jahren angenähert. Hinzu kämen in Deutschland mittlerweile auch höhere Energiekosten durch die Energiewende.
Der Wirtschaftsförderer des Kantons Schaffhausen, Adrian Stettler, fasst die Vorteile so zusammen: «Die attraktiven Steuern, viele Talente und Fachkräfte, gute Verkehrsverbindungen – auch in den EU-Raum – sowie das wirtschaftsfreundliche Umfeld überzeugen.» Auch deutsche Unternehmen würden diese Standortvorteile für den Aufbau von substanziellen Niederlassungen nutzen. Insgesamt hat sich «Schaffhausen in den letzten 25 Jahren zu einem international attraktiven Wirtschaftsstandort entwickelt», so Stettler.
«Die Schweiz wird seit jeher als hoch entwickelter und innovativer Standort wahrgenommen, der jedoch teuer ist.»
Deutlich wird auf Nachfrage, dass die Wirtschaftsförderer beiderseits der Grenze wenig zusammenarbeiten: Der Austausch finde nur temporär zu konkreten Fragestellungen statt oder aber im Rahmen von grenzüberschreitenden Organisationen wie der Randen- oder der Hochrheinkommission, welche wirtschaftliche Themen auf ihrer Agenda haben.
Und weder die Wirtschaftsförderung im Kanton noch die in Singen und im Landkreis Konstanz erfassen systematisch Gründungen, Abwanderungen oder den Zuwachs von Firmen aus dem jeweils anderen Land. Einen Anhaltspunkt liefert das Bundesamt für Statistik: Demnach waren laut den jüngsten Zahlen, die aber aus dem Jahr 2022 sind, in Schaffhausen insgesamt 188 Unternehmen mit deutschem Sitz registriert.
Schweizer Firmen zieht es auf deutsche Seite
Dass aber auch Deutschland für Schweizer Firmen attraktiv sein kann, wird nur wenige hundert Meter von der Thaynger Wefa-Zentrale deutlich. Im Bietinger Gewerbegebiet «Schweizer Tor» stehen seit Sommer neue Gewerberäume der Firma Greenplaces. 13 der 42 zur Vermietung oder zum Verkauf stehenden Einheiten seien bereits vergeben, heisst es auf Nachfrage bei Greenplaces. Auch sieben Firmen aus der Schweiz werden sich dort ansiedeln, unter anderem ein Pharmaunternehmen für Krebsmedikamente, ein Verlag sowie ein Unternehmen für Wand- und Bodenbeläge. Kleine bis mittelständische Unternehmen aus der Schweiz nutzen die Einheiten zudem als Lagerraum.
Der Vorteil für die Schweizer Firmen: Der Zoll ist fussläufig, häufig sparen sie an Logistik-Kosten und die Firmen können sich untereinander bezüglich der deutschen Regelungen austauschen, sagt Sven Koch, der für den Verkauf und die Vermietung der Flächen zuständig ist.
Rund um den Thaynger Zoll wird es in Zukunft belebter, das freut auch Joachim Maier. «Die Grenze nehme ich schon lange nicht mehr wahr», sagt der Wefa-Chef und macht deutlich, dass er wenig davon hält, die Nachbarländer gegeneinander auszuspielen.