Der Winzersohn an der GF-Spitze
Unter Yves Serra hat Georg Fischer die vielleicht bewegendsten Jahre der Konzerngeschichte erlebt. Jetzt gibt er den CEO-Posten ab und wechselt in den Verwaltungsrat.
Kommentar
Eine interne Lösung für den GF-Chefposten
Bei Georg Fischer kommt es wie erwartet zum grossen Sesselrücken: Yves Serra erreicht das Pensionsalter und übergibt das Zepter an Finanzchef Andreas Müller. Sein Wissen und seine strategischen Kompetenzen wird Serra künftig im Verwaltungsrat einbringen. GF setzt damit auf Kontinuität und eine interne Lösung.
Das ist primär erfreulich und auch nicht selbstverständlich: Längst nicht überall klappt die Nachfolgeregelung so reibungslos. Der Schaffhauser Industriekonzern – noch immer einer der wichtigsten privaten Arbeitgeber im Kanton – bleibt in den Händen eines Chefs, der die Region und das Geschäft gut kennt. In Gailingen aufgewachsen, hat Müller während seiner ganzen bisherigen Karriere bei Georg Fischer gearbeitet. Das ist vielleicht der einzige Kritikpunkt, der ins Auge sticht: Müller kennt keinen anderen Betrieb aus eigener beruflicher Erfahrung. Für GF war er allerdings mehrere Jahre im Ausland tätig und hat sich auf unbekanntem Terrain bewährt.
2017 realisierte GF das beste Resultat seiner Geschichte. Beflügelt von der guten Konjunktur, aber auch getragen von einer Strategie, welche die Volatilität im GF-Geschäft reduzierte, resultierte ein Reingewinn von 258 Millionen Franken. Die nahe Zukunft dürfte angesichts einer sich abkühlenden Konjunktur schwieriger werden. Müllers Führungsqualitäten könnten im raueren Umfeld bald geprüft werden. Es ist ihm zu wünschen, dass die Prüfung nicht gleich so happig ausfällt wie bei seinem Vorgänger, der zum Antritt gleich die globale Finanzkrise zu bewältigen hatte.
In Georg Fischers Chefetage herrschte lange ein Ton vor, der eher an ein Offizierscasino gemahnte als an einen internationalen Konzern. Kein Wunder bei einem Unternehmen, das Panzer für die Schweizer Armee baute. Yves Serras Auftritt war anders. Ruhig, zurückhaltend und auch weniger schweizerisch. Serra (*1953) stammt aus einem kleinen Dorf in den französischen Pyrenäen. Sein Vater führte dort einen Rebbaubetrieb. Den jungen Yves zog es in die Welt hinaus. In Paris machte er den Ingenieur an der hoch renommierten École Centrale, wo schon Gustave Eiffel studiert hatte, in Amerika holte er den Master of Science. Nach einem Abstecher in die Diplomatie kam er über Alstom und Sulzer 1992 zu Georg Fischer.
Sein Aufstieg im Schaffhauser Traditionskonzern war rasch und steil. 1998 Chef von Charmilles in Genf, Ende 2002, mit 49 Jahren, Leiter der Sparte Piping Systems und Einzug in die Konzernleitung. Damals zog er auch in die Region Schaffhausen. Seinen Job machte er sehr gut: Ende 2007 gab Georg Fischer bekannt, dass Serra Kurt E. Stirnemann als CEO ablösen würde, der altershalber aufhörte.
Stellen gestrichen
Weder die Aktionäre noch Serra selbst wussten, was auf sie zukommen sollte: Die schwierigsten, aber auch die besten Jahre in der Konzerngeschichte.
Die erste Hiobsbotschaft kam schon im Januar 2008. Damals war Serra als Konzernchef zwar schon angekündigt, aber noch nicht im Amt. GF musste eine Gewinnwarnung publizieren. Der Markt hatte diese Entwicklung schon erwartet, seit Mitte 2007 war der Aktienkurs von über 1000 Franken auf die Hälfte eingebrochen. Kein Wunder: Die US-Finanzkrise nahm damals so richtig Fahrt auf. Als Serra im März 2008 das Ruder übernahm, stand der Kurs noch bei rund 500 Franken, aber damit war die Tauchfahrt noch nicht zu Ende.
Georg Fischer: die bisherigen CEO ab 1957
1957 bis 1970*: Max H. Schneebeli
1968 bis 1980*: Robert Mayr
1981 bis 1983: Hugo Berthold Saemann
1983 bis 1991: Hannes Goetz
1992 bis 2003: Martin Huber
2003 bis 2008: Kurt E. Stirnemann
seit 2008: Yves Serra
ab Frühjahr 2019: Andreas Müller
* In diesen Jahren zwei Generaldirektoren.
2008 sollte ein sehr schwieriges Jahr für GF werden. Ab Oktober wurden die Bereiche Automotive und Agie Charmilles mit voller Wucht vom Konjunktureinbruch erfasst. Ende 2008 musste GF eine weitere Gewinnwarnung erlassen, die Aktie war damals noch rund 220 Franken wert.
Das schlimmste Jahr sollte aber 2009 werden, für das Personal wie für die Aktionäre. Bei GF fielen rund 2600 Stellen weg, durch Verkäufe, aber auch Kündigungen. Auch Schaffhausen war mit 100 Stellen betroffen.
Beim Jahresabschluss 2009 wurde deutlich, warum diese Massnahmen notwendig geworden waren. Der Konzern musste einen gewaltigen Verlust ausweisen: 238 Millionen Franken. Der Umsatz sackte um ein Drittel auf 2,9 Milliarden Franken ab. Die Aktie sank auf 126 Franken. Wäre Georg Fischer ein Fussballverein gewesen und Serra nicht CEO, sondern Trainer, hätte er wohl seine Sporttasche nehmen und seinen Posten räumen müssen.
«Die Schweiz und Schaffhausen bleiben wichtig für uns.»
Yves Serra, CEO Georg Fischer
Doch Serra blieb, und er führte das Unternehmen mit bemerkenswerter Geschwindigkeit wieder zum Erfolg. Dies auch, weil GF sich unter ihm in neuen Märkten wie China verstärkt engagierte. Seit 2005 war GF Automotive bereits in Suzhou bei Schanghai tätig, 2009 wurde in der Nähe eine Eisengiesserei eröffnet. Bereits 2010 schloss GF wieder tiefschwarz ab, 108 Millionen Franken Gewinn, der Umsatz stieg um 20 Prozent. Dieser Erfolg blieb nicht unbeachtet: Der Schaffhauser Unternehmer Giorgio Behr wurde 2011 grösster Einzelaktionär des Traditionskonzerns.
Nie mehr sollte Georg Fischer unter Serra rote Zahlen schreiben. 2011 waren es bereits wieder 170 Millionen Franken Reingewinn – und 700 Stellen wurden geschaffen. Selbst 2015, im Jahr des Frankenschocks, holte GF 198 Millionen Franken Gewinn ein.
Aufstieg und Fall der Aktie
Wer damals GF-Aktien kaufte, konnte nichts falsch machen. Am 16. Januar 2015, am Tag nachdem die Nationalbank die Aufhebung der Bindung des Frankens an den Euro bekannt gegeben hatte, notierte der Titel bei 559 Franken. Ende Jahr waren es aber schon über 100 Franken mehr. Von dieser Erholung profitierten Serra und die anderen Mitglieder der Unternehmensspitze über ihre Beteiligungen natürlich auch.
Für 2016 meldete der Konzern dann einen Gewinn von 225 Millionen Franken, und für 2017 waren es sogar 258 Millionen Franken. Das war das beste Ergebnis in über 200 Jahren Konzerngeschichte. Zudem wurden rund 1000 Stellen geschaffen.
«Die Schweiz und Schaffhausen bleiben wichtig für uns», sagte Serra bei der Bekanntgabe der Jahresresultate.
An der Börse wurde er bejubelt: Die GF-Aktie stieg am 12. Januar 2018 auf das Allzeithoch von 1410 Franken. Er selbst bezog für 2017 ein Gesamtsalär von knapp 3,5 Millionen Franken. Seither ist es mit der Aktie aber kräftig abwärts gegangen, sie notierte gestern noch bei rund 780 Franken.
Gestern nun hat Georg Fischer bekannt gegeben, dass Serra den CEO-Posten altershalber abgibt. Er wird GF aber als Verwaltungsrat treu bleiben. Privat hat der Winzersohn aus den Pyrenäen, der inzwischen längst schon den Schweizer Pass hat, der Region aber den Rücken gekehrt: Er ist von Uhwiesen ins Steuerparadies Wollerau umgezogen.
«Die Wahl eines internen Nachfolgers ist ein klares Zeichen für Kontinuität»
Andreas Müller heisst der künftige GF-Chef. Analysten und Schaffhauser Persönlichkeiten loben die Wahl: «Den neuen Konzernchef habe ich als analytisch und kommunikativ kennengelernt», sagt Armin Rechberger. Er ist Analyst für Industrietitel bei der Zürcher Kantonalbank. Am ehesten erwartet er bei den beiden GF-Sparten Casting und Machining Solutions eine Abkühlung: «Eventuell werden diese ihre Kapazitäten nach unten anpassen müssen.» Vor allem für Machining Solutions könnte ab 2019 das Marktumfeld schwieriger werden, so Rechberger. Andererseits habe diese Division ein grosses Auftragspolster: «Das federt ab.»
Vontobel-Analyst Michal Lichvar kennt Andreas Müller seit etwas mehr als einem Jahr. Er sagt: «Der neue Konzernchef ist eine sehr kommunikative Persönlichkeit.» Die verschiedenen Rollen, die Müller seit 1995 bei GF innegehabt habe, seien eine gute Vorbereitung für den Posten des Konzernchefs gewesen. Lichvar geht nicht davon aus, dass Müller eine signifikante Strategieänderung vornehmen wird: «Er wird die Linie von Yves Serra beibehalten.» Er geht von einer positiven Zukunft für den Industriekonzern aus: «Der jüngste Entscheid, die beiden deutschen Eisengiessereien (zu verkaufen, macht GF profitabler. Somit kann sich der Konzern auf attraktivere Märkte fokussieren.»
Grosse Herausforderung meistern
IVS-Vorstandsmitglied Hannes Germann sagt: «Mit Yves Serra verlässt ein hervorragender Konzernchef das Unternehmen.» Nachfolger Andreas Müller trete in grosse Fussstapfen – jedoch hinterlasse Serra ein sehr gut aufgestelltes Unternehmen. Der heutige Finanzchef bringe gute Voraussetzungen mit, weil er die Konzernstruktur gut kenne, so Germann: «Die operative Leitung eines Vorzeigekonzerns zu meistern, ist dennoch eine sehr grosse Herausforderung.»
Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer sagt: «Mit Andreas Müller hat GF eine engagierte Persönlichkeit zum Nachfolger von Yves Serra ernannt.» Durch seine über 20-jährige Tätigkeit bei GF und aufgrund seiner umfangreichen Erfahrung sei der neue Konzernchef bestens mit den Strukturen vertraut, so Schärrer. Und IVS-Vorstandsmitglied Müller ken- ne auch den Kanton Schaffhausen gut, was ihn persönlich freue. «Die Wahl eines internen Nachfolgers ist auch ein klares Zeichen für Kontinuität, das hier von GF gesetzt wird», so Schärrer.
«Mehr als ein guter Finanzer»
An der kommenden GF-Generalversammlung im April kommt es auch im Verwaltungsrat zu einer Rochade: Vizepräsident Gerold Bührer scheidet altershalber aus dem Gremium aus, Yves Serra soll sein Nachfolger werden. Bührer, der auch Verwaltungsratspräsident der Meier + Cie AG ist, welche die SN herausgibt, kennt den neuen Mann an der Spitze von Georg Fischer gut. Er begrüsst die Wahl: «Für mich ist entscheidend, dass Andreas Müller mehr als ein guter Finanzer ist.» Müller blicke weit über den Tellerrand hinaus, so Bührer. Der neue Chef kennt den Konzern und hat in zwei Divisionen Erfahrungen gesammelt – das prädestiniere ihn für den CEO, sagt Bührer.
Wie Serra sei auch Müller analytisch und kommunikativ stark sowie entschlossen in der Umsetzung. Vom neuen Konzernchef erwartet Bührer in Zeiten, in denen die Konjunktur nicht mehr wie geölt läuft, dass er rechtzeitig die richtigen Schlüsse zieht und nach der Beschlussfassung die notwendigen Massnahmen einleitet.
Yves Serra ist seit zehn Jahren an der Spitze des Unternehmens und hat das Rentenalter erreicht. Bührer kennt ihn bereits seit 25 Jahren und sagt über ihn: «Er schaut mit weitem Blick voraus.» Diese Gabe allein genüge aber nicht, um ein guter Konzernchef zu sein. Bei Serra sei sie gepaart mit Entschlusskraft. Diese sowie sein Umsetzungsvermögen seien ideale Voraussetzungen für einen Konzernchef. Bereits sehr früh ha- be Serra indes gemerkt, dass der Konzern zu sehr am «europäischen Tropf» gehangen habe, und die geografische Diversifikation der Industriegruppe stark vorangetrieben. «Yves Serra ist ein Macher mit grosser internationaler Erfahrung», so Bührer. (jvo)