Endlich politisch mitbestimmen

Seit 2002 lebt das Ehepaar Egestorff mit seinen drei Kindern in Neuhausen. Seit diesem Sommer haben sie das Schweizer Bürgerrecht – und können nun wählen und abstimmen.
Die Wahlunterlagen zu den bevorstehenden Einwohnerratswahlen in Neuhausen sowie diverse Abstimmungsinfos liegen auf dem Esstisch der Familie Egestorff in Neuhausen. Das Wahlbüro ist nur wenige Meter entfernt, sodass Antje und Jörg Egestorff am Sonntag persönlich abstimmen möchten. Noch ist das etwas Neues für sie.
Töchter fühlen sich als Schweizer
Bei dem deutschstämmigen Ehepaar war schon lange vor den geforderten zwölf Jahren Wohnsitz in der Schweiz der Wunsch gereift, den Schweizer Pass in Neuhausen zu beantragen. «Unsere drei Töchter sind zwar alle am früheren Wohnort in Berlin geboren, aber sie sind hier in Neuhausen aufgewachsen und fühlen sich als Schweizer», sagt Antje Egestorff. Sie selbst arbeitet seit Jahren als Lehrerin an einer Neuhauser Schule, beide Elternteile sind in Neuhauser Vereinen aktiv, im Ort gut vernetzt. «Und wir wollen auch hierbleiben», sagen sie. Die Einbürgerung schien nur der logische letzte Schritt. Vor zwei Jahren beantragte die ganze Familie den Schweizer Pass. In diesem Sommer erhielten sie die neuen Dokumente.
Wählen konnten die Egestorffs zum ersten Mal im September – als der Kantonsrat und der Neuhauser Gemeinderat gewählt wurden. Erstmals durften sie auch abstimmen – über die eidgenössischen Vorlagen zur «Grünen Wirtschaft», «AHVplus» und über das Nachrichtendienstgesetz. «Es war schön, endlich mitbestimmen zu können», sagt Jörg Egestorff. All die Jahre in der Schweiz habe man sich schon mit der Politik und den aktuellen Themen befasst, mit Kollegen oder dem Sitznachbarn im Bus auf dem Weg zur Arbeit diskutiert. Nun zählte die eigene Stimme plötzlich auch etwas.
Mehrere Tausend Franken haben die Einbürgerungen gekostet. Die Familie hat dies nicht abgeschreckt. Auch nicht die Vorbereitung auf die Prüfung. «Jeder von uns hat einen Ordner zum Lernen bekommen», sagt Antje Egestorff. Neben den Rechten und Pflichten des Bürgers sowie Geografie musste man auch Ortskenntnis aufweisen, etwa alle Haltestellen der beiden Buslinien 1 und 6, die nach Neuhausen fahren, aufzählen können. Der Aufwand und die Kosten hätten sich jedoch gelohnt.
Das Schweizer System der direkten Demokratie findet das Paar toll. «In Deutschland kann man ja nur alle vier Jahre einen Wahlzettel ausfüllen», sagt Jörg Egestorff. Seine Frau fügt an: «Dort kann man nicht mitentscheiden, ob ein neues Schulhaus oder eine Turnhalle gebaut wird, das steht dann plötzlich einfach da.» Antje Egestorff spielt auf die bevorstehende Gemeindeabstimmung am Sonntag an, wenn die Neuhauser über die Erweiterung und Sanierung des Kirchackerschulhauses befinden.
Jörg Egestorff findet es faszinierend, dass die Entscheide bei Schweizer Abstimmungen oft am Gemeinwohl orientiert sind. Seine Frau hat auch beeindruckt, wie sehr sich die Schweizer ihrer Verantwortung, abstimmen zu gehen, bewusst sind.
Verwandten und Freunden haben die Egestorffs sofort von ihrem Schweizer Bürgerrecht erzählt. Die meisten Reaktionen seien positiv gewesen. Nur einige wenige hätten sich gewundert, dass sie den deutschen Pass nicht abgegeben hätten. Das wäre für beide jedoch schwierig gewesen, sagen sie. Schliesslich seien sie in Deutschland aufgewachsen und in ihrer alten Heimat verwurzelt – genauso wie in ihrer neuen Heimat in Neuhausen.
Wen werden die beiden am kommenden Sonntag in den Neuhauser Einwohnerrat wählen? Hier gibt sich das Ehepaar – ganz schweizerisch – bedeckt.