Fall Fabienne W: «Kein relevantes Fehlverhalten» – Gutachter entlastet Schaffhauser Polizei

Julian Blatter | 
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Ein Gutachten kommt zu dem Schluss: Im Fall Fabienne W. sei der Polizei kein Fehlverhalten zu attestieren. Bild Jeannette Vogel

Der Kanton hat ein Gutachten zum Verhalten der Polizei im Fall Fabienne W. in Auftrag gegeben. Der Gutachter kommt zum Schluss, dass diese sich «kein relevantes Fehlverhalten» vorzuwerfen habe.

Das wichtigste in Kürze

  • Im Dezember 2021 kam es in einer Schaffhauser Anwaltswohnung zu einer Prügelattacke auf Fabienne W.
     
  • Die «Rundschau» machte die Geschehnisse in der Tatnacht öffentlich. In dem Beitrag kam Kritik am Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft auf.
     
  • Der Kanton hat ein Gutachten zum Verhalten der Polizei in Auftrag gegeben. Gemäss einer Mitteilung des Finanzdepartements widerspricht dieses der Kritik aus dem «Rundschaubericht» in den meisten Punkten.
     
  • Einen Mängel hat der Gutachter jedoch beanstandet: Bei der dritten Hausdurchsuchung hätte die Polizei klären müssen, ob der Anwalt über mehr als ein Smartphone besessen hatte.

Der Schaffhauser Polizei sei im Fall Fabienne W. entgegen der Darstellung der «Rundschau» «kein relevantes Fehlverhalten» vorzuwerfen. Zu diesem Schluss kommt ein vom Kanton in Auftrag gegebenes Gutachten. Einzig bei einer Hausdurchsuchung – über ein Jahr nach dem Vorfall zur Sicherstellung von Mobiltelefonen – sind zwei für den Fall wenig bedeutsame Mängel festgestellt worden. Ansonsten sei vielmehr sehr schnell und professionell gearbeitet und das Opfer ernst genommen worden, heisst es weiter.

So bewertet der Gutachter das Geschehen direkt nach der Tat

Das Gutachten basiert gemäss einer Medienmitteilung des Finanzdepartements auf den Akten der Schaffhauser Polizei. Zu den Geschehnissen direkt nach der Tat hält der Gutachter fest: Die Polizei habe innerhalb kurzer Zeit das Opfer ins Spital gebracht, das Zürcher Institut für Rechtsmedizin eingeschaltet, die Spuren sichergestellt und die Staatsanwaltschaft orientiert. Auch seien die unmittelbaren Tatverdächtigen vorläufig festgenommen und weitere Beteiligte einvernommen worden.

Staatsanwaltschaft forderte keine gynäkologische Untersuchung bei Fabienne W. an

Sobald die Strafuntersuchung eingeleitet war, sei die Verfahrensleitung in Gänze an die Staatsanwaltschaft gegangen, heisst es weiter. Die Polizei sei ab da weder zuständig noch befugt gewesen, von sich aus eine gynäkologische Untersuchung an Fabienne W. in Auftrag zu geben. Die Staatsanwaltschaft wiederum habe darauf verzichtet. Einerseits wegen der physischen Verfassung W.s, andererseits wegen den Angaben des Opfers, wonach die Vergewaltigung fünf bis 14 Tage zurücklag und damit eine medizinische Untersuchung keine Erkenntnisse mehr hätte hervorbringen können. Die Frage nach einer Vergewaltigung in der Nacht der Prügelattacke habe W. bei der Befragung am Folgetag verneint. 

Gutachter: Keine Mängel bei den ersten beiden Hausdurchsuchungen

Im Zuge der Ermittlungen führte die Polizei drei Hausdurchsuchungen in der Anwaltswohnung durch, in der die Prügelattacke stattfand. Die erste geschah am 29. Dezember, also am Morgen nach der Tatnacht, die letzte über ein Jahr später. Gemäss der «Rundschau» hatte die Polizei die jeweiligen Aufträge der Staatsanwaltschaft, darunter das Sicherstellen von Videomaterial, nicht erfüllt. Ein renommierter Strafverteidiger kritisierte die Polizei in dem Bericht scharf. Das Vorgehen widerspreche allen kriminalistischen Standards, er sprach von «Arbeitsverweigerung».

Der Gutachter kommt zu einem anderen Schluss. Bei der ersten Hausdurchsuchung habe die Polizei den Auftrag der Staatsanwaltschaft – das Sicherstellen der Videoaufnahmen des Tatgeschehens – befolgt und damit auftragsgemäss gehandelt. Die «Rundschau» hatte kritisiert, dass die Polizei die Aufzeichnungen der Überwachungskameras vom Smartphone des Anwalts abgefilmt hatte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Anwalt damals nicht als Tatverdächtiger gegolten habe, so der Gutachter.

Auch die Kritik, dass die Polizei den Computer, auf dem die Aufnahmen gespeichert waren, nicht beschlagnahmt hatte, lässt der Gutachter nicht gelten. Das Erstellen einer Kopie der Aufzeichnungen sei «als sachangemessen» zu qualifizieren und sei in der Strafprozessordnung explizit vorgesehen. Eine Durchsuchung der Aufzeichnungen hätte dagegen einen besonders schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Anwalts dargestellt. Die Polizei hätte aber noch fragen können, ob andere Speichermedien vorhanden seien.

Bei der zweiten Hausdurchsuchung kommt der Gutachter ebenfalls zum Schluss, dass die Polizei den Auftrag der Staatsanwaltschaft korrekt ausgeführt habe. Die Durchsuchung fand statt, da die Beamten bemerkt hatten, dass eine zweite Überwachungskamera in der Wohnung installiert war. Die «Rundschau» hatte der Polizei erneut vorgeworfen, die Daten kopiert und nicht sichergestellt zu haben und dass der Anwalt den Beamten dabei geholfen habe.

Diesen Mangel attestiert der Gutachter

Zur letzten Hausdurchsuchung war die Polizei ausgerückt, um Mobiltelefone sicherzustellen. Die Kritik der «Rundschau»: Die Polizei habe sich ein Handy geben lassen und eine Suche nach weiteren Geräten unterlassen. Hier stimmt der Gutachter zu. Die Polizei hätte klären müssen, ob der Beschuldigte mehrere Mobiltelefone besessen habe. Zu beachten sei jedoch, dass der Beschuldigte ohnehin bereits ein Jahr Zeit gehabt habe, Daten zu vernichten, wenn er dies gewollt hätte. Aus den Akten hätten sich überdies keine Hinweise auf zusätzliche Mobiltelefone ergeben.

Gutachter: Polizei hat Fabienne W. ernst genommen

Für den Vorwurf an die Adresse der Polizei, sie habe die Tatbeteiligten bevorzugt, sieht der Gutachter keine Belege. Ein lockeres Gespräch zwischen dem Anwalt und einem Polizisten, bei dem unter anderem Ausgangstipps ausgetauscht wurden, habe keinen Einfluss auf die Aufzeichnung oder die Auswertung der Aufnahmen gehabt. Hier hält der Gutachter erneut fest, dass der Anwalt zu jenem Zeitpunkt keine beschuldigte Person gewesen sei. Eine spätere Befragung sei dem Sachverhalt angemessen gewesen.

Die Polizei habe das Opfer ernst genommen, heisst es weiter. Auch über den «vagen Vorwurf» der Vergewaltigung mehrere Tag vor der Prügelattacke habe die Polizei die Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt. Gleiches gelte für spätere Anschuldigungen. Dem Vorwurf, die Instanbul-Konvention werde im Kanton Schaffhausen nicht genügend umgesetzt, widerspricht der Gutachter. In organisatorischer Hinsicht seien notwendige Massnahmen getroffen worden.

+++ Update folgt +++

Die «Schaffhauser Nachrichten» konnten das Gutachten derzeit noch nicht einsehen. Dieser Bericht basiert auf einer Medienmitteilung des Finanzdepartements des Kantons.

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