Krieg und Krebs zwangen sie nicht in die Knie

Erst Krieg, dann Krebs: Die Ukrainerin Nataliia Bondar erzählt zum Weltkrebstag, wie sie durch die Diagnose innert kurzer Zeit ihr Leben zweimal umstellte, wie sie die Therapie überstanden hat und was sie anderen Betroffenen rät.
Diesen Artikel über das Schicksal von Nataliia Bondar haben wir für den heutigen Weltkrebstag aus unserem Archiv geholt und stellen ihn für Sie gratis zur Verfügung. Wir wünschen spannende Lektüre.
Plötzlich schreit Nataliia Bondar vor Schmerzen. Ihr Bauch ist aufgebläht. Sie wird ins Krankenhaus gebracht, dort folgt eine Reihe von Untersuchungen und dann die Diagnose: Eierstockkrebs. Das war im März 2023.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich ihr Leben markant verändert. Die 47-Jährige arbeitet einst als Betriebsanwältin in der Ukraine. Als der Krieg ausbricht, wird ihre Heimatstadt bombardiert, sie flüchtet mit ihrem elfjährigen Sohn in die Schweiz. Ihr älterer Sohn ist schon 18, also im Einberufungsalter, und muss bleiben, ihr Ehemann auch. «Da blutet das Mutterherz. Aber ich bin so dankbar, dass ich hier sein darf», sagt sie. Das Wort «dankbar» wird im Gespräch noch einige Male fallen.
Bondar beginnt also, sich ihren «Schweizer Lebensabschnitt», wie sie ihn nennt, aufzubauen. Sie besucht einen Deutschkurs und findet Arbeit als Putzkraft. Und kaum hat sich alles etwas eingependelt, kommt die Krebsdiagnose. Sie kann nicht mehr arbeiten, das Deutschlernen muss sie erst mal etwas zur Seite schieben, deshalb ist beim Gespräch ein Dolmetscher dabei.
Die Familie ist wieder vereint
Von April bis September folgt nach der Diagnose jeden Mittwoch Chemotherapie. Heute wird sie noch alle drei Wochen intravenös gegen den Krebs behandelt. «Ich bin auf einem guten Weg», sagt sie. «Und ich bin allen, die mir auf diesem Weg geholfen haben, sehr dankbar.» Sie sitzt im Zunftsaal zun Kaufleuten an der Vordergasse und trinkt einen Ingwertee, als sie ihre Geschichte erzählt. Dass es sich um Krebs handelt, kam unerwartet. «Der Schmerz kam von heute auf morgen.» Sie sei regelmässig beim Gynäkologen gewesen, es gab Laboruntersuchungen – und nie ein Anzeichen der Krankheit. Als sie die Diagnose schriftlich erhält, schaut sie sie nicht im Detail an. Sie will auch nicht wissen, ob sich Metastasen gebildet haben. «Ich dachte mir einfach, da muss ich jetzt durch.» Sie hat das Dokument mitgebracht, vier Seiten umfasst es. Und tatsächlich steht darin, dass sich Metastasen gebildet hatten.
«Warum ich?», fragt sie sich oft. Sie hat Angst. Sofort spürt sie aber auch, dass Unterstützung da ist. Im Krankenhaus kümmert sich das Team der Onkologie um Bondar, russischsprachige Mitarbeitende übersetzen für sie. «Ich bin so dankbar für alles, was dieses Team leistet.» Sie habe sich wie in einer Familie gefühlt. «Diese Leute haben eine schwierige Aufgabe, sie nehmen die Menschen auf, die keinen Ausweg mehr sehen. Und das machen sie immer mit einem offenen Ohr und einem Lächeln, das verdient unendlich viel Respekt.»
Ein Team aus Spitalmitarbeitenden setzt sich dann auch dafür ein, dass Bondars Ehemann aus der Ukraine ausreisen darf. Sie verfassen einen Brief an die ukrainische Botschaft und schildern, dass Bondars elfjähriger Sohn seinen Vater braucht, jetzt, wo seine Mutter krank ist. Und tatsächlich klappt es. Auch ihr älterer Sohn kann in die Schweiz flüchten. «Ich bin so dankbar, meine Familie wieder komplett bei mir zu haben. Das hat mir auch durch die Krankheit geholfen. Ich wäre sonst immer in Gedanken dort gewesen.» Ihr jüngerer Sohn geht in die 5. Klasse und ist im Schachverein, der ältere Sohn besucht einen Intensivkurs, der ihn auf das Berufsleben in der Schweiz vorbereitet. Mit der Gruppe der Spitalmitarbeitenden hat Bondar noch immer fleissig Kontakt.
Seit April besucht Bondar einmal pro Woche den psychoonkologischen Dienst. Über ihre Gefühle zu sprechen, habe ihr sehr geholfen, die Krankheit zu akzeptieren. Dies sei etwas vom Wichtigsten. «Ich habe gelernt: Krebs ist nur eine Krankheit, kein Urteil.» Das Leid dürfe keine Überhand nehmen. «Sonst bleibt man nur im Bett.» Deshalb empfiehlt sie auch allen anderen Betroffenen, dieses Angebot zu nutzen.
Schrittweise mehr Velo-Kilometer
In den Spitälern Schaffhausen gab es im Jahr 2022 total 777 Behandlungsfälle in der Onkologie, schreibt Kommunikationsverantwortliche Sabrina Hösli auf Anfrage. «Die genauen Zahlen für das Jahr 2023 sind noch in Erarbeitung und werden mit dem Geschäftsbericht veröffentlicht. Was bereits jetzt gesagt werden kann, ist, dass in der Onkologie über 200 neue Patientinnen und Patienten behandelt wurden.» Schweizweit gibt es laut der Krebsliga pro Jahr rund 45 500 neue Krebsfälle.
Die Krebsliga unterstützt Betroffene und deren Angehörige. Bondar besucht regelmässig die angebotenen Gymnastik- und Aqua-Aerobic-Trainings. Diese helfen ihr, nach der Chemotherapie wieder zu Kräften zu kommen. Denn die Nachwirkungen seien heftig: Muskel- und Gelenkschmerzen, kaputte Zähne und eine verringerte Sehstärke. «Es ist sehr belastend, aber ich bin dankbar, dass ich Schritt für Schritt wieder zurück ins Leben finde.»
Von der Krebsliga hat Bondar auch eine Perücke erhalten, damit sie sich während der Therapie wohler fühlt. Sie fährt sich durch die wieder nachgewachsenen Haare. «Die Haare zu verlieren, war psychologisch gesehen mit am schwersten. Man muss sich selbst wieder lieben lernen.» Und wie hat sie ihre positive Einstellung behalten? «Man sollte sich Ziele setzen, das lenkt von der Krankheit ab.» Ihr Ziel sei es, wieder reisen zu können, sie wolle noch die ganze Welt sehen. «Ich liebe Ägypten, deshalb habe ich mir ein Bild davon gemalt, das habe ich mir immer angesehen, wenn ich das Gefühl hatte, es wird alles zu viel. So konnte ich mich motivieren, weiterzukämpfen.» Zudem verbringt sie viel Zeit in der Natur und macht so gut es geht Sport. «Vor allem Fahrrad fahren. Am Anfang schaffte ich nur ein paar 100 Meter, aber es werden immer mehr.» Und sie hilft ehrenamtlich bei der Kirche mit, kocht dort für ältere Menschen. «Dass ich etwas zurückgeben und meinen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann, ist die beste Therapie.»
Sprachbarriere überwinden
Gerne hätte sie sich mit anderen Krebsbetroffenen ausgetauscht, durch die Sprachbarriere war das aber schwierig. Ihr Ziel sei es nun, möglichst rasch Deutsch zu lernen und wieder arbeiten zu gehen. Und dann möchte sie anderen Krebspatientinnen und -patienten helfen, mit ihnen über ihre Erfahrungen sprechen. Sie sei jetzt bereit für den neuen Lebensabschnitt, zwei Wünsche bleiben noch offen: «Ich wünsche mir eine 100-prozentige Heilung. Und ich will ein Buch für andere Betroffene schreiben.»