Mobbing-Prävention: «Kinder sollen angstfrei zur Schule»

Fabienne Jacomet | 
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Simone Piatti will den Kindern vermitteln, wie sie Grenzverletzungen erkennen können. Bild: Melanie Duchene

Die Schulsozialarbeit beschäftigt sich intensiv mit der Mobbing-Prävention. Simone Piatti, Leiterin der Abteilung Jugend der Stadt Schaffhausen, erklärt, wo man ansetzen muss und weshalb Expertise von aussen nicht immer sinnvoll ist.

Die Schulsozialarbeit gerät oft in die Kritik, zu wenig gegen Mobbing zu unternehmen. Respekt-Coach Rebecca Kunz ging in einem Interview mit dieser Zeitung von einer latenten Überlastung aus, welche sie mit Empathie-Schulungen aufzufangen versuche. Schulsozialarbeiterin Simone Piatti, Leiterin der Abteilung Jugend der Stadt Schaffhausen, aber sagt: So einfach gehe das nicht. Warum es für Jugendliche wichtig ist, im Umgang miteinander Regeln zu beachten und den Respekt zu wahren, erklärt sie im Interview. Und auch, was die Schulsozialarbeit schon alles gegen Mobbing tut.

Frau Piatti, was tut die Schulsozialarbeit gegen Mobbing?

Simone Piatti: Man muss sich bewusst sein, dass, wenn Kinder und auch Erwachsene Mobbing sagen, sehr viel damit gemeint sein kann. Mobbing im eigentlichen, fachlichen Sinn ist eine eskalierte Dynamik, die in der Regel über längere Zeit entstanden ist und bei der es ein Opfer gibt, das extrem leidet und grossen Schaden davonträgt. Es gibt verschiedenste Formen von grenzverletzendem Verhalten, von abwertender Sprache, Ausgrenzung, Respektlosigkeiten bis hin zu Gewalt. Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht darin, präventiv viel zu investieren und die Entstehung von Mobbing möglichst zu minimieren. Wir setzen bei der Etablierung eines klaren Werterahmens im Schulhaus an und vermitteln diesen den Kindern und auch Erwachsenen, damit sich alle darauf beziehen können.

Zur Person

Simone Piatti ist Schulsozialarbeiterin und leitet seit 2020 die Abteilung Jugend der Stadt Schaffhausen. Zuvor hatte sie die Leitung der Schulsozialarbeit und der Jugendberatung inne.

Mit dem Ziel, dass es gar nicht erst zu Mobbing kommt?

Ziel ist, eine Kultur zu entwickeln, in der Kinder und Erwachsene wissen, wie sie wirksam auf grenzverletzendes Verhalten reagieren können. Man kann Mobbingsituationen aber nicht komplett verhindern. Oft ist bei der betroffenen Person auch Scham vorhanden, die es ihr verunmöglicht, sich Erwachsenen anzuvertrauen, seien das Schulsozialarbeitende, Lehrpersonen, die Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen. Darum vermitteln wir den Kindern, wie sie Grenzverletzungen erkennen können und üben mit ihnen, selbst Grenzen zu setzen. Dazu reicht eben oft das Wort Stopp alleine nicht. Wichtiger Inhalt ist auch, ihnen zu zeigen, wo sie für sich und andere Betroffene Hilfe holen können.

Den Kindern also bewusst machen, dass sie nicht allein sind.

Genau. Unsere Erfahrung ist, dass Kinder schon im Kindergarten formulieren können, dass es im Herzen wehtue, wenn sie grenzverletzendes Verhalten erleben. Die negativen Auswirkungen, die solche Verletzungen auf uns Menschen haben, sind der Hauptgrund, weshalb wir so viel in dieses Thema investieren. Ignorieren ist keine Option. Oft wird den Kindern gesagt, hör nicht hin, wenn sie gehänselt werden. Das Problem ist, dass die Verletzung bereits da ist und man damit eigentlich sagt: Es ist nicht so schlimm, dass du verletzt wurdest. Wenn die Erwachsenen nicht reagieren, nichts unternehmen, fühlt sich das Kind nicht mehr sicher. Unser Ziel aber ist, dass Kinder angstfrei zur Schule gehen können.

Wie werden die Lehrpersonen eingebunden?

Wir ermutigen sie, frühzeitig zu uns zu kommen, sobald sich eine Form der Ausgrenzung anbahnt oder es Klassen gibt mit sehr schwierigen Konstellationen. Bei Mobbingsituationen intervenieren Lehrpersonen manchmal selbst aus guter Absicht. Das kann aber zur Folge haben, dass das Mobbing im Verborgenen weitergeht und die Dynamik sich weiter verstärkt.

Deshalb ist es so wichtig, dass eine geschulte Fachperson die Intervention vornimmt. Unser ganzes Team wurde dafür ausgebildet. Seit wir mehr Schulsozialarbeitende haben, kommt es zum Glück seltener zu ausgewachsenen Mobbingsituationen. In seltenen Fällen geht es aber nur noch darum, das Opfer zu schützen, also das betroffene Kind rauszunehmen und im schlimmsten Fall an eine andere Schule zu versetzen.

Das Kind ist dann aber vorbelastet.

Absolut. Da ist eine Riesenangst vorhanden, dass es am neuen Ort wieder passiert. Wir versuchen natürlich, den Wechsel zu vermeiden. Wir wollen ja auch nicht, dass jene, die gemobbt haben, dies als Erfolg erleben. Es müsste ja eigentlich umgekehrt sein, sodass es für jene, die mobben, Konsequenzen gibt, und nicht für das Opfer.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Ein wichtiger Aspekt ist, wie man Werte vermittelt und einfordert, zum Beispiel, wie man unerwünschtes Verhalten anspricht. Ein Beispiel: Viele Kinder und Jugendliche benutzen untereinander abwertende Sprache oder beleidigen sich. Wenn man sagt, «Ich will nicht, dass du so sprichst», kommt unweigerlich eine Rechtfertigung. Sie sagen dann, dass die anderen angefangen hätten oder dass sie halt untereinander so reden würden. Da muss man strikt bleiben: «Ja, das kann sein. Und wir tolerieren das hier nicht.» Das ist ein beharrliches Einfordern, das sehr wirksam ist, wenn es konsequent umgesetzt wird.

Ich hätte darauf so etwas geantwortet wie: «Sie sind nicht meine Mutter.»

Und ich hätte darauf gesagt: «Ja stimmt, ich bin deine Schulsozialarbeiterin und ich will hier keine solche Sprache.» Es geht um das Bestimmte und Respektvolle. In dem Moment, in dem ich das Kind im Grenzen setzen abwerte, ist die Intervention nicht mehr wirksam. Es geht darum, das Verhalten zu verurteilen und nicht die Person.

Und wie vermitteln Sie das?

Die Schulsozialarbeit hat einerseits in fast allen städtischen Schulen einen einfachen, gemeinsamen Werterahmen mit drei Grundregeln eingeführt: Ich verletze niemanden am Körper, ich verletze niemanden am Herz und ich achte das Eigentum der anderen. Wenn Kinder innerhalb der Stadt die Schule wechseln, treffen sie überall dieselben Regeln an. Zudem führen wir das Training rund um Grenzen mit Schulklassen durch. Dieses beinhaltet viele erlebnispädagogische und gemeinschaftsfördernde Aktivitäten, die das Klassenklima fördern.

Das funktioniert neben dem dichten Stundenplan?

Die Schulen kommen in der Regel mit dem Wunsch nach Input zu diesen Themen auf uns zu. Dauernde Konflikte zwischen den Kindern fressen ja auch unheimlich Ressourcen. Viele Lehrpersonen sind sehr belastet durch herausforderndes und respektloses Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Wir reagieren mit unserer Arbeit auf diesen Bedarf. Bei der Weiterbildung für Schulhausteams beginnen wir mit einer Einführung, der praktischen Umsetzung und dann werden bestimmte Themen auf Wunsch weiter vertieft. Das Präventionsprogramm für Kinder wird an manchen Schulen schon lange durchgeführt, andere führen es langsam ein. Es sind jeweils vier Lektionen pro Klasse, pro Schuljahr. Jedes Jahr wird wieder aufgegriffen, vertieft und weitergeführt.

«Viele Lehrpersonen sind sehr belastet durch herausforderndes und respektloses Verhalten von Kindern und Jugendlichen.»

Kann man so allen Bedürfnissen gerecht werden?

Die Schulsozialarbeit hat sich entwickelt, weil die sozialen Themen, die sich im schulischen Kontext zeigen, die Kapazität der Schule zeitlich wie auch fachlich zunehmend überschreiten. Die Ansprüche von Seiten der Gesellschaft und von Eltern werden komplexer, an die Kinder wie an die Lehrkräfte. Wir erleben, wie belastend es für Lehrpersonen sein kann, allen Anforderungen gerecht werden zu müssen.

Brauchen Sie Unterstützung von aussen?

Das ist so eine Sache. Bei gewissen Themen ist es durchaus sinnvoll, Expertise von aussen zu holen. Das Einwirken auf das soziale Miteinander und die Gruppendynamik ist jedoch vor allem Beziehungsarbeit und prozessorientiert. Bei diesen Themen ist fortlaufende Präsenz und Vertrauen wichtig. Wir als Schulsozialarbeitende kennen die Beteiligten und das System und können zum Beispiel nach Mobbinginterventionen die weiteren Entwicklungen beobachten. Einmal einen halben Tag mit den Kindern zu arbeiten, halte ich für nicht nachhaltig.

«Einmal einen halben Tag mit den Kindern zu arbeiten, halte ich für nicht nachhaltig.»

Aber gerade bei Themen wie Mobbing und Gewalt in der Schule gibt es doch viele Experten?

Natürlich. Es gibt auch immer wieder Gemeinden, die uns für gezielte Interventionen engagieren wollen, weil sie nicht das Budget haben, kontinuierliche Sozialarbeit zu installieren. Wir sagen diesen ab, nicht, weil wir nicht wollen, sondern weil schon vielfach nachgewiesen wurde, dass solche «Feuerwehrübungen» nicht nachhaltig wirken. Für nachhaltige, wirksame Verbesserungen braucht es etablierte Beziehungen und kontinuierliche Präsenz vor Ort. Wichtig ist auch ein klares Rollenverständnis. Wir sind keine Detektive, die die Wahrheit herausfinden wollen oder Richter, die Schuldige finden und sie bestrafen. Wenn es wirklich Ermittlungen braucht, wie im Fall des Gewaltvideos im Emmersberg, dann ist dies Aufgabe der Polizei. Wir haben eine pädagogische Aufgabe und unterstützen die Lehrpersonen und Eltern bei allen sozialen Themen von Kindern und Jugendlichen.

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