Steckt das Kino in einer neuen Krise?

Um 12 Prozent sind die Kinoeintritte in der Schweiz im Jahr 2018 zurückgegangen. In Schaffhausen war der Rückgang ein wenig schwächer.
Kinofilme 2018 Top 3
Kinepolis Schaffhausen:
1. Avengers: Infinity War
2. Deadpool 2
3. Bohemian Rhapsody
Schweizweit:
1. Bohemian Rhapsody
2. Avengers: Infinity War
3. Fantastic Beasts: The
Crimes of
Grindelwald
Gähnende Leere liegt auf den schier endlosen Sitzreihen des grössten Kinosaals in der Region. Das Licht des Filmprojektors flimmert über 437 flauschige Kinositze. Abseits der Leinwand ist kein Mensch zu sehen. Sieht so die Zukunft der Kinos aus?
Dass das klassische Kino in einer Krise steckt, ist an sich nichts Neues. Doch 2018 war ein besonders schlechtes Jahr. «Die Zahlen können sich im kleinstelligen Bereich noch ändern, aber wir rechnen mit 12,1 Millionen Kinoeintritten schweizweit für das Jahr 2018», sagt René Gerber, Generalsekretär des Branchenverbands ProCinema. 12'100'000 Eintritte entsprechen einem Rückgang von rund 12 Prozent seit dem Jahr 2017. Das sind die schlechtesten Eintrittszahlen seit Beginn der statistischen Erhebung durch ProCinema im Jahr 1995. In Schaffhausen war der Rückgang trotz Grenznähe etwas geringer: von fast 141'000 Eintritten im Jahr 2017 um rund 10 Prozent auf knapp 127'000 Eintritte 2018.
Nur zwei verregnete Wochenenden
Die grosse Blütezeit des Kinos begann in den 1920er- und 1930er-Jahren. Mit der Verbreitung des Fernsehers Ende der 1950er reduzierte sich die Zahl der Kinos aber markant. In den 80er- und 90er-Jahren entstanden schliesslich die ersten Multiplexkinos als Konkurrenz zu den herkömmlichen Ein-Saal-Kinos. Seit einigen Jahren ist es der stete Vormarsch der Streamingdienste für Filme und Serien wie Netflix, Amazon und Google Play, die dem Kino zu schaffen machen. Sind sie für die schlechten Zahlen des letzten Jahres verantwortlich? «Klar haben Streamingdienste einen Einfluss, diesen klar zu beziffern, ist aber schwierig», sagt ProCinema-Generalsekretär René Gerber. Laut Gerber deuten gewisse Studien sogar darauf hin, dass der negative Einfluss auf die Kinobranche gemeinhin überschätzt wird. Umfragen hätten zum Beispiel gezeigt, dass Konsumenten illegaler Filmkopien trotzdem überdurchschnittlich oft ins Kino gehen. «Das Gleiche scheint für Konsumenten von Streamingdiensten zu gelten», sagt Gerber.
Auch das grösste Multiplexkino der Region, das im Jahr 2000 eröffnete Kinepolis Schaffhausen, verzeichnet 2018 einen Rückgang der Eintritte. Genaue Zahlen dürfe er nicht nennen, so Geschäftsleiter Lorenz Koch, doch rechne er mit ungefähr 14 Prozent Rückgang – womit er im Deutschschweizer Schnitt noch gut dastehe.
«Im letzten Jahr kam einfach alles zusammen», erinnert sich Koch. Zum einen seien grosse Sportereignisse immer eher schlecht fürs Geschäft. «Die Fussball-WM ist eine Konkurrenzveranstaltung für Kinos», sagt er. Andererseits sei auch das Filmprogramm im letzten Jahr fürs Schweizer Zielpublikum eher schwächer gewesen. «In den USA beispielsweise war 2018 ein wahnsinnig starkes Jahr», erklärt Koch. «Superheldenfilme wie ‹Black Panther› mobilisieren das Publikum hierzulande einfach weniger.» Diese beiden Faktoren hatten zwar einen Einfluss auf die Eintrittszahlen, sind aber, laut Koch, kalkulierbar. «Unser Budget wurde 2018 zu über 90 Prozent erreicht», relativiert er. Nicht vorhersehbar sei aber der dritte Aspekt gewesen: das Wetter. «Von April bis September hatten wir in Schaffhausen bloss zwei verregnete Wochenenden», sagt Koch. «Die Schweizer sind einfach anders als die Amerikaner: Bei uns geht man bei schönem Wetter nach draussen und nicht ins Kino.» In den USA seien die langen Sommerferien jedoch traditionell starke Kinomonate.
René Gerber ist gleicher Meinung: Neben Fussball, dem Filmangebot und dem Vormarsch von Streamingdiensten sei das Wetter ein weiterer Hauptfaktor: «Es war ein katastrophales Wetterjahr für die Kinobranche», sagt der ProCinema-Generalsekretär.
Starke Stammkundschaft
Ein relativ gutes Jahr war 2018 für das Kino Kiwi-Scala in der Unterstadt. «Wir haben noch keine genauen Zahlen, aber alles in allem können wir auf ein durchschnittlich gutes Jahr zurückblicken», sagt Geschäftsleiterin Sylvie Okle. «Im Sommer haben wir jeweils Betriebsferien, und weil wir relativ tiefe Fixkosten haben, rechnet sich das positiv.» Das kleine Kino steche vor allem mit Themen- und Alternativfilmen aus der Masse hervor sowie mit geschickter Programmation, so Okle. «Unser bester Film 2018 war ‹Wolkenbruch›, wir waren das einzige Kino in Schaffhausen mit diesem Film», sagt die Geschäftsleiterin. Einen weiteren Vorteil im Vergleich zu grossen Multiplexkinos sieht sie ausserdem in der bestens funktionierenden Kundenbindung: «Das war von Anfang an mein Fokus, wir haben eine sehr starke Stammkundschaft.»
Kino als Erlebnis
Fragt man René Gerber von ProCinema, macht das Kino Kiwi-Scala vieles genau richtig. «Gerade für kleinere Kinos ist Kundenbindung extrem wichtig. Der Kunde soll das Gefühl haben: Das ist mein Kino, da gehe ich immer gerne hin.» Auch sei es gerade für kleinere Kinos sinnvoll, auf ein vielfältiges Angebot zu setzen. «Die Stärke des Schweizer Kinomarkts ist seine Diversität. Genre, Sprachen, Herkunft: In der Schweiz war das Angebot schon immer mehrdimensional», sagt Gerber. «Bei uns schaut man auch Filme aus Mali und der Mongolei.»
Ob die Zahlen des vergangenen Jahres zu vermehrten Schliessungen führen werden, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. René Gerber glaubt dies jedoch eher nicht. «Im letzten Jahr wurden schweizweit zwar mehrere Kinos geschlossen, gleichzeitig wurden aber wieder neue eröffnet», sagt er. Im Moment gebe es in der Schweiz über 600 Kinosäle. Aber: «Es stimmt, dass wir in den letzten Jahren eine Umschichtung erlebten.» Zahlreiche Multiplexkinos seien in den Agglomerationen grösserer Städte gebaut worden. Kleinere Kinos in den Innenstädten hätten deswegen teilweise etwas Mühe. Doch die Betreiber seien kreativ: Gastronomieangebote, alternative Inhalte, externe Saalvermietungen. Und: «Im Moment geht die Tendenz hin zu mehr, aber kleineren Sälen pro Kinokomplex.» Davon profitieren könnten auch die kleinen Kinos.
Gerber ist im Grossen und Ganzen zuversichtlich: «Im Moment erleben wir so etwas wie einen Hype der Streamingdienste», sagt er. Jeder Hype werde irgendwann von etwas Neuem abgelöst. «Und plötzlich erinnern sich die Leute daran, dass der Besuch eines Kinos immer ein spezielles Erlebnis ist.»