«So kam ich zu einem kleinen Waffenlager»
Im Kanton Schaffhausen steigt die Zahl der Waffenerwerbsscheine. Es lassen sich auch noch viele unregistrierte Armeewaffen finden. Ein Soldat erzählt, wie das zuging.
Registrierte Schusswaffen in der Schweiz
229 Schusswaffentote wurden im Jahr 2016 in der Schweiz registriert. Das geht aus der gerade erst veröffentlichten Todesursachenstatistik 2016 des Bundesamts für Statistik hervor. 212 Fälle fallen unter die Kategorie «Suizide» (205 Männer und 7 Frauen). 17 unter die Kategorie «andere Schusswaffen-Todesfälle». Bei 31 283 Sterbefällen von Männern insgesamt in diesem Jahr bedeutet das, dass 0,7 Prozent aller Todesfälle von Männern auf Schusswaffensuizid zurückzuführen sind.
«Als Soldat der Schweizer Armee war ich Mitte der Neunzigerjahre bei der Truppensanität eingeteilt», erinnert sich Franz. Seinen wirklichen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. «Ich fasste eine Ordonnanzwaffe, eine Pistole SIG 49, wurde daran ausgebildet und trug sie während meiner ganzen Dienstzeit.» Als er in Zürich aus der Dienstpflicht entlassen wurde, musste er mit Sack und Pack in einer grossen Turnhalle antreten, um seine Ausrüstung abzugeben. «Die persönliche Waffe konnte man behalten, wenn man wollte – oder zu den anderen auf eine Europalette werfen», erzählt Franz. Aus sentimentalen Gründen entschied er sich, seine Pistole zu behalten: «Ich hatte mich irgendwie an sie gewöhnt, und wir waren so viele Tage zusammen, in Kälte und Dreck – zudem schoss ich im Dienst nicht ungern und nicht einmal schlecht.»
«Fünf Lapp» für eine Pistole
Staunen musste Franz dann beim Verlassen der Turnhalle, nachdem er den Schlafsack, den Helm, seinen Kaput genannten Wintermantel und weitere Ausrüstungsgegenstände abgegeben hatte. «Links und rechts der Ausgangstür hatten sich zwei unrasierte Männer in engen Jeansjacken postiert, die ein paar Hunderternoten gefächert in der Hand hielten. Sie wollten Pistolen kaufen – ‹fünf Lapp› boten sie pro Stück, an Sturmgewehren hingegen waren sie nicht sonderlich interessiert.» Es war die Zeit der Balkankriege, und der Gedanke, dass mit seiner Pistole Menschen erschossen werden könnten, war Franz unerträglich.
Als er Jahre später nach dem Tod seiner Eltern deren Wohnung räumte, fand er die Offizierspistole seines Vaters, eine Parabellum, und ein Kleinkalibergewehr, ein «Flobert», das Grossvater Franz seinem Vater einst vermacht hatte. «So kam ich zu einem kleinen Waffenlager», fasst Franz zusammen. «Zum Glück bin ich ein eher friedlicher Mensch», setzt er nachdenklich hinzu.
Dass man Mitte der Neunzigerjahre die Dienstwaffe noch einfach mit nach Hause nehmen durfte, das bestätigt die Pressestelle der Armee. Damals habe man die Waffen auch nicht registriert. Und so wird es schwierig, wenn man einschätzen will, wie viele nicht registrierte alte Armeeschusswaffen pro Kanton in privaten Haushalten lagern. Wobei man basierend auf Beschaffungszahlen der Armee Schätzungen vornehmen kann. Die SP hat vor wenigen Jahren genau das getan und errechnet, dass die Schweizer Armee mehr als 1,3 Millionen Gewehre und Pistolen an einstige Dienstleistende abgegeben hat. Rund 70 Prozent davon sind alte Ordonnanzgewehre wie das Langgewehr 1911 oder der Karabiner 1931. Mit einem solchen Karabiner schoss vor einigen Jahren ein 33-jähriger Amokschütze im 400-Einwohner-Dorf Daillon im Wallis um sich.
Wie viele alte Armeewaffen im Kanton Schaffhausen schätzungsweise im Umlauf sind, kann Kreiskommandant Michael Trachsel nicht sagen. Heute würden die Waffen, die Soldaten beim Austritt behielten, sauber registriert. Ausserdem müssen die Personen einen von der Polizei ausgestellten Waffenerwerbsschein vorweisen. Die wenigsten würden sich dafür entscheiden, ihre Waffe mit nach Hause zu nehmen. «Bei der Entlassung aus der Dienstpflicht macht das im Kanton vielleicht 10 bis 20 Prozent aus», sagt Trachsel. Neben Pistolen dürfe man auch Sturmgewehre behalten. «Diese werden mechanisch umgebaut zu einer Einzelschusswaffe», sagt er. Damit seien sie bloss für Leute interessant, die Mitglied in einem Schiessverein seien.
Was die Registrierung von alten Armeewaffen angeht, könnte bald Bewegung in die Sache kommen. Voraussichtlich im Mai 2019 muss das Stimmvolk in der Schweiz über die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie bestimmen. Sollte sich die Bevölkerung dafür aussprechen, müssen zumindest alle Halbautomaten nachregistriert werden. Befürworter erklären, dass damit der Polizei eine bessere Handhabe gewährleistet wäre. Sollten etwa Einsatzkräfte bei einer Hausdurchsuchung ein altes Sturmgewehr finden, das im Nachhinein nicht registriert wurde, dann wäre der Besitz künftig illegal.
Waffenscheine: Tendenz steigend
Die Anzahl der Waffenerwerbsscheine steigt im Kanton Schaffhausen von Jahr zu Jahr: Waren es 2012 noch 251 Gesuche, die genehmigt wurden, waren es 2016 schon 347 und aktuell, im Jahr 2018, 387 Bewilligungen. Vor Kurzem wurde in der Schweiz unter anderem in den Medien die Kritik laut, dass man hierzulande leicht an eine Waffe komme. Nur in den wenigsten Fällen werde das Gesuch für einen Waffenerwerbsschein nicht bewilligt. Im Kanton Schaffhausen wurden im laufenden Jahr nur neun Gesuche abgelehnt beziehungsweise zurückgezogen.
Wie geht man bei der Beurteilung vor? «Es wird geprüft, ob Hinderungsgründe gemäss Artikel 8 des Waffengesetzes vorliegen oder eine Krankheit vorliegt, bei welcher der Umgang mit Waffen ein erhöhtes Risiko darstellen könnte», schreibt die Schaffhauser Polizei. Zu solchen Krankheiten würden beispielsweise Medikamenten-, Alkohol- oder Betäubungsmittelabhängigkeit gehören. «Liegen keine Hinderungsgründe vor, kann der Waffenerwerbsschein ausgestellt werden», so die Polizei weiter. Auf die Frage, ob man in der Schweiz zu einfach eine Waffe bekommt, beruft sich die Polizei noch einmal auf den Artikel 8 Waffengesetz: «Das Gesetz erlaubt jeder Person, eine Waffe zu er- werben, sofern keine Hinderungsgründe vorliegen.» (mcg)