Gott nahe sein an rund hundert Standorten
Moderne Kirchen wie die St. Peter in Herblingen oder klassisch-romanische Kirchen wie die Klosterkirche im St. Katharinental: In der Region Schaffhausen gibt es eine grosse Vielfalt an Gotteshäusern.
Bunte Fenster, hohe Decken, getragen von massiven Säulen und mit Engeln bemalte Wände: Die Kirchenlandschaft im Verteilgebiet der SN ist sehr vielfältig. Sie reicht von Klosterkirchen über Kapellen bis hin zu Bergkirchen. Anlass genug, um die Religionsgemeinschaften mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Mehr Luther-, statt Papstanhänger
Über vierzig von insgesamt rund sechzig Kirchen sind in der Region evangelisch-reformiert. Die verbliebenen zwanzig sind römisch-katholisch. Doch weshalb gibt es bedeutend mehr reformierte Kirchen als katholische? Die SN untersuchten die Konfessionszugehörigkeit der Gemeindeeinwohner. Rund 71 Prozent sind evangelisch-reformiert (siehe Balkendiagramm rechts). Lediglich 29 Prozent sind römisch-katholisch. Einzig in den Gemeinden Ramsen, Neuhausen, Rheinau, Eschenz, Mammern und Diessenhofen ist der Anteil der römisch-katholischen Bevölkerung annähernd gleich gross wie der Anteil der reformierten. Allerdings darf die dritte Landeskirche der Schweiz nicht vergessen werden: die Christkatholische Kirche. Im SN-Einzugsgebiet hat sie rund 170 Mitglieder, was einen Anteil von 0,2 Prozent ausmacht.
Lässt sich diese Tendenz auch auf die ganze Schweiz übertragen? Tatsächlich haben gemäss dem Pastoralsoziologischen Institut (SPI) die Katholiken die Nase vorn. Rund 36,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind römisch-katholisch. Reformiert sind 25,5 Prozent und 5,9 Prozent gehören einer anderen christlichen Glaubensgemeinschaft an (diverse Freikirchen). Das SPI macht unter anderem die Migrationsströme für diese Entwicklung verantwortlich. Während die Anzahl Mitglieder der katholischen Kirche seit Jahren annähernd stabil bleibt, wird die reformierte Kirche mit einem wachsenden Mitgliederschwund konfrontiert.
Die Anzahl Konfessionslose wächst
Je grösser und urbaner die Gemeinde, desto mehr Konfessionslose oder Andersgläubige leben gemäss SPI darin. Diese Annahme bestätig unsere Gemeindekarte. In den fünf Gemeinden mit den meisten Einwohnern (Stadt Schaffhausen, Neuhausen, Thayngen, Beringen und Rafz) leben die meisten Konfessionslosen und Andersgläubigen. Laut SPI gibt es in den dicht besiedelten Gemeinden grössere Chancen auf Religionspluralismus. Allerdings haben die Gemeinden die Zahlen der Konfessionslosen und Andersgläubigen nicht separiert. Daher lässt sich keine Aussage darüber machen, welche verschiedenen Religionen in der Region anzutreffen sind.
Die Rolle des Islam
Ungefähre Angaben gibt es hingegen zum Islam: Laut Statista ist dieser mit 6,6 Prozent (rund 5300 Menschen) die drittgrösste Religion im Kanton Schaffhausen. Insgesamt gibt es vier Moscheen in der Region. Damit liegt Schaffhausen über dem nationalen Durchschnitt (5,1 Prozent) und landet mit Zürich auf dem fünften Platz. Spitzenreiter ist der Kanton Basel-Stadt mit 7,5 Prozent (rund 12 000 Menschen).
Die Region Schaffhausen verfügt über eine bunte Freikirchenlandschaft. Allerdings werden die privat organisierten Vereine oft in einem schlechten Licht dargestellt. Joachim Finger, reformierter Gemeindepfarrer von Beringen, erklärt im Interview, warum seiner Ansicht nach kein Anlass zur Sorge besteht.
Herr Finger, was unterscheidet eine staatlich anerkannte Landeskirche von einer Freikirche?
Joachim Finger: Unsere drei Landeskirchen sind öffentlich-rechtlich organisiert. Das verpflichtet sie zu absoluter Transparenz. Zu diesem Zweck wird jährlich ein Geschäftsbericht veröffentlicht. Sie haben zudem das Recht, von ihren Mitgliedern einen einkommensbedingten Steuerbeitrag zu verlangen. Die Freikirchen hingegen sind privat-rechtlich organisierte Vereine. Sie finanzieren sich durch Spenden ihrer Mitglieder und Sympathisanten. Die Freikirchengänger sind in der Regel aktiver und «gläubiger». Die Landeskirchen hingegen verfügen über viele Passivmitglieder.
Worin bestehen die Unterschiede zwischen Sekten und Freikirchen?
Sektenhafte Tendenzen gibt es überall. Jede Kirche hat vereinzelte, krankhaft religiöse Anhänger. Die Unterscheidung zwischen Freikirche und Sekte ist keine Frage des Glaubens, sondern der Toleranz gegenüber anderen Religionen. In einer Sekte wird Religionspluralismus abgelehnt. Ein Paradebeispiel ist Scientology: Elitär, streng und bis ins Mark überzeugt davon, dass sich die einzige Wahrheit innerhalb der eigenen Reihen befindet. Sekten arbeiten mit Druckmitteln und üben Angst auf ihre Mitglieder aus. Beispielsweise bei den Zeugen Jehovas kann im Falle eines Austritts Gemeinschaftsentzug innerhalb der eigenen Familie stattfinden. Bei den Freikirchen kann jeder freiwillig ein- und wieder austreten.
Gerade junge Menschen fühlen sich von den Freikirchen mehr angesprochen als von den Landeskirchen. Wie kommt das?
Die meisten Freikirchen haben einen modernen Auftritt. Sie verkaufen ihre Gottesdienste als Events. Ein Beispiel hierfür wäre der ICF (International Christian Fellowship). Diese Freikirche ist wie eine Firma aufgebaut, die ein Produkt möglichst erfolgreich vermarkten möchte. In jungen Jahren denkt man noch nicht so differenziert wie als Erwachsener. «Schwarz-Weiss»-Denkende finden in einer Freikirche eher Antworten auf ihre Fragen, da es nur richtig oder falsch zur Auswahl gibt.
Es kursieren viele Schreckensgeschichten über Freikirchen. Die Rede ist von Gehirnwäsche und Manipulation. Sind sie wirklich so gefährlich oder wird übertrieben?
Diese Aussagen sind oft übertrieben, schliesslich kann man ja im Gegensatz zu einer Sekte konsequenzlos aussteigen. Für Familienmitglieder kann es jedoch verstörend wirken, wenn der Sohn plötzlich jeden Sonntag in die Kirche geht, denn die Mitglieder sind sehr engagiert und werden dadurch ein Stück weit vereinnahmt. Solange die Freikirche aber keinen Druck auf ihre Mitglieder ausübt, ist alles in Ordnung.
Für wen eignet sich der Beitritt zu einer Freikirche und ab wann ist Vorsicht geboten?
Menschen, die Halt durch klare Vorgaben suchen und familiäre Strukturen begrüssen, werden in Freikirchen glücklich. Gefährlich wird es, sobald andere Religionen verteufelt werden und Dämonen und Exorzismus eine Rolle spielen. Auf prophetische Botschaften von Privatpersonen sollte ebenfalls nicht gehört werden.
Interview: Serena Schelling
Freikirchen erhalten Zuwachs
Diese Spenden werden auch benötigt: Rund 72 Prozent aller Freikirchengänger besuchen mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) in der neusten Religionsstatistik mitteilt. Bei den römisch-katholischen Kirchen sind es gerade einmal 13 Prozent und bei den reformiert-protestantischen lediglich acht Prozent. Die Teilnahme an Gottesdiensten spiegelt sich auch in der Entwicklung der Religionslandschaft in der Schweiz wider. Während der Anteil der reformiert-protestantischen Bevölkerung zugunsten der Konfessionslosen abnimmt und die Zahl der römisch-katholischen Kirche dank Migrationsströmen annähernd stabil bleibt, wachsen die Freikirchen. Innert der letzten vierzig Jahre verdreifachte sich laut BFS ihr Anteil an der landesweiten Wohnbevölkerung von zwei Prozent auf 5,9 Prozent.
Angebot in Schaffhausen
Damit haben die Freikirchen und die islamischen Glaubensgemeinschaften die drittgrösste Anhängerschaft in der Schweiz. In der Region Schaffhausen ist es ähnlich: Die Freikirchen landen auf dem vierten Platz hinter den Muslimen. Wie Recherchen zeigen, befinden sich die meisten Freikirchen in der Stadt Schaffhausen (12). Die Klettgaugemeinden besitzen am zweitmeisten Freikirchen (9). Insgesamt gibt es sie an rund 35 Standorten im SN-Verteilgebiet. Etwa neun davon sind Chrischonagemeinden, gefolgt von rund sieben Neuapostolischen Kirchen. Letztere haben auch die meisten Mitglieder. Rund 565 Personen gehören im Raum Schaffhausen einer Neuapostolischen Kirche an.
Auf Anfrage teilten diverse Freikirchen mit, dass sie nur eine ungefähre Aussage bezüglich der Mitgliederzahl machen könnten. Es gebe viele Sympathisanten, die nicht wegen regionaler Verbundenheit nach Schaffhausen kämen und auch keine festen Mitglieder sind. «Sie fühlen sich zum Beispiel durch die Art des Gottesdienstes der Kirchgemeinde zugehörig», sagt Pastor Manfred Roth vom Biblischen Glaubenszentrum. Daher sei es schwer, kein falsches Bild von der Kirche zu vermitteln. (ssc)