Zwischen Bratwurst und Champagner

Pascal Schmidlin | 
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Nach zehn Jahren tritt Ariane Ehrat Ende April als Tourismusdirektorin von St. Moritz Engadin zurück. Die Schaffhauserin blickt auf eine erfolgreiche Zeit zurück – obwohl sie das grösste Ziel nicht erreicht hat.

Eines ist im Engadin dieser Tage nicht zu übersehen: Die Ski-WM steht unmittelbar vor der Tür. Plakate an den Wänden – teilweise mehrere Meter hoch –, Werbebanner entlang der Gehwege und natürlich die zahlreichen Prospekte und Flyer in den Restaurants und Hotellobbys künden das «Skispektakel auf höchstem Niveau» an. Für eine bedeutet das zusätzlichen Stress: Ariane Ehrat, CEO von St. Moritz Engadin, der lokalen Tourismusorganisation. «Das ist natürlich eine grosse Herausforderung, aber wir freuen uns enorm auf die WM», sagt die gebürtige Schaffhauserin. Die Weltmeisterschaft der Alpinskifahrer ist ein letzter Höhepunkt in ihrer Karriere im Engadin. Ende April gibt sie nach zehn Jahren ihren Posten als Tourismusdirektorin ab.

Ein mächtiger Baum

Ehrat begrüsst Gäste mit einem freundlichen Lächeln in ihrem schlichten Büro, das sich in der Talstation der Gondelbahn in St. Moritz-Bad befindet. Aus ihrem Fenster hat die ehemalige Skirennfahrerin eine herrliche Aussicht auf das Massiv des Corvatsch – und einen ihrer Lieblingsplätze in St. Moritz: einen grossen Arven- und Lärchenwald auf dem Muottas da Schlarigna – dem Sattel von Celerina. «Dort steht eine über 1000 Jahre alte Arve mit einem Stammdurchmesser von über zwei Metern», sagt sie. Sie wandere gerne hoch zu diesem mächtigen Baum, der sie so fasziniere. «Die Kraft, die dieser Baum hat, um so lange in der Welt stehen zu bleiben, ist unglaublich», sagt sie.

Verlorener Pioniergeist

Spricht Ehrat von der Engadiner Natur, gerät sie ins Schwärmen. «Ich finde sie inspirierend», sagt sie. Ähnlich wie diejenige in ihrer Schaffhauser Heimat mit dem Rheinfall und den Weinbergen. Und zieht weiter Parallelen zwischen dem Bergtal und ihrem Heimatkanton. Beide Regionen seien von grossen Pionieren geprägt worden. Während es in Schaffhausen Industriepioniere waren, welche die moderne Stadt prägten, waren es in St. Moritz die Hotelpioniere, die den heutigen Nobelskiort zu dem machten, was er ist. Und genau diesen Pioniergeist vermisse sie heute etwas. «Wir brauchen in der Schweiz wieder mehr Mut, um Pioniertaten zu vollbringen», sagt sie und kramt eine ihrer Präsentationen hervor. Das Alpinmuseum auf dem Gipfel des Berges Kronplatz in Südtirol, das in das Gestein hinein gebaut wurde und mit der Natur verschmilzt. Oder das neue Weinmuseum in Bordeaux, das mit seiner Architektur auffällt und innert kürzester Zeit zu einem Touristenmagneten wurde. Wichtig sei es, so Ehrat, dass solche Projekte eine Symbiose von Natur, Infrastruktur und Architektur seien – und nicht als Fremdkörper dastehen würden. Schliesslich sei die Natur das Kapital der Schweiz. «Da kann man nicht einfach irgendetwas hinstellen, was nicht passt.»

Ehrat wirkt enthusiastisch und leidenschaftlich, wenn sie über Ideen, Sehenswürdigkeiten und den Tourismus spricht. Fehlende Motivation sei auch nicht der Grund, dass sie ihren Job nun an den Nagel hänge. «Würde ich erst gehen, wenn ich ausgebrannt bin, dann wäre es bereits zu spät», sagt sie. Zudem erhalte die Tourismusorganisation Engadin St. Moritz aufgrund der Gebietsreform in Graubünden ab 2018 eine neue Rechtsform mit neuen Aufgaben. Deshalb sei es der richtige Zeitpunkt, um einen Schnitt zu machen.

Erreicht habe sie von den gesetzten Zielen viele, nicht aber das grösste: die Region als bekannteste und begehrenswerteste Alpendestination zu positionieren. «Da müsste ich noch einige Jahre bleiben», sagt sie.

Nachfolge von «Mister St. Moritz»

Grossen Anteil am Bekanntheitsgrad von St. Moritz hat der ehemalige Kurdirektor Hanspeter Danuser, der Vorgänger von Ehrat, der als «Mister St. Moritz» bekannt wurde. Der Charismatiker umgab sich gerne mit den Schönen und Reichen, zelebrierte den luxuriösen Lebensstil und war das Gesicht des Nobelskiorts.

Ehrat stellt hingegen stets ihr Team, die Natur und die Menschen im Engadin in den Vordergrund – und sich selbst in den Hintergrund. «Es gibt im Engadin viele Gesichter, die für den Erfolg verantwortlich sind», sagt sie. Sie allein könne ja gar nicht alle Aufgaben stemmen. Sinnbildlich dafür hängt über ihrem Schreibtisch ein Zettel mit einem Zitat von Aristoteles: «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.»

Schmelzpunkt der Kulturen

Während sich Danuser gerne im Kreis der High Society zeigte, wirkt Ehrat zurückhaltender. Unwohl fühle sie sich aber in diesen Kreisen nicht – und es sei ja auch wichtig, dass der Glamour nicht aus dem Dorf verschwinde. Doch gebe es hier eben nicht nur die reiche Kundschaft. «St. Moritz ist ein Schmelztiegel verschiedenster Lebensstile», sagt sie. Gerade das bekannte Pferderennen «White Turf» auf dem gefrorenen und schneebedeckten St. Moritzersee sei ein gutes Beispiel dafür. Dort treffe die pelztragende Russin auf den Schweizer Mittelstand. Es sei längst keine Veranstaltung für einen exklusiven Zirkel mehr. «Am ‹White Turf› werden auch Bratwürste verkauft», sagt sie. Und genauso gut könne man dort in der einen Hand eine Wurst und in der andern ein Glas Champagner halten.

Endlich Ferien

Ehrat verlässt das Engadin mit gutem Gewissen. Unter ihrer Führung sei eine Transformation gelungen. Nun wolle sie sich von der operativen Ebene verabschieden und stärker strategisch tätig sein. «Ich würde gerne zwei, drei Verwaltungsratsmandate übernehmen», sagt sie.

Zuerst stehe im Mai aber ein vierwöchiger Urlaub mit ihrem Lebenspartner an. «Wir hatten noch nie vier Wochen gemeinsam Ferien – oder überhaupt vier Wochen am Stück», sagt sie und lacht. Und dann möchte sie auch wieder ihre Heimat Schaffhausen besuchen, was manchmal etwas zu kurz gekommen sei in den letzten Jahren. «Obwohl der Termin jeden Sommer in meiner Agenda stand.»

WM-Silbermedaille: Ariane Ehrats grösster Erfolg im Skizirkus

Am 3. Februar 1985 schrieb die Skifahrerin Ariane Ehrat Schaffhauser Sportgeschichte. Sensationell holte die damals 23-jährige Schaffhauserin im italienischen Bormio die Silbermedaille in der Abfahrt – zeitgleich mit der Österreicherin Katrin Gutensohn. Den Weltmeistertitel holte sich die Tessinerin Michela Figini, womit die Schweiz einen Doppelsieg feiern durfte.

Noch ein Jahr zuvor erlitt Ehrat an den Olympischen Spielen in Sarajevo die wohl bitterste Niederlage ihrer Karriere: Sie erreichte den undankbaren 4. Rang. Die Bronzemedaille vor Augen, schnappte ihr die mit einer deutlich höheren Nummer gestartete Tschechoslowakin Olga Charvátová den 3. Platz weg – und verhinderte damit auch einen historischen Olympia-Dreifachsieg der Schweiz: Olympiasiegerin wurde Michela Figini vor Maria Walliser.

Doch an eben diesem 3. Februar im Jahre 1985 belohnte sich Ehrat mit einer starken Fahrt selbst und setzte den Glanzpunkt hinter ihre Karriere. «Ich bin überglücklich», sagte sie gegenüber den Medien nach ihrem Medaillengewinn. Die Medaille war nicht nur verdienter Lohn, sondern auch wegweisend für die weitere Karriere: «Wenn mir diese WM total missraten wäre, hätte ich mir überlegen müssen, ob ich noch weitermachen will. Aber jetzt fahre ich natürlich weiter», sagte sie damals.

Lange sollte die Karriere Ehrats aber nicht mehr dauern. 1987 wurde sie vom Schweizerischen Skiverband ins Regionalkader verbannt. Damit war ihr eine Teilnahme an Weltcuprennen nicht mehr möglich. Vorausgegangen war diesem Entscheid ein schwerer Sturz von Ehrat in einem Abfahrtsrennen in Badgastein. Dabei verletzte sie sich am Rücken. Es folgte eine schwache Saison, weshalb der damalige Damen-Cheftrainer Jean-Pierre Founier entschied, Ehrat für die letzten Rennen in den USA nicht mitzunehmen. Obwohl sich Ehrats Teamkolleginnen hinter sie stellten, liess sich Fournier nicht umstimmen. Die Schaffhauserin zog anschliessend die Konsequenzen und beendete im Frühling ihre Skikarriere. Zwar unternahm sie im Dezember 1987 einen erneuten Anlauf und versuchte, unter anderer Flagge an Weltcuprennen zu starten. Doch der Internationale Skiverband schob just in dieser Zeit dem damals nicht unüblichen Nationenwechsel einen Riegel vor – und verhinderte ein mögliches Comeback.

Archivbild: B. + E. Bührer

Zur Person Ariane Ehrat

Spitzensport Von 1979 bis 1987 war Ariane Ehrat, die 1961 in Schaffhausen geboren wurde, Teil der Frauennationalmannschaft im Skisport. 1984 wurde sie an den Olympischen Spielen in Sarajevo Vierte in der Abfahrt. 1985 gewann sie in Bormio die WM-Silbermedaille in der Abfahrt. Ein Weltcuprennen konnte Ehrat nie gewinnen. Wegen einer Verletzung musste sie ihre Karriere beenden.

Kommunikation Nach der Skikarriere studierte Ehrat Kommunikation an der Universität in Lugano und in Memphis. Anschliessend arbeitete sie in der Kommunikationsabteilung der Tourismusorganisation Flims, Laax, Falera und später bei Radio DRS in Zürich. Seit 2008 ist sie CEO von Engadin St. Moritz. Ende April wird sie die Organisation nach 10 Jahren verlassen. Ihr Nachfolger wird der Österreicher Gerhard Walter.

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