Gewalt gegen Lehrer – nicht bei uns

Der Kanton Schaffhausen ist für Lehrpersonen offenbar ein Paradies. Im Gegensatz zur übrigen Deutschschweiz scheint es so gut wie keine Drohungen oder sonstige Gewaltaktionen gegen Lehrerinnen und Lehrer zu geben. Vielleicht wollen sich Betroffene aber nur nicht outen.
Die Umfrage liess Mitte Januar aufhorchen: Zwei von drei Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren psychische oder physische Gewalt erlebt (SN vom 17. Januar). Dies ergab eine Befragung im Auftrag des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) von 6789 Personen im schulischen Umfeld, darunter 5435 Lehrpersonen – 6,5 Prozent der Lehrerpopulation in der Deutschschweiz. Die SN gingen nun der Frage nach, wie sich die Situation im Kanton Schaffhausen darstellt und haben bei verschiedenen Schulbehörden angefragt, ob Fälle bekannt sind. «Nein», war die beinahe einhellige Antwort. Bis auf eine Schulpräsidentin, die uns den Kontakt zu einer betroffenen Lehrperson herstellten konnte (siehe Text unten). Die mehrheitliche Einschätzung deckt sich auch mit der Aussage des Schaffhauser Erziehungsdepartements, für das Ruth Marxer, Leiterin Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I, Auskunft gibt.
«Alpenblick-Schüler drohte mit Mord», so titelten die SN am 16. Februar 2018. Ein Schüler des Schulhauses Alpenblick hatte damit gedroht, eine Lehrperson zusammenzuschlagen und sogar zu töten. Seither sind keine derartigen Gewalt-Drohungen gegen Lehrpersonen im Kanton Schaffhausen bekannt geworden. Gemäss der Umfrage des LCH sehen sich die befragten Lehrpersonen am häufigsten mit Gewalt konfrontiert, die von den Schülerinnen und Schülern in der eigenen Klasse oder den Erziehungsberechtigten ausgeht. Ruth Marxer kann dies für den Kanton Schaffhausen nicht bestätigen: «Gemäss unseren Erfahrungen ist im Kanton Schaffhausen der Austausch zwischen Lehrpersonen und Eltern grossmehrheitlich geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Die Schulen wie auch die Lehrpersonen sind stets um eine professionelle und respektvolle Kommunikation mit den Eltern bemüht.»
Dienststelle bietet Unterstützung
Um möglichen Konflikten proaktiv entgegenzuwirken, sei eine transparente Rollenklärung besonders wichtig, wie auch klare Haltungen und Richtlinien betreffend Kommunikation und Verhalten, etwa im Leitbild einer Schule. Ihre Dienststelle unterstütze die Schulen diesbezüglich unter anderem mit der Broschüre «Zusammenarbeit von Schule und Eltern», in der die verschiedenen Rechte wie auch Pflichten geklärt sind. «Natürlich kann es trotz aller Bemühungen zu Konflikten zwischen Eltern und Lehrpersonen kommen», hält Marxer fest. Diese würden in einem ersten Schritt auf kommunaler Ebene versucht zu lösen, unter Einbezug der zuständigen Schulleitungen und/oder Schulbehörden: «Können die Konflikte nicht gelöst werden, stehen die zuständigen Schulinspektorinnen und Schulinspektoren oder auf personalrechtlicher Ebene die Abteilung Finanz- und Personalwesen als Ansprechpartner zur Verfügung.»
Marxer weist darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Ombudsstelle handelt, sondern vielmehr um eine Anlaufstelle, die Unterstützung bieten soll. Lehrpersonen des Kantons Schaffhausen könnten sich bei persönlichen, betrieblichen, gesundheitlichen, finanziellen und eingliederungsspezifischen Fragestellungen an die unabhängige Beratungsstelle Movis AG wenden, die auch eine Aussenstelle in Schaffhausen betreibt. Hierbei seien auch Fragestellungen rund um die persönliche Integrität (Mobbing, sexuelle Belästigung, Gewalt, Diskriminierung) eingeschlossen. Zudem setzt der Kanton auf die Weiterbildung der Lehrpersonen an der PH Schaffhausen. «Bereits heute gibt es zu dieser Thematik verschiedene Kursangebote für Lehrpersonen», so Marxer.
«Es kann ja nicht sein, dass schweizweit zwei Drittel der Lehrpersonen betroffen sind, und bei uns gibt es das nicht.»
Roman Staude, Vorstandsmitglied Verein Lehrpersonen Schaffhausen
Der Kanton Schaffhausen also ein Paradies für Lehrpersonen? Der Presseverantwortliche des Vereins Lehrpersonen Schaffhausen (LSH), Roman Staude, bezweifelt, dass Gewalt an Lehrpersonen hier nicht existiert: «Es kann ja nicht sein, dass schweizweit zwei Drittel der Lehrpersonen betroffen sind, und bei uns gibt es das nicht.» Doch auch der LSH habe «in letzter Zeit» nichts in dieser Art mitbekommen. «Wahrscheinlich kommt man als Betroffener nicht auf die Idee, sich als Erstes beim LSH zu melden», vermutet Staude, der im Sommer seit 14 Jahren an der Kantonsschule Schaffhausen unterrichtet. Er selbst würde sich bei Problemen zunächst der Schulleitung anvertrauen, vielleicht auch Kollegen einbeziehen – und natürlich sich selbst hinterfragen.
Auch eine Frage der Definition
Um dem Thema präventiv zu begegnen, sei es am besten, ein gutes Verhältnis zur Klasse aufzubauen, dann finde man sich in den allermeisten Fällen auch mit den Eltern: «Das ist aber sicherlich auch vom Naturell abhängig. Es gibt Eltern, die definitiv seltsame Ansichten haben – auch dazu, wie man mit ihren Kindern umgehen sollte.» Manchmal gingen die Meinungen über die Leistungsfähigkeit eines Kindes bei Eltern und Lehrperson weit auseinander. «Ich bin schon mal von Eltern wegen schlechter Ergebnisse in Maturaprüfungen angegangen worden, habe mich da aber nie unter Druck gesetzt gefühlt», erinnert sich Staude und ergänzt: «Wir haben uns zusammengesetzt und ich habe den Eltern erklärt, wie die Noten zustande gekommen sind. Aber vielleicht wären das für jemand anderes schon Beeinflussungen von aussen oder Druckversuche.» Seiner Meinung nach sei es sicherlich oft auch eine Definitionsfrage, wann etwas psychische Gewalt ist und wann nur ein unangenehmes Gespräch.
Was den Verein Lehrpersonen Schaffhausen bei der Umfrage am Hellhörigsten gemacht hat, sei hingegen, dass doch ein relativ hoher Prozentsatz von elf Prozent der psychischen Gewalt aus Sicht der Lehrpersonen von den Schulleitungen ausgehe. «Da gibt es also offensichtlich Leute, die ihre Machtposition ausnutzen», sagt Staude, auch wenn ihm dazu keine Fälle im Kanton Schaffhausen bekannt sind.