Was bleibt, ist die Schuld

Männer, die ihren Frauen wehtun, habe er immer verabscheut, sagt A. Doch dann wird er Anfang 2022 selbst zum Täter: Er ohrfeigt seine Frau mehrmals. Mit den SN hat er über Schuld, über seine Ehe heute und über die Gewaltberatungen, die er gemacht hat, gesprochen.
Es ist ein Winterabend Anfang des Jahres 2022, als es passiert. A. holt zur Ohrfeige aus – mehrmals. Seine Frau stürzt, knallt gegen die Wand. Blaue Flecken. Die Nachbarn bekommen es mit, sie rufen die Polizei.
Heute sitzt A. in einem weissen Sessel wieder in dem Raum, in dem er schon 13 Beratungen besucht hat. Berater Šéma Štěpaník von der Fachstelle für gewaltausübende Personen «Konflikt.Gewalt.» hat ebenfalls Platz genommen. «Ich habe Männer, die ihren Frauen wehtun, immer verabscheut», sagt A. «Ich fragte mich: Was sind das für Menschen?» Seit er selbst zugeschlagen hat, habe sich seine Sicht verändert. Er beurteile nun jeden Fall von Gewalt individuell. «Nicht überall, wo es zu Gewalt kommt, sind schlechte Menschen involviert. Ich bin kein Monster.»
Seine Frau habe schon immer gern Alkohol getrunken, erzählt A. Vor allem, wenn sie eine schwierige Zeit hatte. Anfang Jahr hätten sich die Fälle, in denen sie massiv trank, gehäuft. «Dann war sie nicht mehr sie selbst.» Nicht nur einmal sei es vorgekommen, dass sie sich beim Taumeln verletzt habe. «Ich ging in Angst um sie zur Arbeit.» Als er sie an besagtem Abend zu Bett bringen wollte, kam es zum Streit. Man habe sich «gröber angefasst», sie sei auf ihn losgegangen. Dann schlug er zu. Da gebe es nichts schönzureden, sagt A.
Lernen, die Schuld zu tragen
Oft geschehe es, dass seine Klienten zu Anfang der Beratungen sich verhalten, als wären sie Opfer der Situation geworden, obwohl sie die Täter sind, sagt Štěpaník. Er schaut seinen Klienten an: «Auch bei Ihnen war das so.» A. nickt. Die meisten seiner Klienten hätten eine grosse Bereitschaft, sich zu verändern. «Es sind Väter, Partner, Kollegen, die zu mir kommen und verzweifelt sind, weil sie zugeschlagen haben und über sich selbst erschrocken sind. Sie kommen oft aus eigenem Antrieb.» Künftig wird aber auch eine andere Art von Klienten bei Štěpaník ein und aus gehen, denn Beratungen können in Schaffhausen seit einiger Zeit auch von Strafvollzugsbehörden angeordnet werden (siehe Box).
Ein Grund, warum A. sich für die Beratung gemeldet hat, sei, um zu lernen, mit der Schuld umzugehen. Loswerden werde er sie nicht, sagt sein Berater. Aber er lerne, sie zu tragen. «Die Schuld behält die 100 Kilo, die sie wiegt. Aber durch die Therapie werden der Rücken und die Beine stärker, um die Schuld zu tragen. Und man weiss, wie man dafür sorgt, dass sie nicht 200 Kilo wiegen wird.» Die Schuld sei ein Warnfinger.
«Er hat sich über seine Frau erhoben»
«Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin», sagt A. Der beschriebene Vorfall war der zweite in kurzer Zeit, in dem er zu physischer Gewalt griff. Zu sagen, er hätte, wenn seine Frau betrunken war, einfach die Wohnung verlassen sollen, sich der Situation entziehen sollen, sei zu einfach, sagt er. «Ich hatte erst Ruhe, wenn ich wusste, sie ist im Bett, schläft ihren Rausch aus und ist am nächsten Tag wieder meine Frau.»
«Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin.»
A.
In den Beratungen haben Štěpaník und A. auch viel über die Vergangenheit gesprochen. Sie haben Konfliktsituationen simuliert und Strategien für den Umgang damit entwickelt. «Unser Grundsatz lautet: Wir lehnen nicht den Menschen ab, sondern seine Taten», so Štěpaník. Über A. sagt er, er habe gelernt, dass es das Recht nicht gibt, im Konfliktfall Formen von Gewalt einzusetzen. «Er hat sich über seine Frau erhoben. Jeder hat Eigenverantwortung, und man muss wissen, wo die eigene Verantwortung aufhört.»
Nach dem Polizeieinsatz beschliesst A.s Frau, eine Therapie zu machen und ihren Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen, A. meldet sich für eine Gewaltberatung an. «Zum Schlag kommt es schneller, als man denkt. Jeder sollte einmal darüber nachdenken, damit er solche Situationen abwehren kann, bevor sie passieren.»
Schockierte Familie
Über die Alkoholkrankheit seiner Frau habe er damals mit niemandem gesprochen, sagt A. «Ich war allein mit dem Thema, konnte mich mit niemandem austauschen.» Er habe nicht gewollt, dass sie vor seinem Umfeld schlecht dastehe. Heute bereut er das. Vielleicht, sagt er, wäre es nie zu den Schlägen gekommen, wenn er sich geöffnet hätte, statt alles in sich hineinzufressen. «Ich wollte ihr nicht wehtun.» Ihm sei eine Sicherung durchgebrannt. «Ich werde mir das nie verzeihen, aber ich muss einen Weg finden, damit umzugehen.»
Heute reden A. und seine Frau mehr, sagt er, über Probleme und Gefühle, die sie haben. Sie würden Ängste und Sorgen teilen. A.s Familie weiss, was passiert ist. Empört und schockiert sei sie gewesen. «Aber ich will nichts mehr verheimlichen. Genau das war ja mit ein Grund, dass es zu Gewalt gekommen ist.» Im Nachhinein habe sich die Unterstützung der Familie, neben dem professionellen Support, als entscheidender Faktor erwiesen, dass seine Ehe eine weitere Chance erhalten hat.
Früher, sagt A., habe er gedacht, dass man in gewissen Situationen mit Gewalt weiterkommt. «Ich weiss jetzt, dass es falsch ist, mit Gewalt etwas bewirken zu wollen.»
*Name der Redaktion bekannt