Schlittschuhlaufen auf holprigem Eis

Elena Stojkova | 
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Wo heute die Autostrasse Richtung Herblingen durchführt, schufen die Schaffhauser vor vielen Jahrzehnten ein 7000 Quadratmeter grosses Eisfeld: die Spitzwiese.

Güterzüge und Eisenbahnwagen rangieren hier, und nebenan donnert der Verkehr über die Autostrasse Richtung Herblingen: Vor etwa 60 Jahren befand sich an diesem Ort die Spitzwiese. Hier frönte die Schaffhauser Bevölkerung schon Ende des 19. Jahrhunderts dem Schlittschuhlaufen, bevor die Kunst­eisbahn auf der Breite im Jahr 1965 ihre Pforten öffnete, denn in dieses flache Gelände wurde damals ein Teil des Wassers des Krebsbaches geleitet. So entstand, sobald es kalt genug war, ein Eisfeld, das zahlreiche Schlittschuhfreunde, Eishockeyaner und Eiskunstläuferinnen in die Nähe der Brauerei Falken lockte. «Ich habe das Gefühl, dass wir als Jugendliche jedes Jahr auf der Spitzwiese eisgelaufen sind», sagt der 1948 geborene Schaffhauser Werner Siegrist. Zahlreiche Schaffhauser hätten sich stets dort versammelt, wenn es draussen eisig kalt wurde. Aufwärmen konnte man sich mit einem heissen Punsch oder Tee vom Kiosk, der neben dem Eisfeld stand. «Holprig war das Eis», erinnert sich Siegrist lachend. Gestört hat das aber nicht. «Im Gegenuhrzeigersinn fuhren wir unsere Runden.» Das sei eine ungeschriebene Regel gewesen, die natürlich nicht jeder befolgt habe. «Oft haben wir auf dem Eis Pärlifangis gespielt, das war im Trend.»

Das Eindrücklichste am Eislauf aber war das Fahrwerk dazu, wie Siegrist erzählt. «Wir hatten diese hohen Schuhe an, Wander- oder Bergschuhe – und daran befestigten wir die sogenannten Schraubendampfer.» Das sind Metallkufen, die an einem schweren Schuh festgeklemmt werden. «Dazu brauchten wir einen Vierkantschlüssel», erklärt Siegrist. «Beim Eislaufen sind uns die Schraubendampfer immer wieder einmal abgefallen, weil wir als Kinder zu wenig Kraft hatten, sie fest genug anzuziehen.»

Eigentum der SBB

Die Spitzwiese war mit ihren rund 7000 Quadratmetern die grösste Eisbahn Schaffhausens. Im Sommer wurde sie als Spielwiese genutzt. Die Eisschicht wurde jeweils etwa zehn Zentimeter dick, wobei sich unter ihr mindestens noch zehn Zentimeter Wasser befanden. Ihr Unterhalt unterstand dem Eisclub Schaffhausen, welcher jedoch auf die finanzielle Unterstützung der Stadt angewiesen war. Letztere hatte das Areal von den SBB gepachtet. Schon früh, wohl bereits in der 30er-Jahren, zitterten die Schaffhauser um ihre geliebte Eisbahn, da die Spitzwiese als Eigentum der SBB in die in Aussicht gestellten Bahnhoferweiterungen einbezogen werden sollte. Trotzdem wurde sie eifrig weitergenutzt: Im Jahr 1933 fand gemäss Aufzeichnungen des Eishockeyclubs Schaffhausen der erste Eishockeymatch auf der Natureisbahn statt. Ein Jahr vorher hatten sich einige Mitglieder des Eisclubs Schaffhausen getroffen, um über die Etablierung des Eishockeysports in der Munotstadt zu debattieren. So entstand die Untersektion «Eishockey» des Eisclubs. Bereits 1876 wurde der Eisclub erstmals erwähnt. Seine Mitglieder waren es, die sich für die Erstellung der Spitzwiese starkmachten. Die ursprüngliche Organisation des Eisclubs oder «Schlittschuhclubs», wie er sich nannte, löste sich aber nach kurzer Zeit wieder auf. Erst im Jahr 1917 kam es zur Gründung eines stabilen Eislaufvereins, der es sich zur Aufgabe machte, Eisbahnen zu schaffen und das Eislaufen in technischer Hinsicht zu fördern. Durch seine Initiative wurden verschiedene Flächen, wie zum Beispiel der Turnplatz Emmersberg, im Winter durch Übergiessen mit Wasser in Eisbahnen verwandelt. Viele Städte waren der Stadt Schaffhausen einen Schritt voraus und besassen bereits Kunsteisbahnen, die bessere Bedingungen für Eissportarten boten. Die Eishockeyaner absolvierten deshalb viele ihrer Matches auswärts. Trotzdem fanden auch in der Munotstadt Eishockeyspiele statt. «Wenn es Risse im Natureis gab, haben wir sie mit Schnee ausgebessert», erinnert sich Rolf Stierlin. Als 16-jähriger Bub ist er im Jahr 1950 dem Eishockeyclub beigetreten und hat diesen Sport 37 Jahre lang ausgeübt. Damit das Publikum bequem zuschauen konnte, hat er mit seinen Mannschaftkollegen mit alten Holzmasten und Eisenbahnschwellen Sitzmöglichkeiten gebaut. «Und vor jedem Spiel haben wir die Linien des Eishockeyfelds neu auf das Eis gemalt», erinnert er sich. Ab und zu sei die Farbe im Eimer gefroren. «Dann mussten wir sie an einem Ofen wieder aufwärmen.»

Gelegenheiten zum Eislaufen boten sich in Schaffhausen nicht nur auf geschaffenen Eisflächen wie der Spitzwiese, sondern auch auf zahlreichen natürlichen Gewässern, die zufroren. Besonders beliebt waren der Nägelsee bei Buchthalen und der Morgetshofsee in Thayngen. Natürlich werden sie, wenn es denn kalt genug ist, auch heute noch zu Eisflächen. So sah man im Januar 2017, der als kältester der letzten 30 Jahre gilt, einige Schlittschuhläufer auf dem Bruedersee bei Barzheim oder auf dem Wilchinger Bettenweiher. Für das Zufrieren des ganzen Bodensees reichte die Kälte hingegen seit 1963 nicht mehr.

Zwei Wochen pro Winter

In warmen Dezembern wie diesem konnte die Schaffhauser Bevölkerung vor der Zeit der KSS vom Schlittschuhlaufen in der Heimatstadt nur träumen. Es war ein besonderer Sport, der nur unter bestimmten Bedingungen möglich war. «In guten Wintern konnten wir etwa zwei Wochen lang Schlittschuh laufen, in schlechten Wintern nur wenige Tage», sagt Stierlin. In den besten Wintern sei das Eis sogar drei bis vier Wochen intakt gewesen, in anderen wiederum wollte das gestaute Wasser auf der Spitzwiese gar nicht gefrieren.

Wunsch nach mehr Eislauf

Schon vor 60 Jahren wurde in den «Schaffhauser Nachrichten» über milder gewordene Winter berichtet, selten blieb Schnee länger liegen. Für die winterliche Freizeitgestaltung, so hiess es in einem Artikel vom 8. August 1961, müsse unbedingt etwas getan werden. Zu wenig Platz stehe für das Schlittschuhlaufen zur Verfügung. Das müsse sich ändern – um der Volksgesundheit willen. Die Mitglieder des Eisclubs fingen also an, Pläne für die Errichtung einer Schwimmanlage mit Kunst­eisbahn zu schmieden, denn der Mangel würde gross sein, sobald die Eisbahn Spitzwiese wegen des Baus des Güterbahnhofs und der industriellen Erschliessung des Fulachtals verschwindet. Ausserdem brauchte Schaffhausen eine Eisbahn, die auch gehalten werden kann, wenn es nicht eisig kalt ist.

Vier Jahre später, 1965, wurde der Wunsch des Eisclubs und der Bevölkerung mit der Eröffnung der KSS bereits erfüllt. Heute können Schaffhauser, wenn sie denn möchten, die Schlittschuhe jeden Winter über mehrere Monate hinweg montieren – auch ohne ständige Minustemperaturen. Und seit Neuestem bietet auch eine kleinere Kunsteisbahn auf dem Herrenacker diese Möglichkeit. Trotzdem sind und bleiben Natureisbahnen spektakulär, weil sie nichts Selbstverständliches sind. Genauso waren bis in die 60er-Jahre Eisbahnen im Allgemeinen nichts Selbstverständliches. Denn jeden Winter waren Herr und Frau Schaffhauser auf Neue gespannt, wie lange das Eis halten wird – oder ob es sich überhaupt bildet.

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