Ringen um eine Lösung im Fall E. S.
Zwei Jahre nach dem Urteil des Kantonsgerichts stand E. S. vor Obergericht. Die Verteidigung stellt sich auf den Standpunkt, dass dem Mann keine Massnahme, sondern einzig Freiheit helfe.
Eine Gerichtsverhandlung wegen diverser Straftaten hat nichts Witziges. Dennoch nahm die gestrige Verhandlung am Schaffhauser Obergericht Züge einer Farce an: Neben dem anwesenden Publikum und den Polizeiaufsehern konnten sich selbst die Damen und Herren Oberrichter ab und an ein Grinsen nicht verkneifen. Etwa dann, wenn der Beschuldigte E. S. Ausführungen dazu machte, was er für Zukunftspläne habe oder wie er angesprochen werden wolle. «Ich heisse eigentlich Baron von Hornstein», sagte er. Nach der Verhandlung habe er zudem Urlaub notwendig, um sich zu erholen. «Am besten in Südeuropa oder in den Tropen», so der Beschuldigte.
E. S., der die Schaffhauser Justiz und Behörden bereits Jahre beschäftigt, stand zuletzt im Dezember 2015 vor Gericht. Damals wurde er vom Schaffhauser Kantonsgericht zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten und zu einer Busse verurteilt. 2013 war er vom Kantonsgericht noch in Freiheit entlassen worden: Es hatte auf eine Verlängerung seiner Betreuung in einer psychiatrischen Klinik verzichtet.
Die 2015 ausgesprochene Haftstrafe war jedoch zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben worden. Martin Schnyder, amtlicher Verteidiger von E. S., legte damals Berufung gegen dieses Urteil ein. Zur Verhandlung sollte es aber nicht kommen, weil der Schaffhauser wenige Tage nach der Urteilseröffnung aus dem Alters- und Pflegeheim Tabor im zürcherischen Wald ins Ausland floh.
Weil E. S. Ende September im Kanton Wallis verhaftet worden war, kam es gestern nun verspätet zur Berufungsverhandlung. Zuvor hatte er sich lange in Leipzig aufgehalten, wie er dem Gericht (Vorsitz: Annette Dolge, Cornelia Stamm Hurter und Kilian Meyer) gestern schilderte.
Flucht endete in Leukerbad
Irgendwann im letzten Herbst entschied sich der 68-Jährige, Leipzig zu verlassen und nach Frankreich zu reisen. Er habe schon immer nach Südfrankreich oder Süditalien gewollt, sagte er gestern. Da in Frankreich seine Kreditkarte nicht funktionierte, kehrte er nach Deutschland zurück. Seine Wohnung war inzwischen aber nicht mehr frei, weshalb er sich letztlich dazu entschied, nach Zürich zu seinem Finanzbeistand zu reisen. Dieser sei nicht erreichbar gewesen, darum habe er sich auf den Weg nach Genf gemacht – zu Jean Ziegler, dem bekannten Soziologen. Er sei in den Zug nach Brig gestiegen und habe diesen in Leuk verlassen. Dort wurde er dann festgenommen, weil er seine Einkäufe nicht bezahlen konnte. An der Verhandlung kritisierte er seinen Beistand deswegen mehrmals. Dieser habe ihm Geld, das ihm zustehe, nicht gezahlt. Mehrfach während der Verhandlung betonte er, dass «saftige Rechnungen» an seinen Beistand geschickt werden sollen – eine Aussage, die im Saal ebenfalls wiederholt für Schmunzeln sorgte.
Renitent unter Druck
Ein Schmunzeln, das in Anbetracht der langen Liste der Straftaten des Beschuldigten vergeht. Am 19. November 2014 habe er eine Tür eines Isolationsraums des Psychiatriezentrums Breitenau in Schaffhausen beschädigt. Dabei entstand ein Schaden von gut 24 000 Franken. Das Kantonsgericht hatte E. S. wegen Sachbeschädigung mit grossem Schaden verurteilt. Verteidiger Schnyder forderte gestern einen Freispruch in diesem Punkt. «Man kann nicht davon ausgehen, dass eine solche Panzertür nur mit Fusstritten beschädigt werden kann», sagte er in seinem Plädoyer. Zudem seien die Schläge und Tritte eine der wenigen Möglichkeiten für seinen Mandanten, seinen Protest auszudrücken. Grundsätzlich sei es so, dass er renitent auf Druck reagiere. «Je höher der Druck, desto stärker wehrt er sich», sagte Schnyder. Stationäre strafrechtliche Massnahmen seien darum aussichtslos, wie die Vergangenheit gezeigt habe, so der Verteidiger. «Die primäre Therapie für meinen Mandanten ist die Freiheit», sagte Schnyder. Er schlug vor, dass E. S. eine ständige Begleitung erhalte – gewissermassen ein Sondersetting. Der Verteidiger forderte zudem einen Freispruch im Punkt der Beschimpfung.
Der erste Staatsanwalt Peter Sticher beantragte gestern, die Berufung abzuweisen. In seinem Plädoyer blieb er bei den Strafanträgen, die er bereits vor dem Kantonsgericht gefordert hatte. Dass er weiterhin an einer geschlossenen Massnahme festhalte, begründete er unter anderem damit, dass sich beispielsweise in Schaffhausen gezeigt habe, wie Gefängnisse mit dem Beschuldigten an ihre Grenzen stossen. «Der Beschuldigte muss nicht nur geheilt, sondern der Aktionsradius muss eingeschränkt, und künftige Taten müssen verhindert werden.»
Das Urteil des Obergerichts wird am kommenden Montag verkündet.