Von Übergängen und Überprivilegien

Alexa Scherrer | 
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Auch die Frauenfrage wurde von Hannes Germann (SVP) und Martina Munz (SP) heiss diskutiert. Bilder: Selwyn Hoffmann

Eine Mammutvorlage ist die Altersvorsorge 2020, über die am 24. September abgestimmt wird. Im Streitgespräch kämpfen die Schaffhauser Parlamentarier – SP-Nationalrätin Martina Munz und SVP-Ständerat Hannes Germann – mit harten Bandagen um jedes Argument. In einem überraschenden Punkt sich die beiden aber einig.

Sie haben beide mehrere Kinder – Frau Munz, Sie sind für die Reform, Herr Germann – Sie dagegen. Warum profitieren Ihre Kinder von Ihrer jeweiligen Wahl stärker?

Martina Munz: Für die Jungen ist das eine gute Reform. Sie werden aus mehrfachen Gründen davon profitieren. Einerseits findet heute in der zweiten Säule eine ganz starke Umverteilung statt – von den Erwerbstätigen hin zu den Rentnerinnen und Rentnern. Und diese Umverteilung wird mit der Reform reduziert. Andererseits hinterlassen wir den Jungen keinen Schuldenberg, die Altersvorsorge ist bis ins Jahr 2030 ausfinanziert. Darauf können die Jungen zählen, was sie davon entlastet, ihre Eltern finanziell unterstützen zu müssen.

Hannes Germann: Zuerst: Dieses letzte Argument ist doch an den Haaren herbeigezogen. Generell lässt sich sagen, dass die junge Generation bis 45 Jahre bei dieser Reform zu den absoluten Verlierern gehört. Da gibt es nichts zu beschönigen. Sie zahlen eine höhere Mehrwertsteuer, ihnen wird mehr vom Lohn abgezwackt, bei der Pensionskasse müssen sie höhere Beiträge bezahlen und erhalten dafür zwölf Prozent weniger – wo soll denn da der Gewinn sein?

Wie sähe Ihre Alternative aus?

Germann: Die AHV können wir vorerst so lassen, wie sie ist. Wir laufen so oder so in einen Engpass, aber sie hat auch noch relativ grosse Reserven.

Hannes Germann, SVP-Ständerat 

Spricht für Sie die demografische Situation nicht für einen akuten Handlungsbedarf?

Germann: Natürlich. Aber ich vergleiche es immer mit einem Unternehmen: Stellen Sie sich vor, eine Firma kommt nicht durch mit den Mitteln, die sie einspielt – und dann sitzt der Chef vor seinen Mitarbeitern und gibt zuerst allen einmal mehr Lohn. Da würden alle denken: Ja wunderbar, aber ganz dicht ist der gute Mann ja wohl nicht. Und genau daran krankt diese Reform. Indem man die 70 Franken zusätzliche AHV-Rente nur den Neurentnern gibt, schafft man zudem eine Zweiklassengesellschaft. Das ist für mich nicht akzeptabel. Erhöhte Mehrwertsteuer, höhere Lohnabzüge, höheres Frauenrentenalter – wir spielen alle Trümpfe und laufen ab 2030 trotzdem wieder ins Minus. Dass man darüber hinaus die 45- bis 65-Jährigen – darunter die meisten Parlamentarier – einseitig privilegiert, ist für mich stossend.

Frau Munz, was sagen Sie zum Vorwurf, dass die jetzigen Rentner bei der Reform übergangen werden?

Munz: Dieser Vorwurf ist falsch. Die heutigen AHV-Rentnerinnen und Rentner erhalten den Teuerungsausgleich, den die Bürgerlichen schon lange streichen wollen. Zu Beginn der Revision war der Konsens klar: keine Renteneinbussen, sichere Finanzierung und eine Modernisierung der Altersvorsorge. Das wird mit dieser Kompromissvorlage alles erreicht. Wenn Hannes Germann findet, es sei unfair, dass die Rentner keine Erhöhung der AHV-Rente bekommen – warum hat er dann dagegen gestimmt? Wir hätten der Rentnergeneration nämlich gerne auch die 70 Franken gegeben Das es nicht so ist, ist ein Teil des Kompromisses. Herr Germann war einer von denen, der dagegen gekämpft hat.

Haben Sie?

Germann: Das ist eine Unterstellung, die ich so nicht gelten lasse. Darüber konnten wir leider gar nicht mehr abstimmen. CVP und SP haben ein Päckli geschnürt, eine Mehrheit gefunden und uns jedes Mal eiskalt überstimmt. Bis zum Schluss wurde es gegen den vehementen Widerstand des Nationalrats durchgezwängt. Im Nationalrat hiess es, es könne nicht angehen, dass die AHV erhöht wird, wenn sie saniert werden soll. Im Ständerat haben wir probiert, um aus diesem Dilemma herauszukommen, die Minimalrente bei den tiefen Einkommen nach oben zu korrigieren. Stattdessen drängen wir die 70 Franken jetzt sogar denjenigen auf, die 8000 Franken oder noch mehr Pensionskasse erhalten.

Munz: Es ist richtig, dass die 45- bis 64-Jährigen gut fahren. Auch viele Frauen gehören hier dazu, und diese müssen wirklich eine dicke Kröte schlucken, weil ihr Rentenalter auf 65 Jahre erhöht wird. Umso wichtiger ist deswegen der AHV-Zuschlag. Bei drei Vierteln aller Rentner kommt im Alter das grösste Einkommen aus der AHV. Bei den Frauen hat fast die Hälfte nur die AHV. Zudem wird die Altersvorsorge flexibilisiert. Teilpensionierungen mit flexiblem Altersrücktritt zwischen 62 und 70 Jahren werden möglich. Bei Frühpensionierungen werden die Renten weniger gekürzt. So können sich Frauen trotz der Rentenaltererhöhung mit 64 frühpensionieren lassen und erhalten trotzdem gleich viel wie heute.

Germann: Vergessen Sie das!

Munz: Bei den hohen Einkommen ist es nicht so, aber es gilt für die meisten Frauen, die nur von der AHV leben. Und viele Frauen konnten nach dem bisherigen Modell gar keine Pensionskasse aufbauen. Dass sie im Erwerbsleben oft benachteiligt waren, wird mit dieser Reform ebenfalls korrigiert. Wir Frauen bekommen einen besseren Zugang zur zweiten Säule, weil die Teilzeitarbeit besser abgegolten wird und der Koordinationsabzug tiefer ist.

Einverstanden, Herr Germann?

Germann: Dass viele Frauen voll auf die AHV angewiesen sind, damit bin ich einverstanden. Aber ausgerechnet diejenigen Frauen, die jetzt schon 64 und mehr sind, sehen von all diesen Verbesserungen nichts. Warum gibt man diesen Frauen diese 70 Franken nicht auch?

Munz: Es geht nicht um einen Ausbau, sondern um die Erhaltung des Rentenniveaus. Die bisherige Rentnergeneration hat keine Einbussen wegen der Senkung des Umwandlungssatzes.

Germann: Also die Frauen müssen Nein stimmen.

Munz: Das ist absolut falsch. Frauen haben wegen den meist kleinen Einkommen in der Regel eine kleine oder gar keine Pensionskasse. Der AHV-Zuschlag bedeutet für sie eine Besserstellung.

Sind das keine nachvollziehbaren Argumente für Sie, Herr Germann?

Der Preis, den die Frauen dafür zu zahlen haben, ist mir zu hoch. Viele Bezüger der tiefen Renteneinkommen sind Frauen. Und die lassen wir bei der AHV ohne jeglichen Zuschlag auf dem Minimum von knapp 1200 Franken sitzen. Eine Erhöhung bis 1500 Franken für diese Einkommensklasse hätten sogar meine SVP-Kollegen im Ständerat mitgetragen. Und das wäre mit den gleichen Mitteln passiert, wie wenn wir jetzt mit der Giesskanne die 70 Franken verteilen. Das wäre zehn Mal schlauer gewesen.

Munz: Es hat 180 Kommissionssitzungen gegeben, alles wurde vorwärts und rückwärts durchgerechnet. Und aus all diesen Vorschlägen ist das resultiert, was mehrheitsfähig war. Diesen Kompromiss haben wir hart erarbeitet. Ich hätte auch gerne die unteren Einkommensgruppen noch mehr unterstützt.

Sehe ich das richtig, dass in dieser Frage Konsens am Tisch herrscht – zu einem Element, das nicht Teil der Reform ist, das Sie beide aber begrüsst hätten?

Germann: Genau deswegen muss man die jetzige Vorlage ablehnen – und auf das vorher angesprochene Modell wechseln. Ich bin davon überzeugt, dass die SP das mittragen würde. Man hat sich einfach zu früh auf diese 70 Franken eingeschossen.

Munz: Eine sozial bessere Vorlage bringen wir mit dieser Mehrheit nicht hin. Die AHV als wichtigstes Sozialwerk ist vielen Bürgerlichen ein Dorn im Auge, weil sie nicht privatwirtschaftlich organisiert ist.

Stimmt das, Herr Germann?

Germann: Nein, das stimmt nicht.

Munz: Die Bürgerlichen wollen keine Vermischung der ersten und zweiten Säule. Dass wir über die AHV kompensieren, hat aber rein finanzielle Gründe. Durch den sinkenden Umwandlungssatz haben wir eine Renteneinbusse. Kompensiert man diese über die zweite Säule, hätte man von den Erwerbstätigen und von den Arbeitgebern sehr viel mehr Abgaben verlangen müssen als jetzt über die AHV. Denn die AHV hat ein viel besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als die zweite Säule.

Germann: Der SP ist dafür die zweite Säule ein Dorn im Auge, weil sie eben privatwirtschaftlich organisiert ist. Es gibt keinen Grund, die beiden Säulen zu vermischen – nur einen politischen. Martina Munz behauptet, wer auf die AHV angewiesen sei, sei nach der Reform bessergestellt. Aber es findet einfach eine Verschiebung im System statt. Und das ist das Perfide daran: Wer mit der AHV nicht auskommt, erhält Ergänzungsleistungen. Danach wird es einfach in die AHV verschoben. Das freut zwar die Kassenwarte der Städte und Gemeinden, macht die Sache aber nicht besser. Die Rentner haben nicht mehr im Portemonnaie, sondern ebenfalls weniger.

Munz: Ergänzungsleistungen müssen von Jahr zu Jahr neu beantragt werden, auf die AHV hat man hingegen einen Anspruch. Hier geht es auch um die Würde der alten Menschen. Deswegen finde ich den AHV-Zuschlag wichtig für diejenigen mit den kleinen und mittleren Einkommen – und das sind vor allem wir Frauen, die keine Pensionskasse haben.

Germann: Sie haben sicher kein tiefes Einkommen.

Munz: Ich habe eine kleine Pensionskasse. Denn ich habe vier Kinder aufgezogen und während dieser Zeit nie so viel verdient, dass ich in eine Pensionskasse hätte einzahlen können.

Martina Munz, SP-Nationalrätin

Was sagen Sie dazu, dass die Übergangsgeneration einzig deshalb doppelt profitiert, weil es auch die Generation ist, die häufig an die Urne geht?

Germann: Gegen eine Übergangsphase ist an sich nichts einzuwenden. Aber 20 Jahre – das ist masslos übertrieben. Man wollte sich diese Jahrgänge einfach politisch kaufen. Hinter den Kulissen wurde denn auch gesagt, dass man die Vorlage so mehrheitsfähig machen wollte. Übergangsgeneration ja – Überprivilegierung zulasten der Jungen und der jetzigen Rentner nein. Das ist doch keine verantwortungsbewusste Politik.

Munz: Verantwortungslos ist es, wenn man diese Vorlage jetzt ablehnt. Wir haben einen 20-jährigen Reformstau. Warum haben wir nicht mehr bewegen können? Weil man jedes Mal Abbauvorlagen präsentiert hat. Daraus hat man gelernt. Mit der Vorlage wird die Altersvorsorge auch modernisiert. Sie beinhaltet eine viel bessere Versicherung der Teilzeitarbeit in der zweiten Säule. Teilzeitarbeit ist eine gesellschaftliche Entwicklung, der es Rechnung zu tragen gilt. Auch wer mehrere Arbeitgeber hat, wird besser versichert. Und wer heute mit 58 Jahren seine Stelle verliert, verliert auch seine Pensionskasse. Das ist nach der Reform nicht mehr der Fall.

Was passiert nach der Ausfinanzierung, also nach dem Jahr 2030?

Munz: Auf welche gesellschaftlichen Veränderungen wir bis dann Rücksicht nehmen müssen, kann ich noch nicht sagen. Es braucht alle paar Jahre eine Reform. Ausschlaggebend ist: Diese Reform ist jetzt dringlich, sonst kommen die Pensionskassen noch mehr in Schieflage und die AHV rutscht in die roten Zahlen.

Germann: Ab dann wird es teuer, aber diese Zahlen werden ja verschwiegen. Jetzt soll das Volk entscheiden. Ich hoffe, dass die Vorlage versenkt wird – denn sie ist ein Schwindel.

 

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