Schaffhausen im Banne des Radsports
Die Tour de Suisse ist ein Phänomen, dem sich auch in unserer Region fast niemand entziehen kann.
Kritik: «Bevölkerung innerhalb vom Rest der Welt abgeschnitten»
Wer den Tour-de-Suisse-Etappen beiwohnt, verbindet normalerweise eine positive Assoziation mit dem Radsportanlass. In den Quartieren Schaffhausens gibt es aber auch andere, sehr kritische Stimmen. Eine von mehreren gehört Andreas Schneider. «Während rund vier Stunden war es unmöglich, die gesperrte Zone zu verlassen», bemängelt er die lokale Organisation und erklärt: «Die Bevölkerung innerhalb des Rundkurses war dadurch vom Rest der Welt abgeschnitten.» Und abschliessend fragt Schneider in seinem Leserbrief: «Wie wenig Intelligenz ist erforderlich, um zu erkennen, dass ein Rundkurs in einer Stadt ein absoluter Wahnsinn ist?»(poe)
Etwas ist anders an diesem Samstag. Auf dem Freien Platz bei der Schifflände steht ein Imbissstand – mit Würsten und Süssigkeiten. Im Güterhof fragt ein Armeeangehöriger nach der Toilette – in Vollmontur bekleidet. Und ein Hobby-Radsportler möchte sein Handy aufladen. Er ist einer von vielen, die auf die Profis warten. Schon um 13.45 Uhr finden sich die ersten Fans entlang der Buchthalerstrasse ein. Anderthalb Stunden vor dem eigentlichen Etappenstart suchen sie sich ein Plätzchen, das ihnen einen optimalen Blick auf das Geschehen bietet.
Wer dem Verlauf der temporär stillgelegten Buslinie 5 folgt, findet linker Hand zwei Besenbeizen. Gut gelaunt stossen die Leute an, trinken einen Schluck, freuen sich auf das, was kommt. Am Trubel stört sich hier niemand. Ähnlich klingt es bei der Gruppe vis-à-vis. «Seit dem Lindli-Fäscht ist wieder eine Woche vergangen. Seither hat es hier keinen Anlass mehr gegeben», schmunzelt Roman Schmid. Bei ihm fährt die Tour de Suisse faktisch vor der Wohnungstür vorbei. Zusammen mit einigen Kollegen hat er es sich auf dem Trottoir bequem gemacht. Ein Grill ist da aufgestellt – genauso wie Campingstühle mit Getränkehalter. Sowieso gibt es an diesem Nachmittag allerlei verschiede Sitzgelegenheiten entlang des Kurses. Barhocker sind da zu sehen, Holzbänke vom Balkon oder Schemel. Und wer zeitig da ist, stemmt sich zwecks besserer Sicht auf die vorhandenen Mauern.
«Seit dem Lindli- Fäscht ist wieder eine Woche vergangen. Seither hat es hier keinen Anlass mehr gegeben.» Roman Schmid, Anwohner Buchthalerstrasse
Bevor es schliesslich losgeht, zieht die Werbekolonne vorbei. Unzählige Autos passieren den Aufstieg; aus den Fenstern bieten die freiwilligen Helfer Geschenke feil. Glaces und Gummibären, Hüte und Glocken – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Als die Kolonne der Szenerie entschwindet, steigt die Spannung. Die Minuten dehnen sich; immer wieder blickt jemand auf die Uhr. Alle sehnen den Startschuss herbei. Und als dieser durch die Lautsprecher eines Begleitfahrzeuges verkündet wird, kommt Bewegung in die Menschenmasse. Immer mehr Leute stehen am Strassenrand. Kameras und Smartphones werden gezückt. «Da kommen sie!», schreit eine Kinderschar, als die Spitzengruppe auftaucht. Ihr folgt das Peloton; «Hopp, hopp»-Rufe erschallen auf der Höhe der Buchthaler Post. Vor allem die Fans des Slowaken Peter Sagan machen sich bemerkbar: Sie schwingen weiss-blau-rote Flaggen, jubeln ihrem Landsmann zu, feuern den späteren Etappensieger lautstark an.
Bei der Endstation des Busses befindet sich eine grosse Festwirtschaft. «Es läuft gut, wenn die hohen Politiker Würste braten», sagt Kantonsratspräsident Thomas Hauser lachend. Je länger der Tag dauert, desto kleiner werden Essens- und Getränkevorräte. Noch siebenmal kommen die Veloprofis vorbei, erklimmen die Passage bis zum Bergpreis – und treten ordentlich in die Pedale. Es ist, als rase die Moderne durch das heimelige Quartier. Niemand kann der Tour de Suisse entkommen, wenn sie in Schaffhausen einfällt. Der Radsport zieht Stadt und Kanton am Wochenende in seinen Bann. Und das gilt nicht nur für die vorletzte Etappe vom Samstag, sondern auch für das gestrige Schlusszeitfahren.
Lücken am Streckenrand
Dieses Rennen gegen die Uhr startet am Sonntag auf dem Herrenacker. Noch vor der Mittagsstunde treffen die ersten Zuschauer ein. Über die Informationsbroschüre gebeugt, diskutieren sie über Favoriten und Abwesende. In der Oberstadt reiht sich Motorrad an Motorrad; deren Fahrer warten auf ihren Einsatz. Sie fungieren anschliessend als Vorhut für die Teilnehmer. Unterdessen füllt sich die Altstadt langsam. Entlang der Strecke verbleiben aber zwischen Tanne und Schwabentor etliche Lücken. «Für uns ist es ein perfekter Sonntagsausflug», erzählt Sebastian Brändli aus Zürich. Zusammen mit seiner Freundin ist er von der Limmat an den Rhein gereist, um das Finale der Landesrundfahrt zu verfolgen. Gemeinsam stehen unweit der Rampe, von der Profis später Richtung Fronwagplatz preschen.
Einzeln gehen sie auf den Kurs – vorerst in einminütigen Intervallen. Bei jedem Start wird auf die Banden geklatscht, gefeiert, gejubelt. Als Letzter nimmt Tour-de-Suisse-Sieger Simon Spilak aus Slowenien die Etappe unter die Räder; kurz darauf beginnen schon die Abbauarbeiten. Die Landesrundfahrt lässt Schaffhausen hinter sich. Vielleicht kehrt sie in absehbarer Zeit wieder zurück. Die Frage ist nur, wann.
Wie zufrieden waren die Organisatoren der Tour de Suisse? Wir haben Reto Dubach gefragt: