Vom Schmuggel zur Erfolgsgeschichte: Die Rebsorte Müller-Thurgau feiert doppeltes Jubiläum
Vor 175 Jahren wurde der bekannte Rebenzüchter Hermann Müller geboren und vor 100 Jahren begann mit einer spektakulären Schmuggelfahrt über den Bodensee die Erfolgsgeschichte der Müller-Thurgau- Rebe.
Die Müller-Thurgau-Rebe ist eine der weltweit erfolgreichsten Rebzüchtungen. In der Schweiz sind etwa 480 Hektaren damit bestockt, was etwa 3,3 Prozent der gesamten Weinanbaufläche von 14`500 Hektaren entspricht. Im Kanton Schaffhausen gibt es knapp 500 Hektaren Reben, wovon auf etwa 70 Hektaren, oder 14 Prozent, Müller-Thurgau Reben wachsen. Die bedeutendste weisse Rebsorte im Kanton Schaffhausen wurde von Hermann Müller gezüchtet, der vor 175 Jahren geboren wurde. Die internationale Erfolgsgeschichte des Müller-Thurgau begann vor 100 Jahren mit einer nächtlichen Schmuggelfahrt über den Bodensee. Diese beiden Jubiläen werden im nächsten Jahr mit verschiedenen Veranstaltungen gebührend gefeiert.
Vom Riesling x Silvaner zum Müller-Thurgau

Hermann Müller wurde am 21. Oktober 1850 in Tägerwilen in eine Bäcker- und Winzerfamilie geboren. Er besuchte in Kreuzlingen das Lehrerseminar, wurde 1869 Lehrer an der städtischen Realschule in Stein am Rhein und schloss danach in Zürich ein Studium mit dem Fachlehrerdiplom Naturwissenschaften ab. Von 1876 bis 1890 leitete er im Rheingau die pflanzenphysiologische Versuchsstation der Forschungsanstalt Geisenheim. Der damals 32-Jährige versuchte, mit einer Neuzüchtung die zwei Rebsorten Riesling und Silvaner miteinander zu verbinden. Von den 150 Kreuzungen schien ihm ein Sämling derart Erfolg versprechend, dass er damit die Weiterzüchtung betrieb, die er Müller-Thurgau nannte.
Zunächst in Deutschland ignoriert
Der Schweizer Rebenzüchter war aber enttäuscht, dass seine neu entstandene Rebsorte in Deutschland zunächst ignoriert wurde. Als Müller die Schweizerische Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil als Direktor übernahm, brachte er seine besten Sämlinge mit in die Schweiz. Er gab ihnen den Namen «Riesling x Silvaner», damit sein Name mit der neuen Rebsorte nicht in Verbindung gebracht wurde, und pflanzte sie auf einer Versuchsparzelle der Thurgauer Fachstelle Obst und Rebbau auf dem Arenenberg an. Hermann Müller, der mit seiner Frau Bertha drei Töchter hatte, starb 1927 in Wädenswil im Alter von 77 Jahren.
Müller-Thurgau verbrachte eine lange Zeit im Schattendasein

Zwei Jahre vor seinem Tod begann die eigentliche Erfolgsgeschichte der Müller-Thurgau-Rebe. In den 1920er-Jahren war es auch am Nordufer des Bodensees um den Weinbau schlecht bestellt. Die Hauptrebsorte Elbling war zu sauer, und Missernten machten den Winzern zu schaffen. Johann Baptist Röhrenbach, der auf dem Schlossgut Kirchberg in Immenstaad markgräflicher Gutsverwalter und Wirt der Schlossgaststätte war, erfuhr von der weissen Rebsorte am Arenenberg und wollte sie unbedingt anpflanzen. Der Markgraf von Baden sah dafür aber keine Notwendigkeit, auch weil das Saatgut-Handelsgesetz eine Einfuhr über die Reichsgrenze nicht erlaubte.
Die erste Schmuggelfahrt über den Bodensee

Im April 2024 ruderte Röhrenbachs Sohn Albert (22) mit dem befreundeten Fischer Gottfried Ainser (25) eines Nachts mit dem Ruderboot von Hagnau über den Bodensee, wo unterhalb des Schlosses Arenenberg am Ufer 400 Pfropfreben bereitlagen. Als die beiden jungen Burschen nach der achtstündigen Ruderfahrt wieder in Hagnau anlegten, pflanzte Johann Baptist Röhrenbach die Reben heimlich auf dem Schloss Kirchberg an. Nachdem der Schmuggel aufgeflogen war, durfte Röhrenbach lediglich einen kleinen Teil selbst keltern und in der Schlossgaststätte verkaufen.
Heimliche Anpflanzungen auf der deutschen Bodensee-Seite

Röhrenbach war aber erzürnt, weil seine Vorgesetzten die Bedeutung der neuen Rebsorte für die Bodensee-Region weiterhin nicht erkannten. Bereits ein Jahr später wurde die Schmuggeltour wiederholt, und Röhrenbach verteilte die Reben heimlich an interessierte deutsche Winzer. Es dauerte aber bis ins Jahr 1949, bis der Müller-Thurgau auch auf anderen Rebflächen des Markgrafen von Baden angepflanzt wurde. Johann Baptist Röhrenbach starb im Jahr 1956 im gesegneten Alter von 87 Jahren.
Deutsche und Schweizer Branchenverbände feiern gemeinsam

Verschiedene Verbände planen im Jubiläumsjahr 2025 zahlreiche Veranstaltungen. Mitte Dezember wurde im Naturmuseum Thurgau in Frauenfeld aufgrund des 100-Jahr-Jubiläums der legendären Schmuggelfahrt bereits die Sonderausstellung «Bacchus & Co. – Wein am Bodensee» eröffnet, die bis zum 11. Mai zu sehen ist. Die Ausstellung vereint verschiedene Weingeschichten von den Kelten bis ins napoleonische Zeitalter. Neben vielen Funden aus dem Thurgau sind die beiden Bacchus-Statuetten aus den römischen Städten Augusta Raurica (Augst, BL) und Aventicum (Avenches, VD) das Highlight der Ausstellung.
Noch einmal wird in diesem Jahr «geschmuggelt»
Im April wird das Schaffhauser Blauburgunderland zusammen mit dem Branchenverband Thurgau Weine und dem Verein Bodenseewein e. V. Meersburg die historische Rebenschmuggelfahrt über den Bodensee nachstellen. In Zusammenarbeit mit Bodensee Tourismus, Agro Marketing Thurgau und der Müller Thurgau Stiftung wird Schaffhauserland Tourismus im April/Mai am Bodensee einen Velo- und Wanderweg eröffnen, auf dem digitale Info-Points das Leben von Hermann Müller vermitteln.
Ein spezieller Verein für ein spezielles Jahr
Der Schaffhauser Tourismusverband wird im Juli mit dem Weinbauzentrum Wädenswil und Bodensee Tourismus den «Müller-Thurgau-Degustations-Cup» durchführen und die besten Müller-Thurgau-Weine der Schweiz und des Bodensee-Raums prämieren. Für die koordinierte Organisation des Jubiläumsjahres wurde eigens der Verein Erlebnis Müller Thurgau gegründet, der nicht gewinnorientiert ist und sich nach Abschluss des Jubiläumsjahres wieder auflösen wird.