Über dem Limit – wenn der Stress krank macht
Sie machen Schlagzeilen, all die kürzlich publizierten Studien zu Arbeitsgesundheit, psychischen Erkrankungen und Stress. Neben dem Leid des Einzelnen ist die Zunahme der Fallzahlen auch für Unternehmen finanziell eine grosse Herausforderung. 6.5 Milliarden Franken beträgt der volkswirtschaftliche Schaden. Höchste Zeit also, aktiv zu werden. Wie dies gehen könnte, erklärt die promovierte Psychologin Nadja Abt Gürber.
Glaubt man Umfragen, sind wir Schweizer ziemlich kaputt. Die CSS-Gesundheitsstudie 2023 beispielsweise zeichnet das Bild einer erschöpften Nation: 36 Prozent der Befragten gaben zur Auskunft, sich im vergangenen Jahr häufig krank gefühlt zu haben. Zwei Drittel davon klagten über Müdigkeit und Erschöpfung. Die «NZZ am Sonntag» hat kürzlich darauf hingewiesen, dass ein Angestellter heute im Schnitt 9,3 Tage im Jahr wegen Krankheit oder Unfall fehlt: ein Allzeithoch und ein Anstieg von 50 Prozent gegenüber 2012. Auffällig dabei ist die Zunahme von psychischen Krankheiten. So zeigt die im letzten Monat erschienene Arbeitsmarktstudie der AXA auf, dass psychisch bedingte Arbeitsausfälle bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im vergangenen Jahr um 20 Prozent zugenommen haben. Was Firmen dabei besonders aufhorchen lassen sollte: Über 50 Prozent aller psychischen Arbeitsunfähigkeiten werden durch Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst.
Prävention am Arbeitsplatz
Wie brisant das Thema ist, ist selbstverständlich längst auch in Schaffhausen angekommen. Die Pius Schäfler AG widmete ihm nicht umsonst ihren ersten Fokus-Zmorge, der am vergangenen Dienstag stattfand (siehe Box). Als Expertin lud das Unternehmen die Psychologin Nadja Abt Gürber ein, die die Besucher auf verständliche Weise über «Stress-Burnout-Prävention am Arbeitsplatz» informierte. Wir vom Zahltag hörten gespannt mit.
Digitale Transformation macht Sorgen
Als Ursachen der negativen Entwicklung nannte Abt Gürber unter anderem die Veränderung in der Arbeitswelt: Schnelleres Tempo, angeheizt auch durch die digitale Transformation, demografischer Wandel und steigender Wettbewerbsdruck. Dabei erleben Menschen diesen Wandel unterschiedlich: Die einen finden einen positiven Umgang damit, andere hingegen reagieren verunsichert, erleben Stress und Ängste. Und das kann zu psychischen Erkrankungen führen. Um hier Gegensteuer zu geben, ist es gemäss Abt Gürber wichtig, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter aktiv begleiten und sicherstellen, dass bei allen Veränderungen stets der Mitarbeiter als Mensch im Fokus bleibt.
Auf Frühwarnsignale achten
Ein grosses Problem besteht laut Abt Gürber unter anderem darin, dass Betroffene oft viel zu spät Hilfe holen. Auch hier kann der Arbeitgeber unterstützen, indem die Vorgesetzten sensibel genug sind, um Frühwarnsignale zu erkennen. Körperliche Signale können etwa sein, wenn der Mitarbeiter über Herzklopfen oder chronische Müdigkeit klagt, aber auch wenn die Gereiztheit zunimmt und Unzufriedenheit allgegenwärtig ist (eine ausführliche Übersicht der Signale findet sich hier). In diesem Bereich können Präventionsworkshops hilfreich sein, in denen gelernt wird, Warnsignale früh zu erkennen und anzusprechen.
Es gibt Lösungen
Zuweilen allerdings nützt jede Prävention nichts. Doch auch dann ist die Situation nicht ausweglos: Negativen Entwicklungen ist man, so sagt Abt Gürber, nicht einfach hilflos ausgeliefert, man kann etwas tun. Beispielsweise durch Stärkung der Resilienz, der eigenen psychischen Widerstandskraft gegenüber Stress und Krisen. Grundlage dafür ist der Dialog, ein offener Austausch auf Augenhöhe, Interesse, Empathie, Respekt und Wertschätzung. Wichtiges Anliegen der Führungskraft muss es also sein, dafür zu sorgen, dass der Dialog jederzeit möglich ist.
Verletzte Werte machen krank
Denn letztlich ist die Beziehung der Schlüssel. Ein Burn-Out entsteht durch eine fehlende oder konfliktreiche Beziehung zu sich selbst, anderen oder allgemein dem Leben gegenüber. Werden die eigenen Werte verletzt, beispielsweise durch fehlenden Respekt oder Wertschätzung, löst dies eine Kränkung aus. Und Kränkungen machen krank. Sie führen zu innerem und äusserem Konflikt. Besteht ein Konflikt, fliesst die gesamte Energie des Betroffen in die Konfliktbewältigung, was wiederum erschöpft.
Massnahmen auf zwei Ebenen ansetzen
Im Kontext der Arbeitswelt empfiehlt Abt Gürber Massnahmen auf zwei Ebenen anzugehen:
Unternehmensebene: Das Unternehmen soll in Verhältnisprävention investieren, zum Beispiel Arbeitsbedingungen optimieren. Da der Beziehungsaspekt zentral ist, ist es in erster Linie wichtig, ein gutes Arbeitsklima zu fördern. Es soll ein «Vertrauensraum» geschaffen werden. Basis dafür ist der Dialog.
Ebene der Einzelperson: Die Verhaltensprävention liegt in der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen. Ziel ist es, die persönlichen Ressourcen zu stärken aber auch Stressbewältigungsstrategien aufzubauen, wenn nötig mit Hilfe von Einzelcoachings. Führungskräfte können hier unterstützend wirken.