«Muss realistisch sein»: Urs Tanner zieht Ständeratskandidatur zurück

Urs Tanner will doch nicht Ständerat werden. Sein Fokus gilt stattdessen den städtischen Wahlen 2024.
«Keine Steuergelder für Banken. Urs Tanner: Ständerat», hiess es in einem Inserat auf der Titelseite der SN im März. Grossstadtrat Urs Tanner (parteilos) nutzte das Ende der Credit Suisse für seine Ständeratswahlkampagne. Diese ist nun bereits wieder vorbei. Der Ex-SPler zieht seine Kandidatur, die er Anfang Jahr bekannt gab, zurück.
«Ich mache jetzt einen Schritt zurück, um dann zwei nach vorne zu machen.»
Urs Tanner, Grossstadtrat (parteilos)
«Nach ein paar Monaten mit viel Zuspruch, aber auch Kritik muss ich realistisch sein», sagt er. Für linke Ständeratskandidatinnen sehe es für die Wahlen im Herbst nicht gut aus. «Es gibt keinen linken Hoffnungsherbst.» In St. Gallen ging Ende April der Ständeratssitz des zurückgetretenen Paul Rechsteiner (SP) an Esther Friedli (SVP). Tanner nennt das einen «Realitätsschock». «Meine verflossene Liebe, die SP, hat in den letzten Jahren ihre Sitze halbiert.» Zudem hätten die Schaffhauserinnen und Schaffhauser in der Vergangenheit konsequent bürgerliche Kandidaten gewählt. «Thomas Minder ist der Held der Kleinaktionäre, das ist mit dem Ende der Credit Suisse auch nicht besser geworden», so Tanner. Die Schweiz brauche eine links-grüne Politik. «Aber ich bin ein Militärverweigerer, dafür, das Militär abzuschaffen, und gegen Kampfjets. Wenn man in die Welt hinausschaut, ist einfach nicht die Zeit für solche Ideen. Diese Wahl holt kein Linker.» Trotzdem unterstützt Tanner «selbstverständlich» Simon Stocker (SP). «Er würde einen super Job machen in Bern.» Die beiden bisherigen Schaffhauser Ständeräte würden ihre Arbeit aber auch nicht schlecht machen. «Vielleicht machen sie ja einen auf Joe Biden und bleiben noch länger, es sei ihnen gegönnt.»
Mit der «Freien Liste» angreifen
Auf nationaler Ebene sieht Tanner also keine Chancen. «Nächstes Jahr, in der wunderschönen Stadt Schaffhausen, sieht die Sache etwas anders aus. Stadtrat Raphaël Rohner wird nicht mehr antreten.» Liebäugelt er also mit dem Stadtratssitz? Darauf geht er nicht genauer ein. «Ich kommuniziere nur den Rückzug meiner Ständeratskandidatur. Ich mache jetzt einen Schritt zurück, um dann zwei nach vorne zu machen.» Auf kantonaler Stufe sei niemand vor ihm erzittert, «aber der Angstfaktor ist 2024 sicher höher. Auf städtischer Ebene können wir viel bewegen und haben nichts zu verlieren. Vier bis fünf Sitze im Grossen Stadtrat sind realistisch und auch ein Exekutivsitz – falls wir den anstreben wollen.» Wir? Er habe gemerkt, dass es besser sei, als Gruppe unterwegs zu sein. «Und das sind wir mit der Freien Liste.»
Kein Auffangbecken von Gescheiterten
Im Dezember hatte Tanner angekündigt, eine neue links-grüne Partei oder Liste gründen zu wollen, mit einem sozialliberalen Jositsch-Flügel. Nun ist es also Letzteres. Mittlerweile seien 15 Personen dabei, «von links-progressiv bis radikale Mitte», die sich einmal pro Monat austauschen. Mehr wolle er noch nicht sagen, alles «top secret», nur: «Das Ganze soll nicht als Auffangbecken eines gescheiterten SP-Politikers gelten. Ich werde also nicht das Gesicht der Bewegung sein.» Und es sollen unbedingt mehr Mitglieder dabei sein, die Wurzeln in einem anderen Land haben, so Tanner. Das habe ihm bei der SP Schaffhausen immer gefehlt. Er verweist auf den Kanton Luzern. Da wurde am Wochenende mit Ylfete Fanaj (SP) erstmals eine Frau mit kosovarischen Wurzeln in eine Kantonsregierung gewählt. «Neid! Schaffhausen hat definitiv keine Ylfete Fanaj. Sie ist die Antithese zum bisherigen Männerklub – jung und eine Seconda», schrieb Tanner dazu auf Twitter.
Und ist die Freie Liste noch ein Arbeitstitel? «Er spiegelt das parteipolitisch Unabhängige relativ gut wider. Aber wenn sich der Name noch ändert, ändert er sich eben.»