Trio «Ikarus» zieht das Publikum in den Groove hinein

Alfred Wüger | 
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Drei des Quintetts «Ikarus»: die Sängerin Anne Hirsch, Bassist Mo Meyer sowie der Sänger Andreas Lareida. Bild: Melanie Duchene

Ein mythischer Bandname und archaisch-dumpfer Musikminimalismus paaren sich mit lichtvollen und dunklen Gesängen. Der Auftritt von «Ikarus» am Donnerstag in der Kammgarn riss einen hinein in den Groove.

Nach verhaltenem Beginn kommt bald ein archaisch anmutender Groove auf, der sich einerseits den Basstrommeln von Ramón Oliveras – verantwortlich für die Kompositionen von «Ikarus» – verdankt und anderseits dem Gesang von Anna Hirsch und Andreas Lareida, der an Beschwörungen erinnert. Beschwörungen? In der Tat kann man sich bei den – sagen wir – Lakota wähnen, etwa in der Aura der Schwitzhütte. Obsessiv-ostinat ist der Groove, optisch stark, die ganz in Weiss auftretende Anna Hirsch, der ganz in Schwarz dastehende Andreas Lareida und der ins Rötlich spielende Holzton des Kontrabasses von Mo Meyer. Dieser Kontrabassist wird in den 40 Minuten, die der Auftritt von «Ikarus» dauert, Schwerarbeit leisten.

Minimal Groove «Ikarus» als Verwandte von «Ronin»

Das Minimalistische in der Musik übt auf viele einen grossen Reiz aus. Man kommt schnell in eine tranceartige Stimmung. Aber man hat davon auch irgendwann genug.

Aber erst einmal ist das erste Stück zu Ende. «Es freut uns, dass Sie sich diesen Abend gönnen», sagt Sänger Lareida, «wir wünschen Ihnen einen grossen musikalischen Genuss.» Ja, man kann diese Musik geniessen, aber wohl am besten dann, wenn man sich von den minimalistischen, sich ständig wiederholenden Rhythmen in Bewegung versetzen lassen, sprich: tanzen würde. Und tatsächlich bewegen sich die Musiker und die Musikerin auf der Bühne immer mehr, lassen sich vom Sog mitreissen, wenden sich zwischendurch auch vom Publikum ab und sich der Bühnenmitte zu, so als würden sie sich zentrieren, um neue Kraft zu sammeln, um einen neuen Aufschwung Richtung Sonne zu nehmen.

Harmonischer Dualismus der Stimmen

So dumpf grollend das Ganze bisweilen daherkommt, die Sängerin und der Sänger geben der Sache Leichtigkeit. Eindrücklich, wie Andreas Lareida vom tierisch-tiefen Brummen bis in die Kopfstimme wechselt. Stark Anna Hirschs Lichtgestalt. Die einzelnen Stücke sind lang, erreichen – dies als Höhepunkt des Sets – durchaus orgiastische Qualität.

Aber so sehr man fasziniert ist und sich mitreissen lässt, so dringlich schleicht sich der Eindruck ein: Klingt das nicht alles ein bisschen zu gleich? Man nennt so etwas gerne Homogenität, aber bei Lichte besehen verbirgt sich hinter diesem Wort ein prosaischerer Begriff: Eintönigkeit. Das Reduktionistische, das Minimalistische ist eben nicht immer ein «reduce to the max». Man kann sich fragen, was denn mit diesen rauschhaften Wiederholungen zugedröhnt wird. Was «Ikarus» bietet, ist interessant, aber nach rund 40 Minuten auch irgendwie genug. Der Minimalismus kommt an seine Grenzen, sobald er das Maximum erreicht: die Trance.

Im Kontext des Auftritts in der Kammgern ist diese Qualität indes etwas verpufft, und zwar weil eben niemand tanzte, sondern sich im Sitzen (und wohl im Geiste) mitreissen liess. Aber die Musik kam an. Der Applaus war verdientermassen gross. Und dann kündigte der Leader, Schlagzeuger und Komponist Ramón Oliveras das letzte Stück als «Reise» an und brachte damit den Charakter dessen, was das Quintett bietet, auf den Punkt.

Nik Bärtschs luftige Schwester

«Ikarus» steht beim Label Ronin Rhythm Records der Schweizer Minimalismus-Ikone Nik Bärtsch unter Vertrag. Was «Ikarus» gegenüber der Band von Nik Bärtsch auszeichnet, ist der Gesang, der der «Ikarus»-Musik etwas Schwebendes gibt. Sie ist nicht frei von der Gefahr des Absturzes (in die Eintönigkeit), aber weit weniger martialisch. Man könnte sie die luftige Schwester von Nik Bärtsch nennen.

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