Ein Blick hinter die Theke des Glühweinstands auf dem Fronwagplatz
Für viele ist er einer der Lieblingstreffpunkte im Winter: der Glühweinstand auf dem Fronwagplatz. Anstatt in der Schlange zu stehen, wagen sich die SN an die Zapfhähne. Ein Blick hinter die Kulissen.
Der Artikel stammt aus unserem Archiv und wurde erstmals am 13.12.2023 veröffentlicht. Viel Spass beim Lesen!
«Als Erstes musst du die Hände desinfizieren», sagt Laura Ferber und reicht mir das Desinfektionsmittel. Sie deutet auf die Zapfhähne: «Das ist rot, das ist weiss», dann dreht sie sich um: «Da hinten sind Punsch und Tee.» Wir stehen am Glühweinstand auf dem Fronwagplatz. Für einmal stehe ich nicht im Getümmel von halb Schaffhausen, sondern auf der anderen Seite der Theke. Heute bin ich Laura Ferbers Lehrling.
«Zapfen, kassieren, zapfen»
Seit zehn Jahren betreiben Ferber und Jörg Göldi erfolgreich den Stand und sind seither zum festen Bestandteil der Weihnachtszeit in der Stadt geworden. «Kommst du später auch noch zum Glühweinstand?», rufen sich die Leute auf den Gassen bereits am Mittag zu. Täglich ist der Ansturm gross. Es gibt viel zu tun, deshalb beschäftigen Ferber und Göldi mittlerweile auch schon über ein Dutzend Mitarbeitende. An Tagen und Abenden, bei denen extrem viel Betrieb herrscht – beispielsweise beim Night Shopping am 24. November oder am 24. Dezember – stehen sieben Personen in dem kleinen Häuschen, erzählt Ferber.
Ich sehe mich im Häuschen um. Wir sind umgeben von Bechern, in denen bereits eine Orangenscheibe liegt – diese werden jeden Tag um 11 Uhr frisch vom Team zugeschnitten –, von einem Heiztank, von Flaschen und dann sind da ja auch noch die Zapfhähne. «Hier haben sieben Leute Platz?», frage ich verwundert. «Geht man sich da nicht auf die Nerven? Und passieren keine Unfälle?» Ferber lacht. «So gut wie nie.» Das Team verstehe sich blind, jeder und jede kenne die Bewegungen der anderen in- und auswendig. «Wir sind wie eine Familie.» Zudem haben alle einen bestimmten Platz: Jemand kassiert, andere zapfen Glühwein, jemand ist für den Punsch und den Tee zuständig. «Und dann heisst es einfach nur zapfen, kassieren, zapfen, kassieren.»
Man sollte nicht zu viel probieren
Natürlich habe ich meinen Schnuppertag nicht bei Vollbetrieb. Es ist ein Dienstag kurz nach 14 Uhr und der Fronwagplatz noch ziemlich leer. Lange muss ich aber nicht auf meine ersten beiden Kundinnen warten. «Zweimal Rot, bitte.» Ich erwische zwar den richtigen Hahn, muss aber zuerst noch etwas Glühwein abzapfen – er muss genügend heiss sein. Um die Temperatur zu kontrollieren, nimmt Ferber einen kleinen Schluck. «Man muss aufpassen, dass man über den Tag verteilt nicht zu viel probiert», sagt sie und lacht.
Dann fülle ich die Becher bis knapp unter den Rand. Man muss sie etwas kippen, damit nicht zu viel Schaum entsteht. «Nicht schlecht für den ersten Versuch», sagt Ferber. Die Kundinnen sind zufrieden, da es etwas regnet, stellen sie sich abseits unter einen Schirm. Und ich denke mir: «Das ist easy». Kurz darauf aber kommt erstmals etwas Verunsicherung auf: Deutsche Touristen wollen mit Euro bezahlen. «Nehmen wir das, Laura?» «Klar.» Sie reicht mir einen Pappbecher, der auf dem Regal steht. Darin sind Euros zum Wechseln. Dann wird es noch schwieriger für mich – zwei Glühwein, ein Punsch ohne Alkohol und ein Tee sind gewünscht. «Ehm, wie viel kostet das jetzt?» Ich schaue mir die Preisliste an und es rattert in meinem Kopf – wer schnell rechnen kann, ist im Vorteil. «22 Franken», sagt Ferber, ehe ich fertig bin.
Zeit, um die Preise zu studieren, bleibt nicht, schon sind die nächsten Gäste da. Man muss immer den Überblick behalten: «Einmal Rot, einmal Weiss und einen Punsch. Ah nein, doch zweimal Rot – und noch Ingwerlimette. Oder doch nicht. Nein, mach doch einmal Weiss». Manche Gäste ändern ihre Bestellung mehrmals, während sie bestellen. Ich bin überfordert – Ferber aber weiss am Ende genau, was jetzt gilt. Rasch zapft sie die geforderte Anzahl Rot, dreht sich um und füllt im hinteren Teil des Häuschens den Tee ab, ohne mich über den Haufen zu rempeln, obwohl ich im Weg stehe. Ein Schuss Honig in den Becher und schon steht alles fertig auf der Theke und die Gäste ziehen weiter. Heute bleibt niemand nahe am Stand, das Wetter ist zu ungemütlich.
Die verkaufte Menge bleibt geheim
Ich schaue mir die Flaschen an, die hinten im Häuschen auf einem Regal stehen. Sie sind für den Punsch da. Nur, zwei Sorten sehen beinahe identisch aus. «Links ist Caramelsirup, rechts ist Rum», sagt Ferber. Auf keinen Fall verwechseln, denk ich mir. Ob es schon Verwechslungen gegeben habe, frage ich. Manchmal trinke das Team zusammen einen Shot: «Ich habe mal aus Versehen den Caramelsirup ausgeschenkt», sagt sie und lacht. «Lieber so, als andersrum.» Mir kann das heute nicht passieren, niemand bestellt einen heissen Mojito. Am beliebtesten ist nicht nur heute der Glühwein. Klarer Bestseller sei Rot, deshalb gibt es dafür auch einen Zapfhahn mehr. «Weiss wird aber immer beliebter.» Wie viel Glühwein pro Saison und Tag verkauft wird, ist ein Betriebsgeheimnis.
Mittlerweile ist Mitarbeiterin Caroline Scherrer eingetroffen, sie ist seit sechs Jahren Teil des Teams. Sie zieht ihre Jacke aus und hängt sie an einen Haken an der Tür. Ich dachte immer, man friere, wenn man so lang am Stand steht, aber im Häuschen ist es warm. «Du hast übrigens die falsche Hose an», sagt Scherrer und lacht. Sie zeigt auf Ferbers und dann auf ihr eigenes Outfit, beides schwarz. «Glühweinprofis ziehen sich dunkel an.» Ich trage helle Jeans – ein Glück, dass ich nichts verschüttet habe.
Von «vino caliente» und griechisch
Dann kommt ein spanisches Paar an den Stand. Ob es hier Kaffee gebe, fragt die Frau halb auf Englisch, halb auf Spanisch. «No», sagt Scherrer. Kaffee gebe es vis-à-vis. Dann aber will die Frau wissen, was denn hier verkauft werde. «Hot wine, ehm, vino caliente.» Die Frau ist überzeugt und bestellt einen «Rojo». Ihr Mann verzichtet dankend, er will lieber Kaffee. Nachdem sie einen Schluck probiert hat, verlangt die Frau noch etwas Honig für den Wein. Nicht ungewöhnlich, sagt Ferber. «Unser Glühwein ist nicht so süss wie andere.» Die Frau ist zufrieden und die beiden ziehen weiter Richtung Café.
Wer mehrere Sprachen beherrscht oder teilweise beherrscht, hat es am Glühweinstand einfacher. Japanisch, Italienisch – immer wieder hört man Leute vorbeigehen, die in den unterschiedlichsten Sprachen miteinander kommunizieren. Manche schauen interessiert die Getränkekarte an, zögern dann aber. Nicht überall ist Glühwein so bekannt. Scherrer erzählt von einem griechischen Paar, das am Stand etwas bestellen wollte. «Ich habe gehört, dass es Griechen sind und begann mit ihnen Griechisch zu sprechen. Sie waren so überrascht, dass sie gleich die ganze Touristengruppe herbeigerufen haben. Alle 30 haben einen Glühwein gekauft.»
Über die Jahre hat das Team aber auch eine Stammkundschaft aufgebaut. «Es ist natürlich mega schön, Bestätigung zu bekommen, dass wir mit dem Stand etwas richtig machen», sagt Ferber. Und gewisse Kundinnen und Kunden sind praktisch am Stand aufgewachsen, tranken früher Punsch. «Dann kommen sie eines Tages und bestellen plötzlich ihren ersten Glühwein, weil sie nun alt genug sind», so Scherrer. «Das sind tolle Momente.»
Es ist 15 Uhr. Mittlerweile habe ich das Zapfen ziemlich gut im Griff. Langsam kommen aber mehr Leute, die Schlange wird schneller länger und ich sollte wohl noch etwas an meiner Geschwindigkeit arbeiten. Ich habe zu viel Angst, etwas zu verschütten. Es wird Zeit, Ferber und Scherrer Platz zu machen. Sonst gibt es am Ende doch noch einen Weinfleck auf der zu hellen Hose.