Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom





Der Tod des Mundartrock Pioniers Polo Hofer hat die Musikfans in der Schweiz tief bewegt. Hofer war Schöpfer von 350 Songs, von denen einige längst Allgemeingut sind. Und er, der Performer und Politprovokateur, passte in fast jede Schublade – und doch in keine.
Polo Hofer: Auftritte im Tramdepot und im «Schaffhauserhof»
Eigentlich war alles, was Polo Hofer ausmachte und seine grosse Karriere begründete, bereits im Song «Kiosk» von Rumpelstilz aus dem Jahr 1976 enthalten: ein Mundarttext über eine Alltagssituation (angepumpt werden, wenn man selber nichts hat), gespickt mit eingängigen Formulierungen («Laht d Wimpere lah klimpere»), gesungen zu einem internationalen Musikstil (Reggae, später dann vor allem Rock), angereichert mit schweizerischen Elementen (Handorgel, Jodel).
Dass Mundart und aktuelle Musik zusammengehen – das aufzuzeigen, war das grosse Verdienst von Polo Hofer. Er brachte die Schönheit, die Vielfältigkeit und die Ausdrucksstärke der Schweizer Mundart im Allgemeinen und des Berndeutschen im Besonderen in die Populärmusik ein; er war damit der Pionier, der den Weg für viele Nachfolger wies.
Das Publikum schmetterte mit
Beim Umgang mit der Sprache liess er sich von Bob Dylan, einem anderen Wortmagier, inspirieren, und es kam schon mal vor, dass er ihn fast eins zu eins kopierte – man höre sich nur einmal Dylans «Leopard-Skin Pill- Box Hat» und Hofers «Schlangelädergurt» an. Aber wie alle grossen Künstler bediente er sich zwar textlich wie musikalisch überall, schuf daraus aber etwas Eigenständiges, Unverwechselbares. Und darum wurden seine Platten gekauft, und die Leute strömten in seine Konzerte, auch in Schaffhausen. Ich kann mich an Auftritte im Jugendkeller und im «Schaffhauserhof» erinnern. Unvergesslich bleibt auch ein Konzert im alten Tramdepot, das, bevor es abgerissen und an sei-ner Stelle das Feuerwehrzentrum gebaut wurde, als Konzerthalle diente. Ich habe heute noch im Ohr, wie Polo Hofer und die Schmetterband «Alperose» anstimmten, Hofer aber bald mit Singen aufhörte. Der Grund: Das Publikum hatte seinen Part übernommen und sang das Lied Wort für Wort aus voller Kehle mit.
Nationales Kulturerbe
Was Dieter Wiesmann für Schaffhausen mit «Bloss e chlini Stadt» gelungen war, erreichte Polo Hofer mit «Alperose» für die (Deutsch-)Schweiz: ein Volkslied zu schreiben, das sich vom Autor löste und zum nationalen Kulturerbe wurde. Hofer selbst beschrieb einmal seine Rührung, als Kinder auf der Schulreise an ihm vorbeizogen, «Alperose» singend. Und heute noch singen Kinder dieses Lied, ohne zu wissen, wer Polo Hofer ist – oder, wie man seit letztem Samstag leider sagen muss: war. (ek)
von Christian Zingg
Der Mann, der am 16. März 1945 als Urs Alfred Hofer zur Welt kam und später seinen Pfadinamen zu seinem Markenzeichen machte, hat die Deutschschweiz jahrzehntelang unterhalten und den Weg für den bis heute boomenden Mundartrock geebnet. «Vor uns gab es ja nur das Trio Eugster», sagte er vor einigen Jahren. Polo Hofer, der letzte ausgebildete Handlithograf der Schweiz, änderte das Anfang der 1970er-Jahre gründlich. Inspiriert von den Berner Troubadours um Mani Matter, aber auch von Udo Lindenberg gründete er mit Interlakener Weggefährten die Band Rumpelstilz. Hofer, ursprünglich Schlagzeuger, war nun der Sänger, zusammen mit Pianist Hanery Amman prägte er die zugleich ambitionierte und freakige Band aus dem Berner Oberland. Das kongeniale Duo Hofer/Amman schrieb die meisten Songs. Gassenhauer wie «Kiosk» und «Teddybär» sorgten für Aufsehen.
Für viele Schweizer waren Rumpelstilz wohl einfach «glatti Sieche» und schräge Vögel. Dabei hatten die Berner Oberländer weit mehr zu bieten; sie brillierten als Musiker und schufen zeitlose Klassiker wie «D Rosmarie und i», «Die gfallene Ängel» oder «Es Blatt im Wind». Hofer selber tanzte schon damals auf vielen Bühnen. So kandidierte er 1971 mit den Härdlütli fürs Berner Stadtparlament. Dank Nackt-plakat und schrillem Parteiprogramm holte die Liste tatsächlich einen Sitz.
40 Jahre lang Chilbi und Party
Auch später war Hofer immer gut für ein provokantes Polit-Statement, getreu dem Motto: «Nur ein toter Fisch schwimmt mit dem Strom». Als überzeugter Kiffer setzte er sich zudem immer wieder für straffreien Cannabiskonsum ein. Rumpelstilz zerbrachen an ihrem Erfolg und an internen Streitereien, Polo Hofers Popularität tat dies aber keinen Abbruch. Als Frontmann von SchmetterDing und SchmetterBand setzte er seine Karriere im nationalen Scheinwerferlicht fort, unbeirrt von Eierwürfen während der 1980er-Unruhen. Hofer erledigte auch viele Auftragsarbeiten; so schuf er die Hymne des Piratensenders Radio 24 und rief 1987 zum Kampf gegen Aids auf («Im Minimum e Gummi drum»). Mit stets hochkarätig besetzten Bands nahm er eine Platte nach der anderen auf, er beherrschte den Chilbirock ebenso wie die Ballade. Über allem aber thront der Song «Alperose» aus dem Jahr 1985. Hanery Amman hatte ihn komponiert, ursprünglich hiess er «Kentucky Rose». Irgendwann geriet der Song in die Hände von Polo Hofer, der ihn mit einem berndeutschen Text versah und zum Gassenhauer machte – zum «grössten Schweizer Hit aller Zeiten» gemäss SRF-Voting von 2006.
Hofer ging seinen Weg weiter, trat auch aus gesundheitlichen Gründen auf der Bühne etwas kürzer, war aber als Gestalter, Zeichner und Texter umso aktiver. Sein letztes Album erschien im Januar 2016 und hiess «Ändspurt». Polo Hofer konnte sich da schon mit dem Titel «Schweizer des Jahres» schmücken, auch so ein Fernsehpreis, den er in gewohnt geschäftstüchtiger Manier zu Geld machte: Für den Auftritt an der TV-Gala liess er sich einen vierstelligen Betrag auszahlen. Am Festakt auf der Älggi-Alp am 2. Juli 2016 konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen. Schon im letzten Juni hatte seine Frau Alice Hofer bekannt gegeben, er ziehe sich bis auf Weiteres zurück. Noch im Mai war er in einer SRF-Sendung über Bob Dylan aufgetreten. Hofer wirkte schwach. Körperliche Beschwerden hatte er schon länger gehabt. «Ich hatte 40 Jahre Chilbi und Party», hatte er 2007 nach einer Operation zu Protokoll gegeben. «Das kostet halt etwas.» – «Lasset uns die Feste feiern, bevor wir fallen», erklärte er vor einigen Jahren in einer «Rede an die Nation» zum 1. August. «Beisset in den Emmentaler und nicht ins Gras, schlucket den Wein und nicht eure Sorgen hinunter. Auf dass die Schweiz so bleibt, wie sie schon immer sein wollte.»