Die Schattenprofile der sozialen Medien
Wer soziale Netzwerke nutzt, gibt nicht nur eigene private Daten preis. Ein Forscher der ETH Zürich hat nachgewiesen, dass sich aus dem Archiv einer sozialen Plattform auch Informationen über Nichtnutzer ziehen und «Schattenprofile» erstellen lassen.
Es scheint eine praktische Funktion: Soziale Plattformen wie Facebook und Co. bieten den Import von Kontaktlisten an, um Bekannte und Freunde unter den Nutzern schneller zu finden. Das ist jedoch eine der Hintertüren, über die Datenriesen auch an Informationen über Nichtnutzer ausserhalb ihres Netzwerks gelangen. Und von diesen sogenannte Schattenprofile erstellen könnten – inklusive sehr privater Informationen, wie David Garcia von der ETH Zürich nachgewiesen hat.
Garcia durchforstete Nutzerdaten der inzwischen stillgelegten sozialen Plattform Friendster, die zu Forschungszwecken über das sogenannte Internet Archive zur Verfügung stehen. Er testete die Hypothese, ob sich aus den persönlichen Daten von Nutzern und deren Kontaktlisten auch private Informationen über Nichtnutzer ableiten lassen. Dabei fokussierte der Forscher auf die sexuelle Orientierung und den Beziehungsstatus von Nichtnutzern.
Wie er im Fachblatt «Science Advances» berichtet, lassen sich beide persönlichen Details mit hoher Wahrscheinlichkeit ableiten. Und zwar umso besser, je grösser die Zahl der Nutzer und je freigiebiger sie mit ihren Kontaktlisten umgehen. Interessant ist die Abhängigkeit von Nutzerzahlen insbesondere, da Friendster zeitweise 115 Millionen Nutzer hatte, während Facebook laut eigenen Angaben im Juni 2017 täglich im Durchschnitt 1,32 Milliarden aktive Nutzer zählte.
Wer mit wem?
Die Vorhersage beruht dabei auf den Wahrscheinlichkeiten von Vernetzungsmustern innerhalb des Netzwerks: Heterosexuelle Nutzer seien häufiger mit Personen des jeweils anderen Geschlechts vernetzt, bisexuelle Nutzer öfter mit anderen Bisexuellen beider Geschlechter und Homosexuelle eher mit anderen homosexuellen Nutzern des gleichen Geschlechts, heisst es im Fachartikel. In Sachen Beziehungsstatus gelte, dass Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit mit Leuten vernetzt sind, die den gleichen Beziehungsstatus haben.
Garcia testete zunächst die Vorhersagekraft dieser auf Vernetzungsmustern beruhenden Vorhersage innerhalb des sozialen Netzwerks. Dabei stellte er fest: Je offener einige Nutzer mit ihren persönlichen Informationen umgingen, desto besser liessen sich auch die Eigenschaften derjenigen Nutzer ableiten, die wenig Privates preisgaben. Im zweiten Schritt weitete er die Vorhersage auf die Nichtnutzer aus, welche mit den Nutzern über deren Kontaktlisten vernetzt waren.
Theoretisch hätten die Friendster-Inhaber also Schattenprofile von Nichtnutzern erstellen können, schreibt Garcia. Die Vorhersagekraft seines mathematischen Modells war zwar relativ niedrig, er habe jedoch die Komplexität des Modells absichtlich gering gehalten, um die Privatsphäre der Betroffenen nicht zu gefährden. Seine Absicht sei nicht, die Methoden zur Erstellung von Schattenprofilen zu verbessern, sondern die Möglichkeit ihrer Existenz nachzuweisen, betont er.
Unsichtbarer Datenaustausch
Das Konzept von Schattenprofilen macht seit 2013 von sich reden: Damals wurde bekannt, dass Facebook über seine Android-App die komplette Kontaktliste des jeweiligen Smartphonenutzers absammelte, noch bevor sich dieser erstmals einloggte und dem zustimmte. Zwar wurde das Sicherheitsleck geschlossen und die Daten angeblich gelöscht. Jedoch sind Apps von Messengerdiensten und soziale Plattformen so vernetzt, dass auch ohne das Bewusstsein der Nutzer Daten über ihre Kontakte «durch die Hintertür» gesammelt werden können.
Dass Datenriesen nicht nur sehr persönliche Informationen aus dem Onlineverhalten ihrer Nutzer, sondern auch Persönlichkeitsprofile über Nichtnutzer ableiten könnten, wird daher seit einigen Jahren von Forscherinnen und Datenschützern diskutiert. Die Studie liefere Beweise, welche die Schattenprofil-Hypothese unterstützten, schrieb Garcia im Fachartikel.
Dies verdeutliche, dass die Wahrung der Privatsphäre nicht mehr nur vom eigenen Onlineverhalten und von den eigenen Entscheidungen abhänge, sondern auch von denen der Kontakte. Der ETH-Forscher ruft daher zu einem verantwortungsbewussteren Umgang mit privaten Informationen im Netz und zu schärferen Datenschutzbestimmungen auf. (sda)