Martinus Luther als junger und als alter Mann zerrissen
In zwei Hälften zerfiel das Stück «Martinus Luther» von John von Düffel am Dienstagabend im Stadttheater: in eine gute erste und eine schwache zweite.
Der Beginn war stark. Auf dem gegen den Zuschauerraum hin leicht geneigten Bühnenboden prangte ein Kreuz aus leuchtenden Platten, und darauf lag der junge Luther, gespielt von Sebastian Gerasch, und wand sich, gepeinigt von inneren Qualen. Ein Gewitter hatte ihn draussen in der Natur überrascht, und in Todesangst hatte der junge Mann die heilige Anna angerufen und gelobt, ins Kloster einzutreten, wenn er das Unwetter überlebe. Tatsächlich überlebte Luther, und tatsächlich trat er ins Kloster ein. Dies aber erst nach heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der den klugen Sohn zum Juristen ausbilden lassen wollte.
Luthers Vater wurde von Thomas Kügel ganz hervorragend gegeben. Plastisch, voller Kraft und Zorn über diesen Entscheid des Sohnes, der auch die Weigerung zu heiraten mit sich brachte. Die Darstellung der inneren Kämpfe des Sohnes durch Sebastian Gerasch war genauso packend und intensiv. Die selbstzerfleischenden Aussagen, herausgewürgt und ausgestossen in dem Dialekt des Südharzes, wo Mansfeld, der Kindheitsort von Martin Luther liegt, machten den Zuschauern auf drastische Weise deutlich, in welch geradezu neurotischer Weise der junge Luther von der von Teufeln und Dämonen durchsetzten Volksfrömmigkeit geprägt war und an ihr litt. Der Gegensatz von dieser spirituellen Ausgesetztheit zum starken eigenen Willen hätte nicht grösser sein können, denn Luther vermochte sich vom Vater zu lösen. Aber der junge Mönch fand im Kloster nicht etwa Ruhe, sondern machte «jeden Furz zur Sünde», wie sein Beichtvater, Generalvikar Johann von Staupitz (Thomas Kügel) es formulierte.
Bedrängend realistisch war auch die personifizierte Versuchung in der Darstellung von Anja Klawun: «Ich werde zu dir in den Talar steigen, wenn du deine erste Messe hältst.» Auch als irrwischartiger Ablasshändler Tetzel überzeugte Anja Klawun restlos. Generalvikar von Staupitz indes ist von den Fähigkeiten von Mönch Martinus überzeugt, lässt ihn zum Doktor der Theologie ausbilden und schickt in an die Universität in Wittenberg, wo er dann die weltberühmten 95 Thesen anschlug. Damit endete der erste Teil.
Nach der Pause lag das leuchtende Kreuz nicht mehr am Boden, sondern schwebte im Bühnenhimmel, am Boden gab es eine kreuzförmige Vertiefung. Konnte man im ersten Teil das Geschehen als vom Kreuz getragen verstehen, sah es nun so aus, als würde das Leben von Luther (jetzt gespielt von Thomas Kügel) von dem Kreuz gedrückt. Dem alten Luther fehlte im Stück ab jetzt leider die existenziell quälende Dimension. Er wurde dargestellt als weinseliger erfolgreicher Reformator, der seine Frau Katharina von Bora (Anja Klawun) herumkommandieren und nach Wein schicken kann.
Dass Luther gerade im Alter die schlimmsten Ausfälle gegen die Juden und auch die Türken hatte, wurde zwar nicht ausgelassen, wirkte aber bei Weitem nicht so aus der Tiefe der Seele kommend wie die Kämpfe des jungen Luther im ersten Teil.
Wie die drei Schauspieler in dem einfachen und klaren Bühnenbild den insgesamt neun Figuren Leben einhauchten, war grosse Klasse. Die Musik von Anno Kesting am Gong und an den Röhrenglocken im Bühnenhintergrund war dezent und stimmungsvoll.
Die selbstzerfleischenden Aussagen des jungen Luther machten drastisch deutlich, wie geradezu neurotisch er war.