Ich bin ein Vorbild – warum um alles in der Welt muss ich ein Vorbild sein?
In der Mami-Post resp. Papi-Post schreiben Sibylle, Mia, Ralph und Gastautoren über ihre Alltagsthemen, die sie beschäftigen, seit sie Kinder haben. Alle Artikel der Mami-Post sind hier zu finden. Alle weiteren Familien-Artikel findest du im Familien-Dossier.
Wer Kinder hat, kennt das: Mama/Papa macht etwas und die Kinder wollen am liebsten sofort mitmachen. Wenn ich am Fahrrad schraube, will Junior auch einen Schraubenzieher haben oder zumindest die Schrauben halten dürfen, die er später braucht. Wenn ich mich zum Joggen aufwärme, steht mein Sohn neben mir, verbiegt sich ebenfalls und stöhnt im Chor mit, während wir die Muskeln dehnen.
Wie ein fleischgewordener Spionagesatellit registriert und speichert mein Sohn alles, was sein Papa gerade tut.
Kinder ahmen ihre Bezugspersonen immer gerne nach. Das ist normal, hat aber leider auch einen Nachteil: Man steht praktisch ständig unter Beobachtung, ob man will oder nicht. Wie ein fleischgewordener Spionagesatellit registriert und speichert mein Sohn alles, was sein Papa gerade tut – und unterscheidet dabei nicht zwischen guten und schlechten Eigenschaften. Hey, es ist Papa, was er macht, wird schon richtig sein!
Und genau hier liegt das Problem: Als Eltern muss man manchmal höllisch aufpassen, dass man seinen Kindern nicht die eigenen (manchmal liebgewonnenen) negativen Eigenschaften vorlebt. Wie soll ich meinem Junior beibringen, dass man Ordnung halten muss, wenn ich selbst ein Chaot bin? Jetzt rächt es sich, dass ich meinen Hang zur Unordnung all die Jahre lapidar mit den Worten «Der Kleingeist überlebt in der Ordnung, das Genie überblickt das Chaos» abgetan habe. Denn nun leben zwei Chaoten in unserem Haus. Das Problem: Der eine (Junior) kann mir den Tag verderben, wenn er einen verlorenen Gegenstand nicht wiederfindet. Eltern kennen das Drama, wenn der Lieblingsgegenstand, sei es ein Spielzeug, ein Kleidungsstück oder ein Stein, den der Nachwuchs irgendwo gefunden und für «behaltenswert» befunden hat, nicht mehr auffindbar ist. Ja, ich muss mich an die eigene Nase fassen: Es wäre scheinheilig, wenn ich dann sagen würde: «Tja, dann musst du eben mehr Ordnung halten».
Da muss ich schon mal in den sauren Apfel oder besser in die grünen Bohnen beissen und ihm zeigen, dass man nicht qualvoll stirbt, wenn man das isst.
Szenario: Mittagstisch. Ich oute mich hier als Gemüseverächter. Ich bin nie auf den Geschmack gekommen, auf meinem Teller wird alles Grüne meist als «Deko» abgetan und dementsprechend ignoriert. Wie soll ich dann meinem Sohn erklären, dass es gesund ist, nicht nur Nudeln mit Jägersauce zu essen, sondern auch mal etwas Gemüse oder Obst? Da muss ich schon mal in den sauren Apfel oder besser in die grünen Bohnen beissen und ihm zeigen, dass man nicht qualvoll stirbt, wenn man das isst.
Genauso ist es mit Dingen, die Mut erfordern. Alle Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder ein gesundes Selbstvertrauen haben. Dazu gehört auch eine Portion Mut. Aber, liebe Eltern, haben wir den auch? Ich habe oft Eltern gesehen, die im Schwimmbad am Fusse eines 3-Meter-Brettes standen und ihre Kinder zum Springen anfeuerten. Einmal habe ich gefragt, warum sie nicht auch oben stehen. Die erschrockene Antwort: «Nein, ich traue mich nicht!».
Wir sind Vorbilder, ob wir wollen oder nicht. Das bedeutet auch, dass wir ständig beobachtet werden und im Idealfall unser Verhalten reflektieren müssen. Denn die kleinen Wesen, die Mama oder Papa zu uns sagen, beobachten uns mit Argusaugen und schauen ganz genau, was wir tun. Wenn wir ihnen also gutes und richtiges Verhalten beibringen wollen, müssen wir (leider) bei uns selbst anfangen, auch wenn das bedeutet, dass manchmal liebgewonnene und bequeme Verhaltensweisen wohl oder übel aufgegeben werden müssen.
Aber niemand hat je gesagt, dass es einfach ist, ein Vorbild zu sein…
Hier schreibt Ralph:
39 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender